"MM"-Debatte

Wollen Frauen irgendwann keine Kinder mehr, Frau Dürrholz?

Von 
Johanna Dürrholz
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Viele Frauen lassen sich mit der "K-Frage" Zeit, bis es zu spät ist. © istock

Eine der häufigsten Fragen, die mir in den vergangenen Wochen gestellt wurden, ist: Wie haben Sie sich denn nun entschieden? Für oder gegen Kinder? Ich finde das in meinem Fall nicht übergriffig, immerhin habe ich ein ganzes Buch über die „K-Frage“ veröffentlicht. Als ich einem Bekannten auf diese Frage hin erläuterte, welche Nachteile Mütter am Arbeitsmarkt noch immer haben, entgegnete er entrüstet: „Johanna, das kann doch aber nicht der Grund für Dich sein, kein Kind zu bekommen!“ Aber wieso denn nicht? Ich habe seither oft an diesen Moment zurückgedacht, an diese Haltung: Nur weil es ungerecht zugeht, heißt das doch nicht, dass man sein Lebensglück nicht verwirklichen darf!

Das impliziert zum einen die Vorstellung, Lebensglück, zumal weibliches Lebensglück, sei nur dann gegeben, wenn die Frau auch Mutter geworden ist, was ich per se zurückweisen würde; kinderlose Menschen sind am Ende ihres Lebens in der Regel genauso zufrieden oder unzufrieden wie Eltern. Zum anderen aber ist die Nachfrage interessant, weil sie zwei Ebenen gegeneinander aufwiegt: persönliche Lebensentwürfe versus den strukturellen Rahmen, in dem die individuellen Pläne geschmiedet und auch wieder verworfen werden müssen. Darf dieser Rahmen uns daran hindern, persönlichen Wünschen nachzugehen, Familienplanung anders zu denken? Nein, findet mein Bekannter. Und er hat Recht damit, eigentlich. Bloß ist er eben selbst nicht im selben Maße von diesen Strukturen betroffen wie ich es als Frau bin.

Es gibt viele Zahlen und Studien, die belegen, das Muttersein und Beruflich- Erfolgreich-Sein in Deutschland zwei Dinge sind, die viele Frauen nicht unter einen Hut kriegen.
Johanna Dürrholz Journalistin und Autorin

Denn genau diese strukturellen Voraussetzungen sind immer häufiger der Grund dafür, dass Frauen nicht mehr so schnell oder früh oder oft Mutter werden – und dass sie die Familienplanung manchmal so lange hinauszögern, bis es zu spät ist. Nicht immer werden die patriarchalen Strukturen als Grund dafür benannt, im Gegenteil. Viele junge Frauen spüren einfach ein gewisses Unbehagen, wenn sie sich mit dem Gedanken an Mutterschaft, mit den Konsequenzen für ihren persönlichen und beruflichen Werdegang beschäftigen. Auch ich habe dieses Unbehagen lange Zeit gespürt, ohne die Gründe dafür genau benennen zu können. Lassen Sie es mich so zusammenfassen: Der Gedanke an Kinder fühlte sich großartig an – der Gedanke an Mutterschaft eher weniger.

Es gibt viele Zahlen und Studien, die belegen, dass Muttersein und Beruflich-Erfolgreich-Sein in Deutschland zwei Dinge sind, die viele Frauen nicht unter einen Hut kriegen. Davon sind sie vor allem finanziell auch langfristig betroffen. Klar: Wer weniger arbeitet, verdient weniger, zahlt weniger in die Rentenkasse ein. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung von 2020 hat das Einkommen untersucht, das Männer und Frauen über ihr gesamtes Berufsleben hinweg verdienen.

Die Aufteilung der nicht bezahlten Care- Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Wickeln, Füttern, Baden ist auch in modernen Partnerschaften oft höchst ungleich. Viele Mütter arbeiten insgesamt viel mehr als die Väter - bekommen aber kein Geld für diese Arbeit.
Johanna Dürrholz Journalistin und Autorin

Dabei stellten die Forscherinnen der Stiftung fest, dass dieses Einkommen bei Müttern um vierzig Prozent zurückgeht im Vergleich zu kinderlosen Frauen. Bekommt eine Frau drei Kinder oder mehr, sind es sogar fast siebzig Prozent. Bei Männern hingegen ist es andersherum: Sie verdienen bis zu 20 Prozent mehr, wenn sie Kinder haben. Das Modell des Familienernährers wird noch immer gelebt, und das geht auch zulasten der Väter, die ihre Kinder nicht sehen und obendrein den Druckaushalten müssen, dass die Familie ohne ihr Gehalt nicht auskommen würde.

Andere Zahlen verdeutlichen, dass die enorme Einkommenslücke vor allem an den ungleich verteilten Aufgaben zwischen Männern und Frauen liegt, Stichwort: Sorgearbeit. So arbeiteten laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2019 93,6 Prozent der Männer, die minderjährige Kinder haben, in Vollzeit, aber nur 33,8 der Frauen. Das heißt natürlich nicht, dass die 66,2 Prozent der „Teilzeit-Frauen“ wirklich weniger arbeiten, im Gegenteil: Die Aufteilung der nicht bezahlten Care-Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen, Wickeln, Füttern, Baden ist auch in modernen Partnerschaften oft höchst ungleich. Viele Mütter arbeiten insgesamt viel mehr als die Väter – bekommen aber kein Geld für diese Arbeit.

Noch andere Probleme tragen zu einer solchen Ungleichheit bei, etwa die unbereinigte Lohnlücke von 18 Prozent. In heterosexuellen Beziehungen verdient der Mann oft mehr als die Frau, ist im Schnitt ein paar Jahre älter und schon weiter in der Karriere vorangeschritten. Wenn eine Mutter den Kindern zuliebe kürzer tritt, in Teilzeit arbeitet oder eine längere Elternzeit nimmt als der Vater, hat diese Entscheidung oft finanzielle Gründe. Im Prinzip geht es Familien in Deutschland besser, wenn sie sich rollenkonform im traditionellen Sinne verhalten. Mütter, die früh arbeiten gehen und ihr Kind betreuen lassen, arbeiten zuweilen nur in Teilzeit, um die Kosten für die Betreuung abzudecken. Es braucht eine hohe intrinsische Motivation, um dann nicht einfach zu Hause beim Kind zu bleiben, anstatt sich zwischen Job und Sorgearbeit zu zerreißen.

Was wir also brauchen, damit Frauen nicht irgendwann gar keine Kinder mehr wollen? Bessere Ausgangsbedingungen für alle, auch für Väter, die sich engagieren wollen.
Johanna Dürrholz Journalistin und Autorin

Das klingt nun alles sehr nach „armen Frauen“ oder „bösen Männern“. So ist das aber nicht gemeint. Es bringt erstens nichts, die Geschlechter hier gegeneinander auszuspielen. Es ist dringend nötig, dass sie zusammenhalten. Zweitens sind einzelne Personen nicht für strukturell bedingte Ungleichheiten verantwortlich (wohl aber dafür, dass diese Ungleichheiten aufrechterhalten werden). Hier ist die Politik gefragt. Es gibt verschiedene Instrumente, mithilfe derer die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit und die ungleiche Verteilung von Teilzeit- und Vollzeitarbeit zwar nicht vollständig beseitigt, aber doch angegangen werden kann.

Eines davon ist die Anhebung der sogenannten Vätermonate – also die Monate der Elternzeit, in denen junge Eltern nur dann Elterngeld erhalten, wenn der Vater sie nimmt – von zwei auf vier oder fünf Monate. Das fordert etwa die Soziologin Jutta Allmendinger, die seit Jahrzehnten darüber forscht, wie die Deutschen leben wollen. Ein anderes Instrument ist der weitere Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Deutschland, gerade in ländlichen Gegenden ist hier noch Luft nach oben. Modelle wie das Elterngeld Plus, das Eltern honoriert, die in Teilzeit arbeiten und insgesamt länger Elterngeld beziehen können, müssen ausgebaut werden. Das Modell der Familienarbeitszeit, das unter anderen die SPD-Politikerin Katarina Barley durchzusetzen versuchte, sieht vor, Paare finanziell zu unterstützen, in denen beide Partner reduziert arbeiten, auf 80 oder 90 Prozent. Die Zeit zu Hause soll in diesem Modell explizit gemeinsam verbracht werden, mit Kind. Wir brauchen also auch einen Kulturwandel am Arbeitsmarkt, der Eltern, die in Teilzeit arbeiten, nicht benachteiligen darf.

Die Gastautorin



Johanna Dürrholz, 32, ist Autorin und Redakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit sie sich in der Sonntagsausgabe ihrer Zeitung mit der Frage beschäftigt hat, was für und gegen das Kinderkriegen spricht, hat das Thema sie nicht mehr losgelassen.

Aus den Überlegungen ist das Buch „Die K-Frage. Was es heute bedeutet, (k)ein Kind zu wollen“ entstanden und im März 2021 im Dudenverlag erschienen.

So viel zu den strukturellen Rahmenbedingungen, die unsere Lebenspläne immer stärker beeinträchtigen, weil wir sie uns eben nicht mehr gefallen lassen wollen. Weil sie uns schaden. Auch Väter wollen schließlich nicht mehr nur Familienernährer sein, die sich den ganzen Tag im Büro abrackern, um nach Hause zu kommen, wenn die Kinder schon schlafen.

Darüber hinaus ist die Generation der Frauen, die nun mit dem Kinderkriegen dran ist, meine Generation. Die Generation Y. Wir gelten seit jeher als unentschlossen, als junge Leute, die sich nicht festlegen können und wollen. Die weniger arbeiten und besser leben wollen, die ein gutes Leben einem Leben in Reichtum vorziehen. Und die wichtige Entscheidungen manchmal so lange überdenken, bis sie kaputtgedacht sind.

Im Fall der Familiengründung ist das fatal, weil das biologische Zeitfenster von Frauen noch immer nicht groß genug für lange Überlegungen in Sachen Kinderkriegen ist. Gleichzeitig ist meine Generation von tiefer Verunsicherung geprägt: Wir kennen noch ein Leben ohne Internet. Mit Festnetztelefon ohne Flatrate. Mit Büchern und ohne Netflix. Wir wissen sehr genau: Das Leben kann sich rasant verändern, wir haben es selbst erlebt. Das macht uns Angst, ebenso wie Bedrohungen in der Ferne: Klimawandel, Atomwaffen, Ressourcenkriege. Man konnte zwar nie in die Zukunft schauen. Selten aber wirkte die Zukunft so düster wie aktuell, war die Verunsicherung einer Generation wie meiner so existenziell.

Was wir also brauchen, damit Frauen nicht irgendwann gar keine Kinder mehr wollen? Bessere Ausgangsbedingungen für alle, auch für Väter, die sich engagieren wollen. Und eine Vision von einer guten, gerechten Zukunft.

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