Ein Netflix-Abo, ein schönes Bild fürs Wohnzimmer oder gleich eine neue Couch: Anschaffungen wie diese sind Beispiele für das Cocooning, also das Einspinnen in den eigenen Wänden, einem großen Trend dieser Pandemie. Denn plötzlich sehen wir unsere Wohnungen oder Häuser aus einer anderen Perspektive, weil wir viel Zeit darin verbringen müssen und weniger Geld in Restaurants oder auf Reisen lassen. Da fällt die karge Wohnzimmerwand genauso auf wie die durchgesessene Couch, und viele Balkone werden auch in diesem Frühjahr ein wahres Blütenmeer bieten.
Auch in den nächsten Wochen und Monaten wird unser Blick verhältnismäßig stark auf unseren limitierten Aktionsradius fokussiert sein. Das beantwortet die Frage nach dem Was, also was wir kaufen - und wie das unser Einkaufsverhalten verändert. Auch hier wird es langfristig Veränderungen geben - das ein oder andere Hemd wird auch zukünftig dem Pullover oder Hoodie weichen - aber die spannendere Frage ist das Wie, also: Wie werden wir in Zukunft einkaufen?
"Auch regionale Anbieter, die mit Obst- und Gemüsekisten direkt die Kunden beliefern, könnten wir in Zukunft immer mehr sehen."
Diese Antwort ist komplexer, denn für sie müssen wir verstehen, wie wir bereits vor der Pandemie eingekauft haben. In bestimmten Produktkategorien ist es zunehmend selbstverständlich geworden, digital einzukaufen und sich die Produkte liefern zu lassen, etwa bei Kleidung, Schuhen oder Büchern. Bei anderen Produktkategorien taten sich viele mit dem digitalen Einkauf noch schwer, etwa bei Lebensmitteln. Das wird sich ändern - und zwar massiv.
Lebensmittellieferdienste gibt es mittlerweile von diversen Anbietern, von klassischen Supermarktketten wie REWE, von Digitalunternehmen wie Amazon oder neuen Anbietern wie Picnic oder Gorillas. Hinzu kommen zahlreiche regionale Anbieter wie Bauernhöfe, die Obst- und Gemüseboxen direkt anbieten, teilweise auch ergänzt durch regionales Brot, Käse und andere Produkte.
All diese Anbieter profitieren zunächst von der Sorge vor der Corona-Ansteckung beim Einkaufen und dem Aufruf, möglichst viel daheim zu sein. Die Schwelle, diese Angebote auszuprobieren, wird wahrscheinlich nie niedriger sein als heute. Wer als Kunde dann feststellt, dass diese Anbieter zuverlässig sind, die Lieferung funktioniert, die Qualität stimmt und alles nur unwesentlich teurer ist als der direkte Einkauf im Supermarkt, der wird sehr wahrscheinlich auch nach der Pandemie diese Angebote weiter nutzen - aber in unterschiedlichem Maße.
Denn die neuartigen Anbieter testen ihre Produkte meist zunächst in Metropolen und Ballungszentren. Das Unternehmen Picnic, das sich auf das Prinzip des Milchmanns beruft, bietet sein Angebot derzeit zunächst im erweiterten Rheinland an, während die super-schnellen Lieferer von Gorillas - zwischen Bestellung und Lieferung vergehen meist nur wenige Minuten - aktuell in Metropolen wie Hamburg, Berlin oder Köln unterwegs sind. Der Vorteil dieses Vorgehens für die jungen Unternehmen: Eine hohe Dichte potenzieller Kunden sowie viele sogenannte „Early Adopter“, also Menschen, die gerne früh neue Angebote und Technologien testen.
Und im ländlichen Raum? Für die großen Anbieter wie Amazon könnte es sich lohnen, neben der Bestellung von Non-Food-Produkten auch gleich die Lebensmittel auszufahren. Aber auch regionale Anbieter, die mit Obst- und Gemüsekisten direkt die Kunden beliefern, könnten wir in Zukunft immer mehr sehen, da Regionalität gerade bei Lebensmitteln ein zunehmend wichtigeres Entscheidungskriterium wird.
"Was wir bisher als Einkaufsstraße kennengelernt haben, wird sich wandeln müssen zu Orten, die unterhalten und in denen wir etwas erleben."
Das bedeutet aber nicht, dass die klassischen Supermärkte verschwinden müssen: Wahrscheinlich ist eine Ausweitung des „Click & Collect“-Prinzips, wie es im Einzelhandel - auch in Bau- und Möbelmärkten - während der Pandemie vielerorts praktiziert wurde, auch auf den Lebensmittelbereich: So wird die Bestellung zwar online getätigt, der Einkauf aber dann auf dem Parkplatz des Supermarkts oder an einem anderen Ort in den Kofferraum gestellt. Bequemer geht es kaum.
Auch jenseits des Lebensmitteleinkaufs wird es Änderungen in unserem Einkaufsverhalten geben, gerade mit Blick auf das Bummeln in den Innenstädten. Egal ob die Planken in Mannheim, die Zeil in Frankfurt oder die Mönckebergstraße in Hamburg: Einkaufsstraßen, wie wir sie heute kennen, wird es langfristig nicht mehr geben.
Legen wir kurz die Emotionalität und unsere Wertschätzung für den Einzelhandel beiseite und blicken aus der Vogelperspektive auf das bisher gängige Prinzip hinter Einkaufsstraßen: Wir strömen in Massen in die Innenstädte, dorthin, wo die Ware ist - um dann enttäuscht zu sein, wenn sie nicht in der passenden Größe oder Farbe vorhanden ist. Das ist weder logisch noch intuitiv und schon gar nicht notwendig in einer digitalisierten Welt, in der ich das Produkt in meiner Größe und in meiner Lieblingsfarbe frustfrei und ohne unnötige Wege bestellen kann.
Was wir bisher als Einkaufsstraße kennengelernt haben, wird sich wandeln müssen zu Orten, die unterhalten und in denen wir etwas erleben. Sie müssen zu Orten werden, für die es sich lohnt, in die Stadt zu fahren. Kurzum: Die Einkaufsstraßen müssen zu Erlebnisstraßen werden. Wir kennen das Prinzip vom Einkauf bei Ikea: Wir setzen uns probeweise auf die Sessel, riechen an den Duftkerzen und essen oft auch ein Frühstück oder Mittagessen, zumindest aber einen Hotdog oder ein Softeis. Wir erleben dort mit allen Sinnen und gehen nicht nur einfach einkaufen.
Der Gastautor
Fabian J. Fischer ist ein Hamburger Unternehmer, digitaler Vordenker und Investor. Als Gründungspartner und Geschäftsführer verantwortet er die strategische Weiterentwicklung der Firma Etribes, die mittelständische Unternehmen und Dax-Konzerne bei den Herausforderungen der Digitalisierung berät. Fischer ist auch Mitgründer von Picea Capital, einem Fonds, der Technologie-Startups im Gegenzug für eine Beteiligung Kapital bietet.
Einen ähnlichen Ansatz hat auch das Osnabrücker Sportkaufhaus L&T entwickelt, das eine Erlebniswelt mit Indoor-Surfwelle und eine Kletterwand anbietet. Das sind Einkaufsorte der Zukunft, die es in Innenstädten brauchen wird, um diese attraktiv zu gestalten.
Was neben diesen Erlebnisorten seine Daseinsberechtigung haben wird, sind Orte, an deren erklärungsbedürftige Produkte präsentiert und ausprobiert werden können. Den E-Auto-Kauf oder die Anschaffung einer Soundanlage werden wir in der Breite nicht digital abwickeln wollen. Zu hoch sind die Anschaffungskosten, zu sehr bedarf es der Entscheidung durch unsere Sinne. Das ist bei der Anschaffung von Parfüms und Kleidung anders - außer es gelingt, auch hier Orte zu schaffen, die einen Mehrwert bieten. Das können etwa exklusive Clubs sein, in denen neben Parfüms auch Wellness- und Kosmetik-Behandlungen angeboten werden. Diese Orte werden aber vor allem für die Kundenbindung, das Branding, existieren und nicht, weil sie hohe Gewinne abwerfen. Das alte Prinzip, dass mehr Fläche auch mehr Umsatz bedeutet, wird so nicht mehr gelten können.
Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen? Einerseits bedeutet das für uns als Verbraucherinnen und Verbraucher, dass wir zukünftig sehr sicher eine immer größere Auswahl an digitalen Einkaufsangeboten haben werden, die auf unsere Bedürfnisse abgestimmt sind. Das kann bei Lebensmittel die super-schnelle Lieferung oder die gebündelte Wochenlieferung an einem festen Tag sein. Für Non-Food-Artikel, also von Kleidung über Bücher bis Drogerieartikel oder Haushaltsgeräte, wird unser Einkauf sehr sicher digital getätigt werden. Das heißt aber nicht zwingend, dass der Paketbote noch häufiger klingelt. Gut möglich, dass es kurzfristig Bündelungen von Paketlieferungen geben wird, bevor wir langfristig effizientere und nachhaltige Lösungen mit autonomen Vehikeln wie Drohnen oder Mini-Lieferrobotern erleben werden.
"Geschäftsmodelle, die sich nicht auf die Zukunft ausrichten, werden mittelfristig verschwinden. "
Andererseits bedeutet dieser Wandel für Unternehmen: Geschäftsmodelle, die sich nicht auf die Zukunft ausrichten, werden mittelfristig verschwinden. Das gilt vor allem für jene Unternehmen, die sich einst breit in den Innenstädten aufgestellt haben; Unternehmen wie Karstadt Kaufhof werden auch durch zusätzliche Kredite nicht auf die Beine kommen, solange das Geschäftsmodell zu sehr im 20. Jahrhundert verharrt.
Stattdessen sind Unternehmerinnen und Unternehmer gefragt, die nicht nur argwöhnisch auf die Vorreiter aus den USA schauen, sondern selbst den Mut zur Transformation haben. Das bedeutet, Potenziale zu sehen und eben nicht nur den analogen Laden eins zu eins in einen Online-Shop abbilden zu wollen, sondern sich und sein Unternehmen dem Zeitgeist anzupassen.
Das vielbeschworene Brennglas, das Corona für Wirtschaft und Gesellschaft ist, muss Unternehmerinnen und Unternehmern nun den entscheidenden Impuls geben, das eigene Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen. Nur so werden viele Unternehmen überhaupt noch langfristig für unser Einkaufsverhalten nach Corona relevant sein.
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