Den Europäern läuft die Zeit davon. Donald Trump wird in etwas mehr als einem Monat ins Weiße Haus einziehen, und der EU fehlt weiterhin eine einheitliche Botschaft zur Ukraine, zu einem möglichen, wenn auch erzwungenen Waffenstillstand und dazu, wie die Sicherheit des kriegsgebeutelten Landes dann gewährleistet werden könnte. An dieser düsteren Realität hat weder der Mini-Gipfel in kleiner Runde am Mittwochabend noch das Spitzentreffen am Donnerstag etwas geändert.
Dabei sind die Themen unmittelbar miteinander verknüpft, wenn man den Aussagen Trumps glauben will, in denen er Kiew auffordert, „einen Deal einzugehen“. Was passiert, wenn sich die USA aus der Ukraine und der europäischen Sicherheitspolitik zurückziehen? In Brüssel klingen die Erklärungen zur Unterstützung der Ukraine zwar weiter hochtrabend, doch das Mantra, die westlichen Mächte würden das Land „so lange unterstützen, wie es nötig ist“, war von Anfang an fraglich. Zu schnell können sich in Demokratien die politischen Verhältnisse durch Wahlen auf den Kopf stellen, als dass auf solche Zusagen Verlass wäre. Aber immerhin bleibt es eine Phrase, mit der die EU Einigkeit vorgaukeln kann.
Europa lieferte bereits in den vergangenen drei Jahren viel zu wenig, um die Ukraine so aufzurüsten, dass sie eines Tages selbstbewusst am Verhandlungstisch Forderungen stellen könnte – falls Moskau denn überhaupt an einem Waffenstillstand interessiert wäre. Derzeit gibt es angesichts der russischen Gewinne auf dem Schlachtfeld keinerlei Anzeichen dafür. Es klingt deshalb wie purer Hohn, wenn einige Politiker aktuell schon über einen baldigen „Frieden“ fantasieren. Nach einem Rückzug Washingtons stünde Kiew vielmehr vor einer de facto Kapitulation. Wie verzweifelt die Lage wirklich aussieht, versucht Wolodymyr Selenskyj nicht einmal mehr zu kaschieren.
Umso wichtiger ist es, zumindest hinter den Kulissen über seine Wünsche und damit hypothetische Sicherheitsgarantien zu diskutieren. Alles andere wäre angesichts des sich anbahnenden Kurswechsels in den USA naiv und gefährlich. Das Problem: Europa müsste – im eigenen Interesse – deutlich mehr Verantwortung übernehmen. Vorneweg Deutschland sträubt sich aber aus wahlkampftaktischen Gründen und scheint sich einem konzertierten europäischen Vorgehen zu verweigern.
Die viel gerühmte Botschaft der Geschlossenheit der EU, auf die es angeblich ankommt, zählt für Berlin offenbar nur in Sonntagsreden. Gleichzeitig ist in einigen Kreisen zu vernehmen, dass fast so etwas wie Hoffnung herrscht, dass Trump ein Ende des Kriegs erzwingt, selbst wenn dies hieße, dass die Ukraine zu einem Deal gezwungen wäre, der bestenfalls als hässlich beschrieben werden kann. Die Europäer dürften die Schuld für die gebrochenen Zusagen und die Gebietsverluste dann auf Washington schieben. Dabei gehört zur Wahrheit, dass die Herausforderungen für den Kontinent nach einer Niederlage der Ukraine noch größer würden.
Die europäische Sicherheit steht auf dem Spiel. Seit Jahren hören Europas Bürgerinnen und Bürger von ihren Regierungen, dass dieser Kampf existenziell ist. Meinten die Staatenlenker es mit solchen Warnungen ernst, sollten die europäischen Nato-Mitglieder nun auch gehaltvolle Sicherheitsgarantien entwerfen und abgeben. Eine Mission müsste etwa eine Waffenruhe bewachen, und die Aufgabe lässt sich nicht an die Amerikaner abschieben. Vielmehr ist es an den Europäern, die Bereitschaft zu zeigen, Soldaten für eine mögliche Überwachung im Falle eines Waffenstillstands zu entsenden und die Luftabwehr zu verstärken.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Ein Wettlauf
Katrin Pribyl meint, dass die EU dringend eine einheitliche Linie in Bezug auf die Ukraine finden muss