Bildung

Deutschlandweite Studie der Uni Mannheim: Studenten betrügen in Online-Prüfungen deutlich öfter

Bild: Uni Mannheim

Von 
Sebastian Koch
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Auf der Suche nach der Lösung: Um Schummeleien in Online-Prüfungen vorzubeugen, raten Forscher und Hochschulen zu alternativen Prüfungsformaten. © iStock, Uni

Ergebnisse von Studien können spannend sein, weil sie überraschen und einen Aha-Effekt erzeugen. Die Ergebnisse können aber auch interessant sein, wenn sie einen Trend, den man vielleicht geahnt oder befürchtet hat, bestätigen. Wohl in diese Kategorie lässt sich das Ergebnis einer Studie unter Leitung des pädagogischen Psychologen Stefan Janke von der Universität Mannheim einordnen: In Online-Prüfungen haben im Sommersemester 2020 - dem ersten unter Pandemiebedingungen - Studentinnen und Studenten deutlich häufiger geschummelt als in Präsenz-Prüfungen.

„Wir haben ehrlicherweise schon mit diesem Effekt gerechnet“, erklärt Janke im Gespräch mit dieser Redaktion. „Die Deutlichkeit hat uns aber schon etwas überrascht.“ Die Forscherinnen und Forscher hatten deutschlandweit mehr als 1600 Studentinnen und Studenten verschiedener Hochschulen anonymisiert gefragt, ob sie im Sommersemester 2020 in Online- und/oder Präsenz-Klausuren betrogen haben. Das Ergebnis: 61,4 Prozent der Befragten, die in dem kritischen Zeitraum eine Onlineprüfung abgelegt hatten, berichteten, in Klausuren unerlaubte Hilfsmittel verwendet oder sich unerlaubt untereinander ausgetauscht zu haben. 31,7 Prozent räumten dies bei Klausuren ein, die in Präsenz stattfanden. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, sondern auf Gelegenheitsstichproben beruht, hält Janke das Ergebnis für „belastbar“.

Ebenfalls wenig überrascht zeigen sich Universität und die in Mannheim ansässige Duale Hochschule (DHBW). Die Universität teilt dieser Redaktion mit, es sei „bei Uni-Prüfungen wohl wie in allen Bereichen des Lebens: Wo weniger Kontrolle stattfindet, steigt die Wahrscheinlichkeit von Täuschungsversuchen“. Es könne „pauschal nicht beantwortet werden“, ob bei Online-Prüfungen auch in Mannheim ein Anstieg von Täuschungsversuchen zu beobachten sei. Allerdings, schränkt die Universität ein, sei auch der „Aufwand, Täuschungen aufzudecken, höher“, da sie im Nachhinein bewiesen werden müssten. „Im Gegensatz dazu ist es bei Präsenzprüfungen relativ leicht, Täuschungsversuche direkt zu bemerken und zu ahnden.“

Indes erklärt DHBW-Rektor Georg Nagler, auf das Thema angesprochen: „Wir haben lange mit genau dieser Anfrage gerechnet.“ Auch um Täuschungen vorzubeugen, habe die DHBW bislang „im Wesentlichen auf Online-Prüfungen verzichtet“ und bei schriftlichen Prüfungen auf Präsenzveranstaltungen mit „strikten Hygienebedingungen“ gesetzt.

Zur richtigen Einordnung der Studie müsse man mindestens zwei Faktoren berücksichtigen, betont Janke. So hätten Befragte häufig angegeben, „eher selten“ zu schummeln. „Das heißt, die Studentinnen und Studenten haben selektiv und nicht in allen Online-Prüfungen betrogen.“ Zudem müsse man an die Bedingungen im Sommer 2020 erinnern. „Viele Hochschulen wurden wegen der Pandemie sehr kurzfristig dazu gezwungen, auf Online-Prüfungen umzustellen.“ Oder, wie Janke es sagt: „Die Situation war häufig in etwa so, als ob 300 Prüflinge in einen Raum gesetzt worden wären, die Prüfungen ausgeteilt wurden, ehe die Aufsicht dann den Raum verlässt und sagt: ,Bitte betrügen Sie nicht.’“ Es habe kaum Zeit gegeben, sich auf die Situation vorzubereiten. „Auch bei den Studentinnen und Studenten hat es große Unsicherheiten gegeben, die zu mehr Täuschungen geführt haben könnten“, erklärt Janke. „Zum Beispiel die Frage, ob Prüfungen online schwieriger werden.“

Ist diese Sorge berechtigt? Werden Prüfungen online schwieriger gestaltet, um Betrug vorzubeugen? Laut Universität werden sie „nicht schwieriger“, aber „anders als Präsenzprüfungen“ gestaltet. Dazu rät auch Janke. „Diesbezüglich hat sich in den letzten Monaten an den Hochschulen vieles positiv entwickelt.“ Beispielsweise gibt es sogenannte Open-Book-Klausuren, in denen „die Nutzung von Hilfsmitteln, was wir für gewöhnlich in Präsenzklausuren als Betrug auffassen, ausdrücklich erlaubt ist“: etwa der Blick ins Lehrbuch, in die Vorlesungsaufzeichnungen oder das Nutzen von Google und Videos. „Die Fragen werden so gestellt, dass Wissen nicht einfach abgefragt wird, sondern angewendet werden muss“, teilt die Universität mit. „Um Open-Book-Klausuren zu bestehen, ist ein tiefes Verständnis der Inhalte notwendig. Das bedeutet auch, dass reines Bulimielernen nicht mehr belohnt wird“, sagt Janke.

Die DHBW setzt indes auch auf kombinierte Formen. So habe es sich Online „bewährt, Arbeitspakete an Kleingruppen zu verteilen, die in einer bestimmten Zeit gemeinsam bearbeitet werden müssen“, erklärt Claus Mühlhan, Prorektor und Dekan der Fakultät Technik. Die Wissenstiefe werde anschließend online „kompetenzorientiert“ präsentiert und von der Gegenseite geprüft.

Erschwert wird das Vorbeugen von Betrug auch durch den Datenschutz. So ist es beispielsweise nicht erlaubt, auf das Einschalten der Webcam zu bestehen. „Die Überwachung mittels Kamera kann einen Täuschungsversuch nicht in geeigneter Weise ausschließen“, heißt es von der Datenschutzbeauftragten der Universität. „Der Prüfling könnte etwa außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera Hilfsmittel benutzen.“ Zudem „ist nicht auszuschließen, dass Dritte, etwa auch besonders schützenswerte Personen wie Kinder, sich im Aufnahmebereich bewegen.“ Auch der DHBW sei die „große Rolle“ des Datenschutzes „schnell deutlich geworden“.

Was bleibt, ist das Ergebnis: Fast zwei von drei Geprüften haben online mindestens einmal geschummelt - fast doppelt so viel wie in Präsenzprüfungen. Ist es akademisch vertretbar, auf diese Weise zu prüfen? Janke möchte seine Forschung nicht als „generelle Warnung vor Onlineprüfungen verstehen“. Sie solle „dazu anregen, darüber nachzudenken, wie Online-Prüfungen optimalerweise aussehen könnten“. Wenn Prüfungsformen dadurch vielfältiger werden, „kann dies sogar die universitäre Lehre steigern“. Eine Fortsetzung der Studie mit Zahlen aus dem Wintersemester 2020 befindet sich derzeit in der Auswertung.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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