Debatte

Wie können Unternehmen mit weniger Neueinstellungen mehr erreichen, Herr Koch?

In Zeiten des Fachkräftemangels ist das wohl eine gute Nachricht: Es braucht nicht immer neue Mitarbeitende, um wettbewerbsfähig zu sein. Ein Gastbeitrag.

Von 
Corina Busalt
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Unternehmen, die in ihre Mitarbeitende investieren, schaffen es auch, wettbewerbsfähig zu bleiben, sagt unser Gastautor Basti Koch. © Getty Images

Mannheim. Der Arbeitsmarkt steckt in der Klemme: Einerseits fehlen Fachkräfte, andererseits sind Neueinstellungen für viele Unternehmen aktuell nur schwierig zu finanzieren. Die Anwerbung von Mitarbeitenden ist mit einer Stellenanzeige heutzutage nicht mehr getan; diese muss gleich auf diversen Plattformen ausgeschrieben werden. Hinzu kommen hohe Standgebühren für Karrieremessen und Kosten für Social-Media-Inhalte. Je nach Erfahrungslevel müssen Unternehmen auf Headhunter zurückgreifen. Da schlagen schnell Kosten in Höhe von Tausenden Euro zu Buche.

Auch die Einführung ins Unternehmen, die administrativen Prozesse – alles kostet Zeit und letztlich Geld. Doch selbst wenn eine offene Stelle besetzt werden kann – wer garantiert, dass die neue Person genau die Fähigkeiten mitbringt, die das Unternehmen dringend braucht?

Auf der anderen Seite zeigt der Future of Jobs Report des Weltwirtschaftsforums: Fast 60 Prozent der Arbeitskräfte weltweit müssen sich bis 2030 weiterbilden, um mit den Anforderungen der Arbeitswelt Schritt halten zu können.

Das bedeutet: Statt nur nach neuen Mitarbeitenden zu suchen, müssen Unternehmen gezielt in die Weiterentwicklung ihres bestehenden Teams investieren – das kann sich mittelfristig dann aber umso mehr rechnen.

Lernen als Strategie gegen Fachkräftemangel

Denn: Firmen, die strategisch in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren, sind innovativer, produktiver und können sich schneller an Veränderungen anpassen. Dabei sind vor allem zwei Ansätze zu unterscheiden:

Erstens die Weiterbildung im aktuellen Job, das sogenannte Upskilling: Mitarbeitende erwerben neue Fähigkeiten, die in ihrem Berufsfeld immer wichtiger werden – zum Beispiel lernt die Werbetexterin noch zusätzlich den Umgang mit digitalen Tools und kann stärker im Kampagnenmanagement aktiv werden, wo es im Unternehmen vielleicht noch Bedarf gibt.

Der Gastautor



Basti Koch ist Spezialist für E-Learning und Product Director von sparks, dem Microlearning-Tool aus der Haufe Akademie. Basti half bereits einem US-Geheimdienst sowie der Londoner Polizei bei der Weiterbildung mittels E-Learning.

Mit sparks befähigt er Menschen, Teams sowie Organisationen, täglich etwas besser zu werden. Denn er ist überzeugt: Mit der richtigen Lernkultur und Weiterbildungsstrategie können Mitarbeitende die Zukunft ihres Unternehmens vorantreiben.

Bei der Haufe Group verantwortete Basti bereits unterschiedliche Innovationsinitiativen . Zuvor entwarf er das weltgrößte Portal zur Lawinenprävention in Zürich und war in London als Instructional Designer tätig. Basti erwarb seinen Master of Science in Instructional Design an der Florida State University.

Zweitens die Umschulung für andere Aufgaben im Unternehmen, das Reskilling: Mitarbeitende wechseln in neue Rollen und werden dafür gezielt weitergebildet, statt durch externe Neueinstellungen ersetzt zu werden. So könnte ein langjähriger Produktmanager, der schon immer gut und strukturiert sprechen konnte, die vakante Stelle im Sales-Team besetzen, wenn er die Spezifika gelernt hat. Doch auch Weiterbildung will – und muss – gelernt sein.

Vier Stellschrauben für erfolgreiche Weiterbildung

Denn einer der häufigsten Fehler bei Weiterbildungsmaßnahmen im Unternehmen ist: Weiterbildung wird als isolierte Maßnahme betrachtet – etwa in Form von Tagesseminaren, die einmal im Jahr stattfinden. Doch einmalige Workshops führen selten dazu, dass Wissen langfristig verankert oder im Arbeitsalltag angewendet wird.

Fünf bis zehn Minuten jeden Tag zu lernen, ist in den meisten Fällen deutlich effektiver als ein Tage füllendes Seminar alle 365 Tage.

Die wichtigste Stellschraube, um Mitarbeitende zu fördern, ist daher, Lernen in den täglichen Arbeitsablauf zu integrieren – mit kurzen, gezielten Einheiten, die direkt auf aktuelle Herausforderungen der Mitarbeitenden eingehen. Das kann über Microlearning-Ansätze geschehen: kurze Impulse, die Zeitmanagement-Modelle wie die Eisenhower-Matrix vermitteln oder Tipps zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz geben.

Fünf bis zehn Minuten jeden Tag zu lernen, ist in den meisten Fällen deutlich effektiver als ein Tage füllendes Seminar alle 365 Tage.

Weiterbildung muss einen egoistischen Bedarf wecken

Die zweite wichtige Stellschraube ist, dass erfolgreiche Weiterbildung einen egoistischen Bedarf wecken muss.

Mitarbeitende müssen erkennen, welchen konkreten Vorteil sie für sich selbst aus dem Lernen ziehen. Viele von uns haben zu Schulzeiten den Satz von ihren Eltern gehört: „Du lernst nicht für uns, sondern für dich.“ Und genauso wie damals muss aber dieses Lernen-wollen auch im beruflichen Kontext aktiviert werden.

Und die Lust aufs Lernen entsteht am ehesten, wenn ich einen persönlichen Mehrwert darin sehe: Ich etwa meine Arbeit schneller oder einfacher erledigen kann, es also eine praktische Auswirkung gibt, oder mich das Thema wirklich interessiert. Auch in der Schulzeit haben die wenigsten gerne trocken Vokabeln gelernt. Wenn es aber darum ging, den Lieblingssong zu verstehen, war das Wörterbuch nicht weit.

Je persönlicher und individueller die Lerninhalte also sind, desto eher wird die Weiterbildung funktionieren. Das Gegenteil dessen sind tagesfüllende Gruppenseminare, bei denen oftmals Menschen mit unterschiedlichen Wissensständen zusammenkommen. Sie funktionieren dann, wenn es darum geht, sehr klare Regeln oder Vorgaben zu vermitteln, etwa im Erste-Hilfe-Kurs.

Geht es wirklich um individuelle und persönliche Förderung, dann sind zielgerichtetere Maßnahmen besser. Digitale Tools können viel eher die individuellen Wissensstände adressieren und, etwa basierend auf Algorithmen, die nächste passende Lerneinheit anbieten.

Fehlende Lernkultur oft ein Problem

Drittens braucht eine erfolgreiche Weiterbildung auch eine gute Lernkultur. Der Satz „Wir bieten Weiterbildungssoftware an, aber kaum jemand nutzt sie“ fällt in vielen Unternehmen – und ein Grund dafür kann die fehlende Lernkultur sein. Also dann, wenn man schief angeschaut wird, dass man etwas nachliest oder nachschaut, vielleicht sogar während der Arbeitszeit in Fachbüchern blättert oder Weiterbildungstools nutzt.

Wenn Führungskräfte selbst zeigen, dass sie kontinuierlich dazulernen, prägt das die gesamte Unternehmenskultur.

Wer für eine gute Lernkultur sorgen möchte, sollte die Akzeptanz des Lernens im Unternehmen steigern. Das kann etwa erfolgen, indem vom Unternehmen Lernzeiten freigegeben werden – zum Beispiel eine halbe Stunde pro Woche für individuelle Weiterbildung. Auch das Teilen von Gelerntem ist ein Zeichen dafür, dass Wissen einen Platz im Unternehmen hat. Das können Slack-Channels mit Learnings sein oder kurze Impulse im Teamcall.

So wird auch für psychologische Sicherheit gesorgt: Es ist okay, über den Tellerrand zu schauen und neue Dinge auszuprobieren.

Führungskräfte sind hier Vorbilder

Viertens, und vielleicht sogar am wichtigsten: Führungskräfte sind ganz entscheidende Vorbilder.

Wenn Führungskräfte selbst zeigen, dass sie kontinuierlich dazulernen, prägt das die gesamte Unternehmenskultur. Ein Teamleiter, der offen sagt: „Ich nehme mir jeden Freitag 30 Minuten Zeit, um mich in neue KI-Tools einzuarbeiten“, vermittelt eine ganz andere Botschaft als jemand, der bei jeder Schulung sagt: „Dafür habe ich keine Zeit“.

Signale können hier auch die Kalender der Vorständin oder des CEOs senden, in denen sichtbare Terminblocker für Lern-Einheiten oder Coachings stehen. All das sind Zeiten, die im Unternehmen gesehen werden – und so auch zur Lernkultur beitragen.

Die Mitarbeitenden sind ein wertvolles Element im Unternehmen. Sie gezielt weiterzubilden, ist – hart wirtschaftlich gesprochen – wertsteigernd. Und: Es helfen oft schon die wirklich niedrigschwelligen Dinge.

Gemeinsames Mittagessen für den Wissensaustausch

Gemeinsame Mittagessen etwa von unterschiedlichen Abteilungen, in denen jeder Bereich eine aktuelle Herausforderung vorstellt und man danach noch zusammensitzt und dazu spricht – eine einfache Maßnahme zum Wissensaustausch. Nicht neu, aber deutlich gesünder als frühere Raucherpausen, in denen genau das passiert ist: Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen aus unterschiedlichen Abteilungen kommen zusammen und lösen Probleme. Nur, dass es mit einem gemeinsamen Mittagessen aus einer strategischen Überlegung heraus erfolgt. Denn diese Weiterbildungsstrategie zu entwickeln, sich Ansätze und Lösungen zu überlegen, das braucht es.

Doch die Beispiele zeigen auch: Neueinstellungen sind nicht der einzige Weg, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wer gezielt in die Entwicklung seines bestehenden Teams investiert, spart nicht nur Kosten und Zeit, sondern macht sein Unternehmen langfristig widerstandsfähiger.

Redaktion

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