Kommentar Erziehung zu Hause!

Martin Schulte macht die gesellschaftlichen Konsequenzen von mangelnder Erziehungsdisziplin in vielen Elternhäusern deutlich.

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Martin Schulte
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Viernheim. In ihrem Ergebnis beschreiben die Berichte der Viernheimer Kita-Leiterinnen ein Fanal: Die Abkehr von bewährten gesellschaftlichen Übereinkünften, Normen und Werten und den Übergang zu individuellem Egoismus und individueller Verantwortungslosigkeit. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Gehen Solidarität, Respekt, Gemeinschaftssinn und Eigenverantwortung vor die Hunde, geht Gesellschaft vor die Hunde. Demokratie allemal.

Eltern, so sagen es die Erzieherinnen, betrachteten die Kitas nicht mehr als Ergänzung der eigenen Erziehungsleistung, sondern als Ersatz für genau diese. Abgeben und schnell weg. Die Kita als Dienstleister, nicht länger als Partner auf Augenhöhe.

Da verlangt ein Vater, sein Kind solle in der Kita lernen, richtig zu essen, und überhaupt, wie man sich bei Tisch benimmt. Reihenweise geben Leute ihre Kinder in der Windel ab – auch noch mit vier und fünf Jahren. Die Kita wird’s schon richten. Erzieherinnen können kaum noch Geschichten vorlesen, weil die Mehrzahl der Jungen und Mädchen sich nicht darauf konzentrieren können. Vielen Kindern fehlt es an grundlegenden Fertigkeiten, die sie mit drei Jahren längst haben müssten. Die Kita wird’s schon richten.

Kita kann es nicht richten

Nein, die Kita kann es nicht richten, auch wenn sich die Erzieherinnen noch so bemühen. Die Defizite in der Entwicklung von Kindern, die mangelnde Erziehung im Elternhaus hinterlassen, können Erzieherinnen unmöglich kompensieren. Das ist nicht nur zu viel verlangt, es hindert sie massiv daran, ihrem eigentlichen pädagogischen Auftrag gerecht zu werden. Kita ist nicht Wickel- und Verwahrstelle und nicht Seelenreparaturwerkstatt.

Erziehung durch Eltern ist mehr als das Aufstellen gewisser Regeln und die Beobachtung von deren Einhaltung. Zu erziehen heißt anleiten, Interesse und Neugierde wecken, inspirieren, zum Umgang etwa mit Gleichaltrigen befähigen, auf diese Gesellschaft mit ihren Normen und Werten vorbereiten. Erziehung heißt auch, den Nachwuchs mit Wärme zu behüten. Das nennt man Geborgenheit.

Smartphones und Tablets behüten Kinder nicht, geben keine Geborgenheit. Sie haben in den Händen kleiner Kinder nichts verloren. Denn sie bewirken vor allem eines: die Abkehr von der Realität, die seelische Isolierung. Eine der Kita-Leiterinnen will eine Lanze brechen für Eltern, die ihr Kind bei Tisch im Restaurant mit dem Handy ruhigstellen, damit sie, gestresst wie sie sind, wenigstens mal in Ruhe essen können. Bilderbücher oder Buntstifte würden diesen Zweck auch erfüllen – ohne Schaden anzurichten.

Apropos Stress. Wenn eine Gesellschaft – und Spitzenpolitiker vorneweg – Leistung zum quasi höchsten Gut erheben, dann hat das hässliche Folgen. Wie die Beschriebenen. Wer Menschen zu viel davon zumutet, beschädigt die Gesellschaft. Das fängt bei ihren kleinsten Mitgliedern an. Andererseits will man aber auch das Gefühl nicht loswerden, dass sich die Gleichgültigkeit in dieser Gesellschaft breitgemacht hat.

Und das können Kita-Erzieherinnen schon gar nicht wieder richten.

Redaktion Reporter.

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