Autos werden sich in wenigen Jahren selbst steuern, darüber sind sich alle einig. Doch was bedeutet diese bevorstehende Revolution für die Verkehrsträger der Zukunft, für die vielen davon betroffenen Branchen, für unsere Städte, für die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten werden? Das selbstfahrende Automobil wird nicht nur den Fahrer zuerst entlasten und dann überflüssig machen, es wird neue Geschäftsmodelle hervorbringen und bislang bewährte verschwinden lassen, es wird bestimmte Verkehrsträger zur Bedeutungslosigkeit verdammen und nicht zuletzt das Gesicht unserer Städte radikal verändern.
Drei Entwicklungslinien
In den vergangenen 50 Jahren hat sich erstaunlich wenig in der räumlichen Mobilität verändert. Erst jetzt scheint jene Zukunft zu beginnen, die man sich in den utopischen Entwürfen der 50er- und 60er-Jahre noch so lebhaft vorgestellt hat. Über viele Jahre unbemerkt und lange als Spielerei in der automobilen Oberklasse missverstanden, sind eine zunehmende Technifizierung des Fahrens und die Computerisierung des Autos zu beobachten.
Es gibt drei Entwicklungslinien: Fahrassistenzsysteme, Navigation und Konnektivität (die Fähigkeit von Betriebssystemen, eine Verbindung herzustellen, zum Beispiel zwischen einem Rechner und dem Internet). Schreibt man diese fort, so ist es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Autos autonom, das heißt ohne Zutun eines Menschen fahren. Es wird die Regel sein, möglicherweise sogar die allein zulässige Form individueller motorisierter Mobilität.
Man ist zunächst geneigt, sich eine solche Zukunft mehr oder minder wie die Gegenwart vorzustellen. Anstatt der Menschen fährt eben ein Computer. Dem ist aber nicht so. Das autonome Fahren wird die Mobilität von Menschen und Waren grundlegend revolutionieren. Es wird gewaltige Auswirkungen auf zahlreiche Industrien haben, auf unsere Städte, auf das Wohnen, auf unser alltägliches Lebens.
Ausnahme individueller Besitz
Das selbst gefahrene Auto ist zurzeit weitgehend an dessen individuellen Besitz gebunden. Carsharing-Modelle sind aus ihrem Nischendasein bisher nicht hinausgekommen. Was ist der Vorteil des Besitzens? Die Verfügbarkeit: Das Auto steht immer vor der Tür (oder in der Garage). Wenn ich es benutze, wartet es dort auf mich, wo ich es hingestellt habe, vor dem Büro, dem Haus meiner Großtante, im Parkhaus.
Diese ständige Verfügbarkeit ist mit Kosten verbunden (Parkplätze). Zusätzliche Wege entstehen, weil das Auto nicht immer genau dort abgestellt werden kann, wo ich es brauchen werde. Ich muss ferner genau dorthin wieder zurück, wo ich es abgestellt habe. Bei häufiger Benutzung ist das eigene Auto billiger als ein gemietetes oder geteiltes Fahrzeug. Außerdem kann ich es individualisieren, eine Wasserflasche deponieren, Sonnencreme ins Handschuhfach legen oder einen Duftbaum an den Innenspiegel hängen. Wenn man von weiteren psychologischen Faktoren wie Bindung und Identifikation absieht, sind die Vorteile des individuellen Besitzes an einem Automobil erstaunlich gering.
Autonome Fahrzeuge werden nicht nur Menschen und Waren chauffieren, sie können genauso gut leer fahren. So kann ich mir ein Auto zu einer bestimmten Uhrzeit nach Hause bestellen, ins Büro oder wo auch immer ich eines brauche. Es gibt keinen Grund, dieses Auto über die eigentliche Nutzung hinaus zu reservieren.
Wenn ich später ein neues Fahrzeug brauche, fordere ich es über eine App auf meinem Smartphone an. Autos werden auf den Straßen patrouillieren, während sie auf Aufträge warten. Ohne eigenes Auto kann man sich jederzeit eines beliebigen Fahrzeugs bedienen und aus allen Marken und Karosserieformen wählen. Jeder Meter Mobilität wird etwas kosten - je nach Tageszeit, Fahrzeuggröße und Komfort wird der Passagier zu unterschiedlichen Preisen von A nach B gelangen.
Weniger Autos als heute
Jedes Auto wird heute von seinem Besitzer weniger als eine Stunde am Tag bewegt. Werden Automobile nicht mehr besessen, sondern kurzfristig gemietet, braucht man wesentlich weniger Fahrzeuge als heute. Der Bestand wird von etwa 45 Millionen Autos auf nur noch acht bis zehn Millionen sinken. Die Fahrleistung wird sich allerdings nicht verringern, so dass diese autonomen Fahrzeuge 100 000 Kilometer und mehr im Jahr unterwegs sein werden. Haben wir heute einen Ersatzbedarf von rund drei Millionen Autos im Jahr, werden es künftig kaum weniger sein, denn nach drei bis vier Jahren werden die autonomen Fahrzeuge verschlissen und technisch überholt sein. Das erfordert kürzere Modellzyklen, die der schnellen technologischen Entwicklung Rechnung tragen können.
Parkplätze verschwinden
Werden die Straßen auch nicht leerer, wird man bald keine Parkplätze mehr benötigen. Natürlich werden diese zehn Millionen autonomen Autos nicht ständig unterwegs sein. Sie werden aber nicht mehr vor unserer Haustür parken müssen. Die Betreiber der neuen Flotten werden ihre Fahrzeuge an strategisch sinnvollen Punkten platzieren - ähnlich wie den heutigen Taxiständen - Taxen wird es dann natürlich nicht mehr geben.
Die meisten autonomen Fahrzeuge werden auf großen Flächen in den Randlagen der Ballungszentren abgestellt. Dort wird es Wartungseinrichtungen und Waschanlagen geben. Denn vor allem in den Nachtstunden wird es sich lohnen, die Fahrzeuge vorübergehend ganz aus dem Verkehr zu ziehen.
Schienen nicht mehr gebraucht
Der Unterschied zwischen Schiene und Straße liegt hauptsächlich darin, dass die Schiene eine Führung darstellt. So bedarf die Schiene einer Trasse, wodurch sie von anderen Verkehrsträgern unabhängig wird. Heutige moderne Züge steuern sich weitgehend selbst. Sie haben einen geringeren Flächenverbrauch, weil mehr Menschen gleichzeitig auf engem Raum befördert werden können. Durch die Schienenführung sind zudem höhere Geschwindigkeiten möglich. Abgesperrte Trassen bedeuten auch einen Sicherheitsvorteil.
Aber natürlich birgt ein schienengebundenes System auch Nachteile. Schienen sind naturgemäß unflexibler als Straßen. Bei steigender Geschwindigkeit vergrößert sich der Flächenverbrauch. Zugtrassen sind fast so breit wie Autobahnen und zerschneiden die Landschaft kaum weniger. Wenn die Funktion der Schiene vor allem die Führung des Fahrzeuges ist, dann wird man sie beim autonomen Fahrzeug nicht mehr brauchen, weil diese Führung von der computerisierten Steuerung übernommen wird.
Die Vorteile der Eisenbahn decken sich weitestgehend mit jenen des straßengebundenen autonomen Fahrzeugs: Selbststeuerung, sparsamer Personaleinsatz, Sicherheit, nur um die wichtigsten zu nennen. Vermutlich wird das autonome Fahren auf der Straße bis zu einer Entfernung von 400 oder 500 Kilometern gegenüber dem Bahnfahren zeitliche Vorteile haben. Bei längeren Strecken konkurriert die Bahn mit dem Flugzeug. Für die Eisenbahn wird es dazwischen eng.
Freizeitparks für freies Fahren
Und wo bleibt der Fahrspaß? Der Verkehr heute ist von einer zunehmenden Regulierung geprägt, ein immer dichteres Überwachungssystem und verschärfte Strafen haben die "Freiheit auf der Straße", die Fahrer in den 1960er und 1970er Jahren genossen, immer weiter eingeschränkt. Jüngere Leute verzichten immer häufiger auf den Führerschein. In der Zukunft wird es Freizeitparks fürs freie Fahren geben - vermutlich hügelige Abschnitte in ländlichen Gebieten, die für ein Fahrwochenende angesteuert werden.
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