Mannheimer Morgen Plus-Artikel Lokale Wirtschaft Amazon in Viernheim bietet Chancen

Eigentlich ist es ja eine gute Nachricht, dass Amazon in Viernheim ein weiteres Verteilzentrum für die Region einrichtet. Das Unternehmen beseitigt dauerhaft einen Leerstand im Gewerbegebiet, entsiegelt beim Umbau Flächen, tut damit sogar etwas für die Umwelt. Und es schafft Arbeitsplätze, im eigenen Unternehmen sowie bei den „Lieferpartnern“, wie Amazon externe Paketzusteller nennt. Aber so richtig große Begeisterung löst die Nachricht in Viernheim nicht aus. Handelt es sich bei den Arbeitsplätzen doch in den allermeisten Fällen nicht gerade um gut bezahlte Jobs. Ganz im Gegenteil: Es geht um das untere Ende der Lohnskala. Und um einen Arbeitgeber, der im Ruf steht, Menschen nach allen Regeln der Kunst auszubeuten.

Immer wieder beherrscht Amazon die Schlagzeilen, weil es seinen Mitarbeitern Tarifverträge und gewerkschaftliche Mitbestimmung verweigert. Streiks vor den Logistikzentren gehören längst zum Ritual, wenngleich der Konzern nach eigener Aussage Stromausfall und vereiste Straßen erheblich mehr fürchtet als reden- und fahnenschwenkende Gewerkschafter vor dem „Black Friday“. Letztlich zählt der Onlineversandhändler auch zu Verdis Lieblingsgegnern, weil sich die Welt des Die-da-oben-wir-da-unten hier so schön zelebrieren lässt.

Nur ist die Welt eben ein wenig komplexer. Zur Wahrheit gehört nämlich auch: Wir alle mit unserem Konsumverhalten haben das System Amazon erst möglich gemacht. Und auch die Pandemie hat Konzernchef Jeff Bezos grandios in die Karten gespielt. Es ist ja auch durchaus bequem, alle möglichen Konsumgüter zuhause am Computer auszuwählen. Allerdings: Der gemütliche Stadtbummel – das hat Corona hinlänglich deutlich gemacht – lässt sich durch keine Amazon-Auswahl ersetzen. Es ist in jedem Falle erfreulich, dass sich nun den Menschen in der Region eine weitere Jobchance eröffnet. Doch Amazon muss sich in die Pflicht nehmen lassen, damit die Zusteller unter fairen Bedingungen arbeiten können.