MM-Debatte

Wie verhindern wir die Spaltung unserer Gesellschaft, Frau Preisler?

Von 
Karoline M. Preisler
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Das Warten vor dem Supermarkt gehörte im Corona-Lockdown zum Alltag. © James Zabel

Covid-19 ist mehr als eine Virengefahr. Neben den medizinischen Folgen sehen wir längst auch solche, die die Pandemie in unseren Familien, in der Wirtschaft und in der Bildung hinterlassen hat. In unserer Gesellschaft haben sich Gräben gebildet. In genau der Gesellschaft, die eine Wiedervereinigung meisterte, nach zwei Diktaturen zurück in die Spur kam und die Herausforderung der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 annahm.

Von all diesen Etappen aber sind Aufgaben geblieben. So wurden die Diktaturen zwar überwunden, aber bis heute nicht genügend Aufklärung und Aufarbeitung darüber geleistet. Menschen auf der Flucht wurden ins Land gelassen, aber viele sind weder in unserer Zivilgesellschaft angekommen noch angenommen. 2015 haben die meisten Menschen im Land klaglos die Integrationsarbeit geleistet, die der Staat versäumte. In die Leerstellen seiner Fürsorge – die sich nicht nur bei Migrationsfragen, sondern etwa auch in Bildungsfragen zeigen – haben sich sogenannte „Kümmerer“ gesetzt, die alles andere als solidarische Ziele verfolgen. Wir sprechen etwa von den „Kümmerern“ der AfD, die zum Beispiel in kleinen Dörfern Kinderfeste ausrichten und dafür dort gewählt werden. Oder von sogenannten Querdenkern, die nicht davor zurückschrecken, im von Leid und größtem Unglück gebeutelten Ahrtal Kinderbetreuung anzubieten. Die Querdenker, die seit dem ersten Lockdown im Jahr 2020 Schwungmasse aufbauen, um sich privat zu bereichern, und Macht ohne demokratische Verhältnisse sichern wollen.

Querdenker wie Reiner Füllmich, Eva Rosen und Bodo Schiffmann rufen „Corona-Diktatur!“, wollen aber klammheimlich ihre eigenen Ziele wie Diktatoren umsetzen. Sie rufen auf ihren Demonstrationen „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ und stiften Unfrieden und Unfreiheit. Wer die Hinrichtung von Politikern fordert und „die Juden“ für alles Unglück in der Welt verantwortlich macht – ach, das hatten wir schon einmal. Es war schon damals falsch.

In der Kommunikation verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Fakten und gefühlten Wahrheiten. Unsere Gesellschaft blickt auf viele Fehler zurück und auch jetzt machen wir noch welche: Wir haben eine Klimakrise und beschäftigen uns mit Schuldzuweisungen anstatt mit sinnvollen, demokratischen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Krise beizutragen. Wir erleben weltweit Migration und ignorieren, dass wir dafür nachhaltige Lösungen finden müssen, anstatt immer nur zu reagieren. Wir haben einen teuren Mautskandal mit geschätzten 630 Millionen Euro Schaden, zahlen aber aus staatlicher Kasse keine Corona-Schnelltests mehr, um auf Ungeimpfte durch die Hintertür Druck aufzubauen.

Die alten Regierungen halten Druck nämlich noch immer für ein Korrektiv für ihre eigene schlechte (Aufklärungs-)Arbeit. Umso gutmütiger gehen sie mit eigenen teuren Fehlern wie besagtem Mautskandal oder der CumEx-Affäre um. Wer regierungskritisch ist, wird schnell als „Pack“, „Covidiot“, „Solidaritätsverweigerer“ und – der Klassiker – als „Nazi“ oder als „linksgrünversifft“ beziehungsweise als „neoliberal“ ausgegrenzt. Dadurch verspielt unsere Gesellschaft Vertrauen und grenzt zu viele Menschen aus.

Die Gastautorin



  • Die Juristin Karoline M. Preisler wurde in Ostberlin geboren und geriet als Jugendliche ins Visier der Stasi. Heute lebt sie in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.
  • Bekannt wurde sie durch ihr Twitter-Tagebuch, das sie während ihrer Corona-Erkrankung führte und ihre Versuche, mit Querdenkern zu sprechen. Ihr Buch „Demokratie aushalten! Über das Streiten in der Empörungsgesellschaft“ erschien diesen September. 

Wir alle werden lernen müssen, dass Mindermeinungen ein Recht darauf haben, gehört zu werden. Also auch Corona-Minderheiten. Es gibt etwa bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zwischen „alles zu“ und „alles öffnen“ ein Spektrum an Meinungen und Vorschlägen, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Das wurde in den letzten Monaten gerne ausgeblendet. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass es bei vielen stattdessen darum geht, sich selbst unbedingt auf der „richtigen“ Seite zu wissen – um eben nicht Gefahr zu laufen, ausgegrenzt zu werden.

Doch muss der Andersmeinende unbedingt ausgegrenzt sein? Nein! Hören wir doch einmal zu. Bedanken für uns für die Impulse anderer Menschen. Suchen wir nach Schnittmengen. Auch Widerspruch gegen abstruse Thesen oder widerlichen Antisemitismus fruchtet eher von Angesicht zu Angesicht, als von oben herab über den anderen zu sprechen. Eine liberale Demokratie lebt gerade davon, dass sich ihre Akteure auch mit unbequemen Haltungen auseinandersetzen. Was sind unsere historischen Lehren, unsere Prinzipien wert, wenn wir nicht für sie eintreten?

Die Ampel-Gespräche von Scholz & Co., Baerbock & Co. sowie Lindner & Co. zeigen uns gerade, was eine demokratische Debatte leisten kann. Würde unsere nächste Regierung das fortsetzen – unser Land könnte ein besseres werden. Wir sehen in den Pressekonferenzen zu den Sondierungsgesprächen eine Wertschätzung gegenüber den „Anderen“. Darin zeigt sich eine Erkenntnis, die ich uns allen auf Dauer wünsche: Ein Mensch mit einer anderen Meinung ist kein schlechterer Mensch, er hat nur eine andere Meinung. Und noch etwas können wir uns von den aktuellen Sondierungsteams abschauen: das Beste für unser Land zu wollen.

Endlich erfährt die Politik wieder Offenheit! Doch was bedeutet das für unsere Gesellschaft in der Coronazeit? Kann die gesellschaftliche Spaltung überwunden werden, wenn eine Regierung mit gutem Beispiel vorangeht? Zum Glück, ja!

Das Regierungshandeln der letzten Legislaturperiode war in der Corona-Pandemie bestimmt durch „try and error“. also durch Ausprobieren, Fehler machen und aus diesen zu lernen. Das ist nur logisch, denn für uns alle war die Situation neu. Doch zu den teils verständlichen Fehlern und aufgrund fehlender Erfahrung unverhältnismäßigen oder sinnlosen Coronamaßnahmen trat etwas, für das ich kein Verständnis habe: ein Kommunikationsverschulden. Denn was passiert, wenn der Staat Fehler macht und sie weder eingesteht, noch um Entschuldigung bittet? Er verspielt das Vertrauen der Menschen. Genau das ist geschehen: Die Partei der Bundeskanzlerin verantwortete Maskendeals, Impfdesaster, Abrechnungsbetrug in Testzentren und fragwürdige Coronamaßnahmen – und schwieg.

Was dieses Schweigen bewirkte, zeigte sich nach mehr als einem Jahr Pandemie bei den Bundestagswahlen diesen September: Keine Fehlerkultur – keine Stimme! Neben dem Stimmenverlust für die CDU, der Partei der Bundeskanzlerin, zeigt das Wahlergebnis aber auch: Corona spaltet nur einen geringen Teil der Gesellschaft hoffnungslos ab. Zwischen allen anderen können Brücken gebaut werden. Es besteht Hoffnung auf ein besseres Miteinander in unserer Gesellschaft. Bei allem kritikwürdigen Handeln der Regierung in der Pandemie haben die meisten Menschen im Land der Demokratie vertraut. Ja, sie haben die CDU abgewählt, aber eben auch den Heilsversprechen von Querdenkern, QAnon, der Partei die Basis oder der AfD nicht geglaubt. Das ist die gute Nachricht. Doch wir sollten uns nicht zu früh freuen: Die Stärke unserer Demokratie kann jederzeit bröckeln, wenn es der Politik im Land an Willen zum Dialog fehlt.

Die Aufspaltung der Gesellschaft in der Corona-Zeit ist da, aber sie ist überwindbar. Doch sollten wir die Aufspaltung der Gesellschaft überhaupt überwinden und um jeden Preis mehr Gemeinschaft sein? Muss eine liberale Demokratie alles tolerieren? Jain. Meinungspluralismus und Vielfalt kann es nur in den Grenzen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese freiheitliche demokratische Grundordnung sehr genau beschrieben. So gehört zum Beispiel die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten dazu, allen voran das Recht auf Leben und freie Entfaltung. Das wäre also eine Leitplanke für unseren Liberalismus und unsere Toleranz. Wer zum Beispiel gewählte Politiker, Handelnde der Exekutive oder jüdische Mitbürger herabwürdigt, ihnen konkrete Menschenrechte abspricht – etwa das auf Leben und körperliche Unversehrtheit, wie es in Pandemiezeiten vorkam –, der möge sich bitte trollen.

Wer jedoch seinen Beitrag zur Verbesserung unserer Gesellschaft, zur aktuellen Politik leisten will und sinnvolle Infektionsschutz-Maßnahmen fordert, der ist willkommen. Wir brauchen jeden einzelnen Menschen im demokratischen Team für unser Land. Denn Meinungsvielfalt hat die großartige Eigenschaft, dass nach einer konstruktiven Debatte ein Ergebnis und ein Ziel stehen kann, das uns vereint: eine bessere Zukunft!

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