Die Homöopathie erhebt den Anspruch, eine Methode zur Heilung von Krankheiten als spezifisch wirksame Arzneimitteltherapie zu sein - schnell, sanft, dauerhaft und sicher. Sie sieht sich selbst als eine andersartige Heilmethode, aber durchaus gleichwertig zur modernen Medizin und Arzneimittellehre.
Auch ich hatte dieses Selbstverständnis der Homöopathie verinnerlicht. Dazu erinnere ich mich an einen kleinen Film, den ein bekannter Homöopath - einer meiner Lehrmeister - in einem Seminar zeigte. In kurzen Sequenzen sah man darin Patienten in schlimmen Krankheitszuständen (zum Beispiel: rotes, schuppiges Hautekzem, eitrige Wunde, sichtlich ausgemergelter Patient, weinendes Kind mit hochroten Wangen).
In rascher Folge wurde dann ein Bild des gleichen Patienten zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt - gesund, munter, geheilt und mit schöner Haut. Für einige Minuten sah man diese raschen Gegenüberstellungen. Dann wurde ein kleiner Text eingeblendet, den ich nicht mehr im Wortlaut erinnere, aber der so in etwa lautete: "Das ist es, was wir mit Homöopathie tun. Wir heilen Menschen." Mit diesem Filmchen warb der Homöopath um Sponsoren für die Einrichtung einer homöopathischen Klinik mit großem Ausbildungszentrum (in das ich damals dann auch gehen wollte).
Diese Episode zeigt vielleicht, wie Homöopathen zu ihrer Selbstüberzeugung kommen: durch eindrückliche Bilder, Assoziationen, Erfahrungen und Geschichten. Der Film hat dies nur noch mehr komprimiert als üblich. Aber sind solche zunächst einmal eindrucksvollen Dinge wie die Gegenüberstellung im Film ein Beleg dafür, was die Homöopathie kann, dass sie überhaupt etwas kann und ob sie ihrem eigenen Anspruch wirklich gerecht wird?
Leider ist heute ganz klar: Die Homöopathie kann diesen Anspruch an sich selbst und das Versprechen an die Patienten, sie sei eine Heilmethode, die spezifisch wirkt, nicht einlösen. Spezifisch wirksam bedeutet, es soll ihr eine Wirkung über bei jeder Behandlung auftretende Seiteneffekte - wie etwa Placebo, vergangene Zeit - hinaus zukommen, die "aus ihr selbst" stammt. Die Homöopathie kann nicht belegen, dass sie eine eigene, spezifische Wirkung auf Krankheiten hat. Das kann man heute so klar sagen, weil die Homöopathie in den über 200 Jahren ihrer Existenz belastbare Beweise dafür schuldig geblieben ist, dass sie eine spezifische Wirkung erzeugen kann. Was sie kann: auf sichtbare Effekte ihrer "Behandlung" in Einzelfällen verweisen. Was sie nicht kann: belegen, dass diese Effekte irgendetwas mit dem homöopathischen Ansatz zu tun haben, also eine "spezifische Wirkung" der Homöopathie darstellen. Das bedeutet, dass sicherlich viele Beschwerden unter homöopathischer Behandlung vergehen, aber nicht durch sie.
Es gibt viele Studien zur Homöopathie und viele Arbeiten, die diese Studien zusammenfassend betrachten. Sehr viele davon stammen von Homöopathen selbst. Es existieren durchaus Untersuchungen, die hier und da eine Überlegenheit der Methode über reine Zufallseffekte hinaus aufweisen, das sei unbestritten. Nur: Alle zusammenfassenden Betrachtungen zeigen, dass mit einer größeren Datenbasis und dem Ausschalten von Zufallsfaktoren diese Effekte durchweg einfach verschwinden und der Homöopathie allenfalls Placebo-Effekte zugestanden werden können.
Was die Homöopathie also auch nicht kann: sich auf belastbare wissenschaftliche Ergebnisse berufen. Sie gibt sich zwar gerne einen wissenschaftlichen Anstrich, betreibt aber dabei stets "Rosinenpickerei" und lässt die erwähnten übergreifenden Studien unberücksichtigt. Sie stützt sich am liebsten auf Einzelfallerfahrungen, auf Anekdoten. Das aber ist keine Wissenschaft. Eine wissenschaftliche Betrachtung, eine "Studie", entsteht erst, wenn viele Einzelerfahrungen systematisch betrachtet und dabei Ergebnisse mit und ohne Homöopathie miteinander verglichen werden. Sie können sonst nie wissen, was ohne homöopathische Behandlung passiert wäre. Und es zeigt sich immer wieder, dass die beiden Gruppen sich in den Ergebnissen, den Krankheits- und Beschwerdeverläufen, gar nicht mehr unterscheiden, als per Zufall zu erwarten wäre. Hier muss man auch darauf hinweisen, dass Homöopathen gern die Frage des Nachweises einer Wirksamkeit mit der des Nachweises eines Wirkmechanismus vermischen. Aber: Die Frage nach einem Wirkmechanismus ist unnötig, so lange es keinen Nachweis einer Wirkung gibt. Das Argument "Wir wissen, dass es wirkt, nur (noch) nicht wie" ist deshalb ein Scheinargument in zweifacher Hinsicht.
Die Homöopathie kann auch nicht eine angebliche Autorität "alten Wissens" in die Waagschale werfen und daraus ihre heutige Bedeutung bei der Behandlung von Krankheiten ableiten. Altes Wissen ist erst einmal einfach nur alt. Hat die Homöopathie in den Jahrzehnten von ihrer Entwicklung durch Samuel Hahnemann bis zur Begründung der modernen Medizin - etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts - den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung nachhaltig verbessert, Seuchen und Infektionskrankheiten zurückgedrängt? Das konnte sie nachweislich nicht. Die heutige Lebenserwartung, den Rückgang der Kindersterblichkeit, den Bedeutungsschwund von banalen Infektionen als eine der Haupttodesursachen - sie sind nicht dem Konto der Homöopathie gutzuschreiben, denn sie beharrt auf einem Wissensstand von vor 200 Jahren.
Die Homöopathie kann keinen Platz im wissenschaftlichen (und damit gültigen) Weltbild beanspruchen, weil sie zu großen Teilen mit der heutigen Naturwissenschaft im Widerspruch steht. Es besteht kein Anlass, zu ihren Gunsten gut begründete und bewährte naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu verwerfen, die sich jeden Tag bewähren und vielfach unser Alltagsleben bestimmen. Sie kann sich auch nicht darauf zurückziehen, ihre Methode entziehe sich der wissenschaftlichen Überprüfung - in Studien festzustellen, ob etwas spezifisch wirkt oder nicht, ist heute keine Kunst. Das ist in der Vergangenheit oft genug geschehen mit negativem Ergebnis für die Homöopathie.
Viele Vorstellungen Samuel Hahnemanns, des Begründers der Homöopathie vor 200 Jahren, stammen aus der vorwissenschaftlichen Zeit und sind längst widerlegt. Das heißt, man weiß heute, dass er sich geirrt hat. Das Festhalten an Dingen wie dem "magischen" Ähnlichkeitsprinzip als einer "Botschaft" der Natur oder einer "verstimmten geistigen Lebenskraft" als Ursache von Krankheiten gehört dazu.
Die Homöopathie heilt über psychologische Effekte, aber eine Psychotherapie ist sie nicht. Dass Homöopathie irgendwie gut tun kann, wird von keinem Kritiker bestritten. Doch die Homöopathie ist - nach ihrem eigenen Selbstverständnis - nicht etwa eine "Psychotherapie light", sie ist keine Gesprächstherapie, auch wenn bei ihren Patienten häufig das homöopathische Anamnesegespräch hoch im Kurs steht. Es dient der Suche nach dem richtigen homöopathischen Arzneimittel. Insofern dürfte bei vielen homöopathischen Patienten, die das Anamnesegespräch - zu Recht - oft als wohltuend empfinden, ein grundlegendes Missverständnis vorliegen. Samuel Hahnemann lässt in seinem Hauptwerk zur Homöopathie, dem "Organon der Heilkunst", keinen Zweifel daran, dass er seine Methode als Arzneimitteltherapie versteht und nicht etwa als "Wellness-Methode".
Was die Homöopathie aus all diesen Gründen vor allem nicht kann: Sie kann kein Teil einer verantwortlichen Medizin sein, die sich dem Grundsatz eines strengen Wirkungsnachweises und der Redlichkeit gegenüber dem Patienten verpflichtet fühlt. Sie kann daher auch kein Teil des öffentlichen Gesundheitswesens sein, was über die Anerkennung als "besondere Therapierichtung" im derzeitigen Arzneimittelrecht und die Erlaubnis der Gesetzgebers zur Erstattung homöopathischer Therapien durch Krankenkassen gleichwohl derzeit der Fall ist.
Alles in allem: Die Homöopathie kann ihre Versprechen nicht einlösen und das sollte man wissen, bevor man auf sie vertraut.
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Natalie Grams
Von der überzeugten Homöopathin zur Leiterin des kritischen Informationsnetzwerks Homöopathie: Natalie Grams ist Ärztin und Autorin des viel diskutierten Buchs "Homöopathie neu gedacht" (2015).
Grams wurde 1978 in München geboren, dort und in Heidelberg studierte sie Humanmedizin und promovierte an der Universität Zürich. Von 2011 bis 2015 führte Grams eine Praxis für Homöopathie in Heidelberg.
Heute arbeitet sie als Kommunikationsmanagerin der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften und setzt sich für eine vernünftige Medizin mit Herz ein.
Im Oktober erscheint ihr neues Werk "Gesundheit! Ein Buch nicht ohne Nebenwirkungen".
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