Debatte

Wie kann der Friede in Nahost gelingen, Herr Pohl?

Mediator und Rechtsanwalt Marcus Pohl hält die Dreistaatenlösung für eine Möglichkeit, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu lösen. Ein Gastbeitrag.

Von 
Marcus Pohl
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Palästinenser verrichten das Freitagsgebet auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem während des heiligen muslimischen Fastenmonats Ramadan. © Mahmoud Illean/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Dreistaatenlösung könnte Frieden in Nahost fördern.
  • Jerusalem sollte als gemeinsamer Stadtstaat verwaltet werden.
  • Eine säkulare Hauptstadtlösung wäre für beide Seiten vorteilhaft.

Es wäre vermessen, den „ewigen Konflikt“ zwischen Israelis und Palästinensern auf engstem Raum zu kommentieren. Anmaßend, vom Rand des schrecklichen Geschehens aus vermeintlich kluge Tipps zu geben und von Lösung zu sprechen, wo sie allenfalls Vision oder Traum sein kann. Erlauben Sie mir dennoch eine kurze Reihe an Gedanken in der festen Überzeugung, dass Kriege, „subjektiv siegreich“ oder nicht, genauso wie imperiale Fantasien einer „Riviera des Nahen Ostens“ niemals den frisch grassierenden Hass beenden können. Um diesen Hass in und um den Nahen Osten nachhaltig zu beseitigen, bedarf es einer Zäsur und wesentlicher Veränderungen.

These 1: Augenhöhe statt Gefälle

Im Kleinen wie im Großen, im Zwischenstaatlichen wie im Persönlichen gilt: Um einen Konflikt auf dem Einigungswege zu klären, braucht es Augenhöhe. Augenhöhe, um in passender Besetzung zu verhandeln, und Augenhöhe im final balancierten Lösungspaket. Gefälle und Schräglagen gilt es zu erkennen und auszugleichen.

These 2: Keine Befriedung ohne Lösung des Konfliktkerns

Im hochkomplexen Palästina-Konflikt spielen Trinkwasser und die Verteilung von Land zentrale Rollen, Flüchtlinge und Vertreibung, Grenzziehungen und der beidseits in Teilen vorhandene Extremismus.

Im Kern des Konfliktes aber stehen Jerusalem, arabisch ‚al-Quds‘, und seine Heiligen Stätten. Hier, am Ur-Ort dreier monotheistischer Weltreligionen wird provoziert und gedemütigt, Hoffnung und Blut vergossen. Hier, nahe Felsendom und al-Aqsa-Moschee, auf dem Tempelberg, arabisch ‚al-Haram asch-Scharif‘, an der Klagemauer und Grabeskirche werden Sehnsüchte geschürt und Intifadas gezündet. Nicht ohne Grund benennen sich Terror- und Kampfbrigaden bis in den fernen Iran nach eben diesen Orten. Während die Heiligen Stätten gebaut sind, Menschen zu ihrem Schöpfer zu verbinden, trennen sie in großem Maße. In Friedensverhandlungen als unlösbar ausgeklammert, hängt eine Befriedung des Gesamtkonflikts jedoch maßgeblich von Augenhöhe im innersten Konfliktkern „Jerusalem“ ab.

In einem religiös-kulturellen wie wirtschaftlich-ethnischen Konflikt, in dem das ungeheuerliche, jüdische Vernichtungs- auf das palästinensische Vertreibungstrauma trifft und der tiefe Wunsch nach Sicherheit auf den nach Würde, braucht es nach über einhundert Jahren untauglicher Versuche eine mutige und eisbrechende, eine empathisch versöhnende Lösung des innersten Kerns.

These 3: Eine nachhaltige Balance erfordert drei Staaten

Während das Existenzrecht Israels deutlich außer Frage stehen sollte, fehlt es bis heute an einem anerkannt eigenen Palästina. Aus Gaza und Westjordanland ließe sich, physisch verbunden ein durchgängig und einheitlich und mithin moderat führbarer Staat errichten. Eine kurze, eurotunnelähnliche Verbindung beider Regionen an ihrer kürzesten Entfernung würde das wunderschöne Israel nicht vernarben. Mittelbar wäre sie eine Verbindung von Fluss und Meer.

Mit einem Stadtstaat Jerusalem, von diversen Kulturen gemeinsam gehalten, entstünde ein Stück Vergebung. Eine Zäsur zwischen dem Gestern aus Hass und einem Morgen in Respekt. Etwas Einzigartiges. Etwas strahlend Neues. Vielleicht ein Geschenk zur Güte, das zugleich als Garant für Sicherheit zu wirken vermag.

Der Gastautor



Dr. Marcus Pohl (55) arbeitet als Mediator und Rechtsanwalt im Raum Stuttgart. Nach dem 7. Oktober 2023 schreibt er den Nahost-Roman „Als der Krieg im Meer versank“, wendet dort experimentell Struktur und Technik der Mediation auf den Konflikt um Israel und Palästina an. Er ist unter anderem Mitglied in der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung sowie im Bundesverband Mediation.

Bereits der UN-Teilungsplan von 1947 sah ein Jerusalem als corpus separatum vor, als Sondergebiet unter internationalem Schutz. Erst jüngst sprachen sich der israelische Ex-Ministerpräsident Olmert und der palästinensische Ex-Außenminister al-Qudwa für ein vergleichbares Treuhandmodell aus. Der Trump-Peace-Plan aus dem Jahr 2020 schlägt ein zwar ebenfalls offenes, aber einseitig israelisch gehaltenes Jerusalem vor. Ein Gefälle so wenig geeignet, den Hass zu begrenzen, wie tauglich, endlich Frieden zu schaffen.

Eine Dreistaatenlösung könnte auf Augenhöhe für Ausgleich sorgen. Für eine Befriedung des innersten Kerns, adressiert statt gemieden. Die Schatzkammer Jerusalem würde in dieser Dreistaatenlösung von allen Kulturen gemeinsam geführt. Mit den Zwergstaaten Andorra, San Marino und Vatikan hält Europa gleich drei erfolgreiche Modelle parat. In dem zwischen Spanien und Frankreich liegenden Andorra etwa fungieren ein spanischer Bischof und der amtierende französische Staatspräsident als gemeinsames Staatsoberhaupt. So werden dort zwei Kulturen abgebildet. In einem neuen Stadtstaat Jerusalem wären es mit dem Jüdischen, Muslimischen, Christlichen und Armenischen vier.

These 4: Die Hauptstadtfrage bedarf der Säkularisierung

Vor wenigen Jahren verlegte die Trump-Administration ihre US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Warum aber mit der konkreten Lage eines recht formellen Verwaltungszentrums die muslimische Welt brüskieren und die eigene Sicherheit riskieren?

In einer säkularen Lösung könnten die Entscheider trennen zwischen einem ‚heiligen‘ Ort, Ort des Gebets und der Bewunderung einerseits, und zwei irdischen Hauptstädten andererseits. Vornehmlich jüdische Verantwortliche, ihre Wählerinnen und Wähler könnten statt des (religiösen) Jerusalem an das moderne, pulsierende Tel Aviv als Verwaltungssitz denken. An die ‚Weiße Stadt‘ mit ihrer bezaubernden Bauhaus-Architektur. Vornehmlich muslimische Verantwortliche, die Aussichtsreichsten noch in Haft, ihre Wählerinnen und Wähler könnten statt al-Quds, Ramallah oder Abu Dis an eine vollständig neu zu errichtende, repräsentative, palästinensische Hauptstadt im Norden des Gaza-Streifens denken. Beide mit Blick zum Meer. Wie wäre es mit Beit Hanun direkt am Eingang zum (Friedens-) Tunnel ins Westjordanland? Weltliches und Religiöses getrennt. Zum Vorteil einer friedenstiftenden Dreistaatenlösung. Wie ein Experte aus der EU-Kommission mir am Telefon sagte: an Vorschlägen mangelt es nicht. Dieser wäre im Vergleich zu den jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten zumindest nicht menschenverachtend.

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