Marketing-Strategen applaudieren: Die Kampagne des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), die EM-Starter über mehrere Tage verteilt einzeln über ganz verschiedene (und teilweise sehr unerwartete) Kanäle zu veröffentlichen, ist trotz teils kontroverser Diskussionen als voller Erfolg zu werten. Die Fußball-Republik diskutierte rauf und runter über fast nichts anderes mehr als die Kandidaten der Nationalmannschaft und die meistens unterhaltsame individuelle Form der Präsentation vom Podcast, über den Influencer, über Quizmaster Günter Jauch bis hin zur Dönerbude. Das nennt man im Marketing-Slang „Awareness“ wecken. Eine Kampagne, die die Marke stärkt.
Die Debatte um die neue Art und Weise der Nominierungen überlagerte teilweise sogar ein bisschen das, worüber die Fans normalerweise am liebsten streiten: Wer mit zum Turnier fahren darf und wer nicht. Im sportlichen Bereich blieben die großen Überraschungen aus: Dortmunds Verteidiger Nico Schlotterbeck, dem Experten eine große Karriere vorhersagen, schaffte es noch auf den EM-Zug, seinem BVB-Kumpel Mats Hummels reichten hingegen auch zwei starke Auftritte im Champions-League-Halbfinale gegen Paris Saint-Germain nicht mehr. Traurig wird auch Leon Goretzka sein, dessen Formanstieg beim FC Bayern zu spät kam, um noch eine der Planstellen im zentralen Mittelfeld zu ergattern.
Klare Hierarchie geht vor bekanntem Namen
Wie immer kann man über einzelne Personalien trefflich streiten: Warum der zuletzt formschwache Frankfurter Robin Koch und nicht Weltmeister Hummels, warum Münchens Jungspund Aleksandar Pavlovic und nicht der bei mehreren Turnieren erprobte Goretzka?
Aber Bundestrainer Julian Nagelsmann hat seine Strategie bei der Teamzusammenstellung bereits vor Monaten überzeugend dargelegt – und warum sollte er nach zwei erfolgreichen Test-Länderspielen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) jetzt wieder von ihr abrücken? Es geht um eine klare Hierarchie, in der jeder seine Rolle kennt. Und um eine intakte Teamchemie, in der der Wert für das Funktionieren der Mannschaft mehr zählt als ein bekannter Name. Es soll und darf auf keinen Fall Stress während des Turniers geben, sondern alle müssen sich hinter dem großen Ziel versammeln.
Im Grunde ist das genau die Rezeptur, mit der Deutschland oft gute Turniere gespielt hat. Oder glaubt wirklich jemand, Erik Durm, Kevin Großkreutz oder Christoph Kramer wären bei der WM 2014 auf ihren Positionen unangefochten gewesen? Vor der WM 2010 ließ der damalige Bundestrainer Joachim Löw in Stefan Kießling den zu jener Zeit besten Bundesliga-Torjäger zu Hause. Riesenaufregung. Aber der Stürmer passte halt einfach nicht ins taktische Konzept.
Letztlich bleibt jetzt nur noch zu hoffen, dass die Heim-EM auf dem Platz genauso belebend und erfolgreich verläuft wie die Marketingkampagne rund um die Nominierung. Dann stünde einem schönen Sommer nichts mehr im Wege.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der deutsche Kader für die EM: Die gute alte Rezeptur
Die Marketing-Strategie rund um die Nominierung des deutschen EM-Kaders hat für viel Aufsehen gesorgt. Beim eigentlichen Personal blieben die Überraschungen weitgehend aus. Doch das Konzept des Bundestrainers überzeugt