In der Informationsgesellschaft findet eine stille Revolution statt, die die Grundfesten der Demokratie bedroht. Ein Großteil der Verbraucher informiert sich heute über zentrale Plattformdienste wie Suchmaschinen oder soziale Netzwerke. Deren Algorithmen steuern, wer wann welche Informationen erhält – oder auch nicht.
Diese zentralen Plattformdienste sind in den Händen einiger weniger Technologieunternehmen, allen voran Google, Microsoft, Amazon, Meta und ByteDance. Schon bisher nutzten sie die Plattformen, um den Zugang zu Inhalten, die Dritte erstellt haben, nach ihren eigenen Geschäftsinteressen zu steuern. Sie kontrollieren aus dem Ausland, mit welchen Inhalten Verbraucher im Inland in Berührung kommen.
Diese Vermittlungsmacht wird eingesetzt, um nationale, regionale und lokale Inhalteanbieter, deren Existenz von der Vermittlung abhängt, wirtschaftlich unter Druck zu setzen und gefügig zu machen. Das Zwischenschalten von im Eigeninteresse agierenden ausländischen Plattformen verzerrt schon heute die freie Kommunikation zwischen Verbrauchern und heimischen Medien, behindert den freien Zugang zu Informationen und gefährdet die demokratische Willensbildung.
Generative künstliche Intelligenz verschärft die Problematik. Plattformen sind dazu übergegangen, fremde Inhalte nicht nur nach eigenen Algorithmen zu gewichten, sondern sie auch für die kostengünstige Generierung eigener Inhalte zu nutzen. Plattformen können dank KI Fremd-Inhalte beliebig in eigene Inhalte umformen und diese prominenter verbreiten als die Originale. In den Suchergebnissen und Newsfeeds tauchen dann nicht mehr die originären redaktionellen Artikel von Verlagen auf, sondern KI-generierte Zusammenfassungen oder Re-Kombinationen einzelner Informationen aus verschiedenen Beiträgen. Sofern Quellen überhaupt angegeben werden, verkommen sie zu Belegfußnoten, denen Nutzer keine Bedeutung schenken.
Die gleichzeitige Kontrolle über die Gewichtung und die Verbreitung fremder Inhalte und die Generierung eigener Inhalte schafft Anreize, unliebsame Dritt-Inhalte zu verbergen und wohlwollende Inhalte zur Not selbst zu generieren und breiter zu streuen als alle anderen.
Die Integration generativer KI in zentrale Plattformdienste schafft aber nicht nur neue Spielräume zur Manipulation kommerzieller oder politischer Entscheidungen. Sie stärkt auch die Position der Plattformen auf Werbemärkten – zu Lasten redaktioneller Medien.
Der Anteil traditioneller Medien an den Werbeerlösen sinkt seit Jahren. Während etwa Verlage in tausende Journalistinnen und Journalisten vor Ort investieren, um redaktionelle Beiträge zu erstellen, erzielen Plattformen wie Google, Amazon und Meta mit vergleichsweise wenigen Beschäftigen Milliardenumsätze allein durch Werbung.
Der Gastautor
Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Höppner ist Kartellrechtler und Partner der Kanzlei Hausfeld. Er setzt sich seit Jahren für die Begrenzung digitaler Marktmacht ein.
Der Beitrag beruht auf dem wissenschaftlichen Aufsatz „On the Antitrust Implications of Embedding Generative AI in Core Platform Services“, erschienen in „CPI Antitrust Chronicles“. Bild: BDZV/Zumbansen
Sie locken Nutzer mit Dritt-Inhalten auf ihre Plattformen und monetarisieren ihre Aufmerksamkeit durch Anzeigen. Sie recherchieren keine eigenen Berichte, prüfen keine Fakten, aber schöpfen die Gewinnmargen derer ab, die unter hohen Risiken und Kosten Informationen aufbereiten, produzieren und begreifbar machen.
Verlage haben ihre redaktionellen Inhalte Google & Co. zugänglich gemacht, um Verbraucher auf ihre Seiten aufmerksam zu machen. Doch statt Verbraucher an sie weiterzuleiten, formen Plattformen nun die ins Netz gestellten Inhalte mittels KI in eigene Inhalte um.
KI-unterstützte Anwendungen wie Googles „AI Overviews“, Metas personalisierte Newsfeeds oder die Chat-Nachrichten in OpenAIs SearchGPT, sind Paradebeispiele für dieses Vorgehen: Sie fassen Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen und präsentieren sie im eigenen Umfeld. Das bindet Nutzer an die Plattform – und es nimmt Verlegern die Chance, ihre Inhalte selbst zu monetarisieren. Anstatt aktiv unterschiedliche Nachrichtenquellen zu nutzen, bleiben Nutzer zunehmend in einem abgeschlossenen digitalen Ökosystem. Die Abhängigkeit von wenigen Plattformen, die einen Großteil des Informationsflusses kontrollieren, wächst.
Die Konsequenz: Unabhängige Medien geraten immer mehr aus dem Blick. Die Aufmerksamkeit, der Traffic, als entscheidender Faktor für Reichweite und Einnahmen der Verlage, wird auf Plattformen umgeleitet, die selbst zur Informationsquelle werden. Die eigentlichen Produzenten von Journalismus geraten ins Abseits, ihre Marken, ihre Autorität und ihr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung schwinden. Die Vielfalt der Quellen und Perspektiven, die für eine demokratische Meinungsbildung essenziell ist, geht verloren.
Infolge der Marginalisierung auf den Werbemärkten muss insbesondere die private Presse ihr Angebot immer stärker zurückfahren und auf Bezahlmodelle umstellen. Ein Teufelskreis entsteht: Je teurer der Zugang zu redaktionellen Inhalten wird, weil eine Werbefinanzierung aufgrund der Macht der Plattformen nicht funktioniert, desto mehr Verbraucher informieren sich stattdessen über genau diese – für sie vermeintlich kostenlosen – Plattformen, was die wirtschaftliche Schieflage noch verstärkt. Vor allem leidet darunter aber die freie Meinungsbildung.
In dem Umfang, in dem Plattformen redaktionelle Medien als primäre Informationsquellen verdrängen, potenzieren sich die polarisierenden Kräfte, die Plattformen inhärent sind. Digitalkonzerne zielen darauf ab, Nutzer so lange wie möglich auf ihren Plattformen zu halten, um mehr Anzeigen einblenden zu können. Die Algorithmen belohnen deshalb Inhalte, die Aufmerksamkeit und Verweildauer maximieren. Es gilt: Was die Gemüter erregt, fördert Interaktionen, erhöht die Nutzungszeit und steigert so die Werbeerlöse. Populistischen, polemischen und hetzerischen Inhalten wird darum mehr Sichtbarkeit eingeräumt als ausgewogenen Berichten.
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Mit fatalen Folgen: Extreme Positionen an den Rändern bekommen mehr Aufmerksamkeit und damit Einfluss auf die Meinungsbildung als ausgewogene und konsensfähige Positionen in der Mitte der Gesellschaft. Das verzerrt das reale Bild. Die Gesellschaft erscheint zersplitterter, aufgeheizter und aggressiver, als sie tatsächlich ist. Gleichzeitig leidet die Meinungsbildung, weil Menschen nicht primär die ausgewogenen Inhalte, sondern vorrangig das zu sehen bekommen, was bei Nutzern – gerade wegen Grenzüberschreitungen – die stärksten Reaktionen ausgelöst hat oder am ehesten die bereits bestehenden Überzeugungen bestätigt und verfestigt. Es entstehen individuelle Filterblasen und Echokammern. Das erschwert den Dialog und die Bildung von Konsens in sozialen Medien. Und je seltener deren Nutzer auf andere Informationsquellen zurückgreifen, desto größer wird das Problem.
Darf ein demokratischer Staat den gesellschaftlichen Diskurs den auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Algorithmen global agierender Plattformen überlassen? Wer Meinungsvielfalt im Digitalen erhalten möchte, kann einer Handvoll US-Plattformen nicht die uneingeschränkte Kontrolle über Inhalte und deren Verbreitung geben.
Die Plattformen dürfen den Journalismus der Verlage nicht als eigene Werke vereinnahmen. Sie müssen dazu verpflichtet werden, für die verwendeten Inhalte zu bezahlen. Mehr noch: Medien müssen die Kontrolle über ihre Inhalte und deren Nutzung durch KI-Systeme behalten. Wenn ihr Journalismus ungefragt verwendet wird, verliert die Presse ihre Finanzierungsgrundlage.
Es muss auch über eine stärkere Trennung von Inhalte-Erstellung und -Verbreitung nachgedacht werden: Wer als Gatekeeper eine Plattform zur Verbreitung von meinungsbildenden Inhalten betreibt, sollte nicht gleichzeitig solche Inhalte generieren und über die Plattform verbreiten. Nur so können Interessenkonflikte vermieden werden, bevor sie in Manipulationen münden, die wegen der Blackbox-Problematik kaum nachprüfbar und noch schwerer zu adressieren sind.
Eine schnelle und klare Regulierung ist unverzichtbar. Die Politik ist aufgefordert, ihre Verantwortung aus Artikel 5 des Grundgesetzes, dem Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, ernst zu nehmen. Sie muss einen rechtlichen Rahmen schaffen, in dem die Institution Presse und Medienvielfalt bestehen können. Es darf kein Monopol auf Meinungsbildung geben.
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