"MM"-Debatte

Wie schaffen wir es gesund in die digitale Zukunft, Frau Welpe und Frau Brosi?

Gesundheit muss stärker in den Fokus von Organisationen rücken, fordern die Wissenschaftlerinnen Isabell M. Welpe und Prisca Brosi. Führungskräfte spielen dabei eine wichtige Rolle. Doch auch Mitarbeiter selbst können etwas gegen den Stress tun. Ein Gastbeitrag.

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Isabell M. Welpe, Prisca Brosi
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Megatrend oder Schreckgespenst? Die Digitalisierung ist für Mitarbeiter mit Stress verbunden. Deshalb wird Erholung zu einer wichtigen Ressource. © Istock /Technische Universität München

Die Digitalisierung ist für viele Menschen immer noch ein Schreckgespenst. Oftmals denken sie sowohl im privaten Alltag als auch im beruflichen Leben primär an die negativen Veränderungen durch die Digitalisierung. Im privaten Alltag machen sie sich in Bezug auf soziale Netzwerke Sorgen um ihre Sicherheit sowie die ihrer Kinder, sie fragen sich, ob ihr Geld bei einem FinTech – also bei einem innovativen Finanzdienstleister – gut aufgehoben sein könnte, bekommen Spam-Mails, und schieben den Gedanken darüber, was Google und Amazon über ihr Leben wissen, lieber beiseite.

Jedoch hat die Digitalisierung auch viele positive Konsequenzen für unser aller Leben. So freuen wir uns beispielsweise darüber, Essen, Kleidung und Schuhe über das Internet zu bestellen, Musik über Spotify zu entdecken, über soziale Netzwerke alte Freunde wiederzufinden, unsere Urlaubserinnerungen digital mit unseren Freunden zu teilen, unser U-Bahn-Ticket bequem per App zu lösen und über viele andere durch die Digitalisierung ermöglichte Anwendungen, die unser Leben schöner und vor allem einfacher machen.

In ähnlicher Weise wie im privaten Leben hat die Digitalisierung auch in unserem beruflichen Alltag und am Arbeitsplatz sowohl positive als auch negative Konsequenzen. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten zweijährigen Forschungsprojekt haben wir diese Konsequenzen untersucht. Die Ergebnisse zeigen die folgenden mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungen für Mitarbeiter in Unternehmen.

Häufig werden primär die zunehmende Technologisierung und Automatisierung als Folgen der Digitalisierung im Arbeitsalltag genannt. Jedoch sind die Veränderungen vielseitig und weit über Technologie hinausreichend. So verändert sich auch die Art und Weise, in der wir zusammenarbeiten und kommunizieren. Dabei stellt insbesondere die oft beschriebene Flut an E-Mails Mitarbeiter vor die Frage, wie sie mit der damit verbundenen Informationsdichte umgehen können.

Eine weitere wichtige Dimension bezieht sich auf das Leistungs- und Talentmanagement in Unternehmen. Zum einen steigen die Anforderungen an Mitarbeiter, da auf Grund neuer Technologien und kontinuierlicher Veränderungen die Kompetenzanforderungen an Mitarbeiter wachsen und sich verändern. Mitarbeiter müssen sich kontinuierlich an diese Kompetenzanforderungen anpassen und ihr Wissen aktualisieren. Das Stichwort in diesem Zusammenhang ist lebenslanges Lernen.

Zum anderen wird Leistung in vielen Bereichen transparenter. Transparenz über die eigene Leistung kann ein wichtiger Ansporn sein. Wenn Unternehmen über digitale Protokolle von Aufenthaltsorten, Kommunikationsverhalten und Zeiteinteilung ihrer Mitarbeiter verfügen, ist dies jedoch auch kritisch zu betrachten.

Gleichzeitig haben jedoch nicht nur Unternehmen einen erhöhten Zugang zu Daten und Informationen über Mitarbeiter. Auch Mitarbeiter haben einen besseren Zugang zu Informationen und können von der Geschäftsführung direkt über wichtige Entwicklungen informiert werden. So nutzen einige Unternehmen beispielsweise digitale Kommunikationsmedien um selbst Vorstandsmeetings transparent zu machen oder die Meinung der Mitarbeiter bei wichtigen Entscheidungen einzuholen. Die Digitalisierung führt damit auch zu einer höheren Demokratisierung.

Eine weitere wichtige Dimension der Veränderungen in Unternehmen auf Grund der Digitalisierung haben wir im Bereich Gesundheit identifiziert. Viele der bereits beschriebenen Veränderungen wie der Umgang mit der Informationsdichte und veränderte Kompetenzanforderungen erhöhen die Herausforderungen an Mitarbeiter, die ihnen in ihrem beruflichen Alltag gestellt werden. Auf der einen Seite ist dies äußerst positiv. Herausforderungen machen unseren Alltag spannender und erhöhen dadurch die Motivation.

Auf der anderen Seite ist die Überwindung von Herausforderungen jedoch auch mit einem erhöhten Erleben von Stress verknüpft. Insbesondere dann, wenn wir kontinuierlich mit Herausforderungen konfrontiert sind. Ohne zwischendurch Erholungs- und Entspannungsphasen erleben zu können, kann dieses Stresserleben zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen und Burnout führen.

Eine zweite Veränderung im Bereich von Gesundheit ist die veränderte Beziehung von Beruf- und Privatleben. Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen eine hohe Flexibilität. Aus technischer Sicht können viele Mitarbeiter frei entscheiden, wann und wo sie arbeiten möchten. Gleichzeitig führt die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien jedoch auch zum Phänomen der ständigen Erreichbarkeit. Anstatt die Flexibilität zu nutzen um unsere Arbeit nach unseren Bedürfnissen einzuteilen, nutzen wir sie um durchgängig zu arbeiten. Ganz offensichtlich wirkt sich diese Entwicklung negativ auf die Gesundheit von Mitarbeitern aus.

Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ist eine der aus dem Projekt resultierenden Thesen, dass Gesundheit stärker in den Fokus von Unternehmen rücken muss. Die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung sind nicht per se schlecht, denn sie machen unsere Arbeit spannender und fördern häufig innovatives Arbeitsverhalten. Es geht daher vor allem darum, Mitarbeitern die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die ihnen den Umgang mit den sich ihnen stellenden Herausforderungen erleichtern.

Eine wichtige Ressource für Mitarbeiter ist Erholung – nicht nur außerhalb, sondern insbesondere bei der Arbeit. In Bezug auf Erholung bei der Arbeit fallen als erstes die Mittagspausen ein. Diese sind jedoch nur dann erholsam, wenn Mitarbeiter sie autonom gestalten können. Überlegen Sie, welcher Ort, welche Aktivität und welche Interaktionspartner Ihnen guttun.

Auch kleine Pausen zwischendurch können helfen. Jedoch sollten Sie in diesen nicht Ihre E-Mails checken oder im Web surfen, wenn Ihre Arbeit bereits ein hohes Maß an Informationsverarbeitung beansprucht, weil Sie dann auf die gleichen Ressourcen zurückgreifen. Zuletzt können Sie auch die Arbeit selbst für Erholung nutzen, wenn Sie im Rahmen der Gegebenheiten Aufgaben mit unterschiedlicher Belastung bewusst abwechselnd einplanen.

Eine weitere wichtige Ressource, die Mitarbeiter selbst beeinflussen können, ist die eigene Aufmerksamkeit. Eine Studie zeigt, dass Mitarbeiter im Durchschnitt 46 Prozent ihrer Zeit mit ihren Gedanken abschweifen – dabei denken sie nicht an fröhliche Dinge, sondern verfangen sich häufig in einem Strudel von negativen Bewertungen und Emotionen, die das Wohlbefinden negativ beeinflussen. Dies erklärt, warum gerade die Wirksamkeit von Achtsamkeitstrainings, in denen das bewusste Erleben des Augenblicks durch entsprechende Atemtechniken gelernt wird, durch wissenschaftliche Studien bestätigt wurde. Erarbeitet wird das gezielte Lenken der eigenen Aufmerksamkeit und die achtsame Ausübung von Routinetätigkeiten.

Eine letzte wichtige Ressource sind vor dem Hintergrund von flexiblem Arbeiten und ständiger Erreichbarkeit die Führungskräfte in Unternehmen. In den meisten Unternehmen entscheidet die direkte Führungskraft, ob und wie viel Flexibilität sie ihren Mitarbeitern ermöglicht. Darüber hinaus wirken Führungskräfte bewusst oder unbewusst in hohem Maße darauf ein, wie Mitarbeiter ihre Flexibilität nutzen können. Wenn Führungskräfte klarstellen, dass keine Antwort auf E-Mails außerhalb der Geschäftszeiten erwartet wird, ist dies ein wichtiges Signal.

Führungskräfte prägen durch ihre Werte, ihr Bewusstsein über das Wohlbefinden von Mitarbeitern sowie gesundheitsbewusstes Verhalten das Klima in Unternehmen. Da auch Führungskräfte Vorgesetzte haben, wird auf diese Weise die Kultur des gesamten Unternehmens geprägt.

Isabell M. Welpe und Prisca Brosi

  • Prof. Dr. Isabell M. Welpe ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München und Direktorin des Bayerischen Staatinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung.
  • Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategie, Führung und Innovation sowie der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre aktuellen Projekte beschäftigen sich vor allem mit dem digitalen Wandel der Zukunft von Führung, Arbeits- und Organisationskonzepten. Sie ist Vorstandsmitglied im Center for Digital Technology & Management und Mitglied im „Münchner Kreis“.
  • Dr. Prisca Brosi ist Habilitandin und Post-Doktorandin am Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Führungs- und Managementsystemen in Unternehmen und richtet dabei einen besonderen Fokus auf Emotionen. Sie promovierte zum Einfluss von positiven Emotionen auf Verhalten und Führung am Lehrstuhl für Strategie und Organisation.
  • Im Campus Verlag erschienen ist: „Digital Work Design. Die Big Five für Arbeit, Führung und Organisation im digitalen Zeitalter“, von Isabell M. Welpe; Prisca Brosi; Tanja Schwarzmüller.

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