„Das passiert uns bestimmt nicht!“ Der Gedanke an eine Affäre und ihre Konsequenzen für die Beziehung macht vielen Menschen Angst. Deswegen schieben sie das Thema von sich, in der Hoffnung, dass sie davon nie betroffen sein werden. Doch die Realität zeigt uns etwas anderes. Denn 50 Prozent aller Paare über 40 Jahre, die mehr als sieben Jahre zusammen sind, sind wissentlich oder unwissentlich davon betroffen. Für sie stellen sich dann viele Fragen: Wie sollen wir jetzt damit umgehen? Bedeutet dies das Ende unserer Beziehung oder gibt es noch eine Chance? Wie kam es überhaupt dazu? Und: Können wir uns überhaupt noch einmal vertrauen?
Zuerst schauen wir auf die Gründe, denn nichts ist interessanter für den betrogenen Part, als die Antwort auf die Frage: Warum? In meinen Paartherapien habe ich es bisher nicht ein Mal erlebt, dass eine Person aktiv losgezogen ist, um sich eine Affäre zu suchen. Das heißt, Affären schleichen sich meisten still und leise in Beziehungen ein.
Die Gastautorin
Ina Jornitz ist 38 Jahre alt und arbeitet als Systemische Beraterin, Systemische Paartherapeutin und Systemische Sexualtherapeutin aktuell noch mit eigener Beratung im Rhein- Neckar-Kreis und ab 1. August 2024 mit neuer Praxis in Heilbronn. Zudem finden viele Termine online statt.
Privat lebt sie in einer Patchworkkonstellation mit einem acht Jahre altem Sohn im Wechselmodell sowie einem kleinen Hund und seit mehreren Jahren mit neuem Partner an ihrer Seite.
Oft kennen sich die zwei Personen bereits, weil sie beruflich oder privat über gemeinsame Hobbys oder die Kinder in Kontakt stehen. Der Austausch wird allmählich enger, bis dann auch Erlebnisse geteilt werden, die mit dem eigentlichen Themengebiet nichts mehr zu tun haben. Es werden Gemeinsamkeiten und Interessen gefunden und die neue, gute Bekanntschaft wird als attraktiv wahrgenommen. Man freut sich, wenn man sich wiedersieht, es kribbelt.
„Was wäre, wenn?“ Diese Frage gewinnt mehr und mehr an Raum, und die Prioritäten zwischen Primärbeziehung und anbahnender Außenbeziehung beginnen sich zu verändern. Ein Vergleich findet statt. Eine Gegenüberstellung zwischen dem Neuen und dem Altbekannten. Wie zufrieden bin ich überhaupt noch in meiner Beziehung? Da kribbelt schon lange nichts mehr und auch das Sexleben ist über die Jahre abgeflaut. Eigentlich waren wir doch glücklich miteinander, oder? Aber warum denke ich dann häufig an die andere Person?
"Wie zufrieden bin ich überhaupt noch in meiner Beziehung? Da kribbelt schon lange nichts mehr"
Man lernt sich besser kennen und die Grenze, die die Primärbeziehung umgibt, wird überschritten. Wenn es sie überhaupt gibt. Leider definieren viele Paare die Grenzen der Beziehung nicht explizit, sondern gehen davon aus, dass es ein stillschweigendes Übereinkommen über Treue und Untreue gibt. Ist die Affäre erstmal bekannt, sorgt das für viel Zündstoff. Wann wurde die emotionale, die körperliche oder die sexuelle Exklusivität überschritten? Das sorgt für heftige Auseinandersetzungen. Final geklärt werden, kann ohnehin nur die gegenwärtige Situation. Aber eins steht fest: Nahezu keine Affäre bleibt auf Dauer im Verborgenen.
In den meisten Fällen kommt die Außenbeziehung ans Licht. Entweder wird sie aufgedeckt oder freiwillig offengelegt. Bei meinen Paaren ist dies in der Regel nach durchschnittlich zwei Monaten der Fall. Kaum jemand, der von dieser Thematik nicht selbst betroffen war, kann sich vorab ein Bild davon machen, was dieser Einschnitt bedeutet. Es geht im Moment des Bekanntwerdens der Affäre darum, dass absolut alles, was sich das Paar gemeinsam aufgebaut hat, mit einem großen Knall geplatzt ist.
"Die größte Verbindung, um nicht austauschbar innerhalb unserer Beziehung zu sein, ist die emotionale"
Die Gefühle fahren Achterbahn, der Griff geht zum Smartphone, die beste Freundin oder der beste Kumpel werden informiert. Der oder die Schuldige steht umgehend fest! Die Frage nach dem/der Affärepartner:in und dem aktuellen Stand hat oberste Bedeutung bei den Betrogenen. Doch was dann? Trennung oder Bleiben? Alles, was wir uns vorgenommen haben, im Falle, dass dieses Worst-Case-Szenario eintritt, ist plötzlich hinfällig. Denn nicht selten kommt es vor, dass der betrogene Part die untreue Person dennoch liebt und beide die Beziehung „nicht einfach wegwerfen“ wollen.
An diesem Punkt klingelt meist mein Telefon, denn schnell wurde festgestellt, dass es nicht unbedingt eine gute Idee war, Freunde und Familie mit einzubeziehen oder nach intimen Details aus den geheimen Treffen zu fragen. Ein anderer Umgang muss also zwangsläufig gefunden werden, wenn die Paare wieder zueinanderfinden wollen. Denn klar ist: Es gibt immer eine Chance für die Beziehung – sofern beide Partner bereit sind, etwas zu verändern! Auch wenn es kaum vorstellbar ist. Eine Affäre ist für eine Beziehung definitiv überlebbar, und die Bindung zwischen den Partnern kann danach intensiver, vertrauensvoller und liebevoller werden als zuvor.
"Eine Beziehung kann durch das Aufkommen einer Außenbeziehung besser werden als zuvor"
Doch wie gehe ich richtig vor, wenn eine Affäre bekanntwurde? Für die betroffenen Paare ist wichtig: Behaltet das Thema für euch und überlegt euch gut, wen ihr einweihen wollt. Denn häufig haben die Partner nach einer Paartherapie einen anderen Umgang miteinander gefunden, möchten zusammenbleiben und an ihrer Beziehung arbeiten. Der eingeweihte Familien- oder Freundeskreis kann dies oft nicht nachvollziehen.
Des Weiteren sollte sich die betrogene Person gut überlegen, welche Details sie wirklich wissen will. Warum? Weil die durch die Antworten entstandenen Bilder nicht mehr so einfach aus dem Kopf verschwinden. Gleichermaßen gilt dies für die untreue Person. Gerne wird versucht, das eigene Gewissen reinzuwaschen, indem man möglichst alles detailliert erzählt.
Was an dieser Stelle oft vergessen wird, ist, dass sowohl die betrogene Person als auch die untreue Person entscheiden müssen, wie es weitergehen soll. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten: Die Entscheidung für die Primärbeziehung, die Entscheidung für die Affäre, die Veränderung des Beziehungskonstrukts, etwa eine offene Beziehung leben, oder keine dieser Varianten, also das Beenden beider Beziehungen. Erfahrungsgemäß braucht es viele Gespräche, um Klarheit zu erlangen.
„Doch was ist, wenn dies noch einmal vorkommt?“ Natürlich stellt sich diese Frage zwangsläufig und insbesondere für den betrogenen Part. Die größte Verbindung, um nicht austauschbar innerhalb unserer Beziehung zu sein, ist die emotionale. Umso enger diese ist, umso weniger Gefahr besteht, dass sich unsere Beziehungsperson in einem schwachen Moment gegen die Vereinbarungen der Beziehung entscheidet.
Hierfür muss sich ein Paar zwingend darüber unterhalten, wo die Beziehungsgrenze liegt. Wo fängt Fremdgehen an? Wo auf körperlicher, wo auf emotionaler, wo auf sexueller Ebene? Aus einem „Das wird bei uns nicht passieren!“ wird in 50 Prozent der Fälle ein „Das hätte ich niemals gedacht, dass unserer Beziehung so etwas passiert!“.
Um nach einer Affäre eine tiefe, vertrauensvolle und glückliche Beziehung zu gestalten, sind folgende Punkte unabdingbar: Die Aktive Treue in der Beziehung leben und an der Beziehung arbeiten – nämlich an der Paardynamik, die vorhanden war, bevor es zur Affäre kam.
„Doch was ist aktive Treue?“ Aktive Treue muss eigenverantwortlich gelebt werden, und dies funktioniert nur, wenn wir uns bewusst sind, was gerade mit uns und um uns herum passiert. Ein häufiges Beispiel aus der Praxis: Zwei Arbeitskolleg:innen, die sich sympathisch sind und in einem engen Austausch stehen, treffen sich auf der Firmenfeier. Es wird gegessen, geredet, gelacht, getanzt, getrunken, und es kommt dazu, dass die aktiv treue Person die Verantwortung übernimmt und sich pro Beziehung positioniert, indem sie sagt: „Ich gehe jetzt“.
Das war das Last-Exit-Szenario, bevor es zu spät ist, denn aktive Treue fängt im Idealfall viel früher an. Nämlich dann, wenn eine Person bemerkt, dass das Interesse über das Themengebiet, weswegen beide miteinander in Kontakt stehen, hinausgeht. Wenn die Fragen persönlicher und privater werden. Wenn nach der Handynummer gefragt wird. Immer dann, wenn das Gefühl aufkommt, dass ein Fenster in die Primärbeziehung geöffnet wird. Wenn wir uns über Dinge und Befindlichkeiten austauschen, die eigentlich für unsere Beziehungsperson bestimmt sind. Wenn Berührungen stattfinden. Wenn sexuelles Interesse entsteht. Wenn wir uns emotional abgeholt fühlen. All diese Punkte sind – sollte es das Paar nicht anders besprochen haben – exklusive Beziehungsthemen.
„Was können wir tun, um nach der Affäre nicht da weiterzumachen, wo wir zuvor stehengeblieben sind?“ Die Sehnsucht nach etwas Neuem, etwas Leichterem, jemand Anderen hat den Raum für die Affäre ermöglicht. Diese verborgenen Wünsche, die nicht innerhalb der Beziehung ausgelebt wurden, haben jetzt die Möglichkeit, gesehen und gehört zu werden. Genau hier liegt die Chance für das Paar, sich fortan gemeinsam weiterzuentwickeln, hinzusehen anstatt wegzusehen und zu verändern, was für mindestens eine der beiden Personen nicht mehr ausreichend war. Ein Austausch über diese Themen sorgt für ein neues Miteinander und für die Veränderung, die nötig ist, damit sich beide in der Beziehung wieder verbunden fühlen.
Die Verantwortung für das Zulassen einer Affäre trägt eine Person in der Beziehung zu 100 Prozent. Die Verantwortung für die Dynamik in der Beziehung vor der Affäre tragen beide Partner zu je 50 Prozent. Eine Beziehung kann durch das Aufkommen einer Außenbeziehung besser werden als zuvor, wenn eine Person sich dazu bekennt und die Verantwortung für die 100 Prozent übernimmt und beide Partner in Folge dessen gemeinsam daran arbeiten, die Beziehung auf neue Beine zu stellen.
Durch korrigierende Beziehungserfahrungen lernen wir, dass Vertrauen zurückkommen kann und dass wir uns gemeinsam mit unserem Partner und unserer Beziehung verändern und Krisen meistern können. Es lohnt sich!
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