Die zugegebenermaßen etwas provozierende Antwort „gar keinen“ ist der Versuch, das Thema Klimawandel einmal nicht – wie so oft – pessimistisch und alarmistisch anzugehen. Deswegen sei stattdessen mit den positiven Seiten des Klimawandels begonnen.
Zunächst einmal ermöglicht uns ein milderes Klima vor allem im Frühjahr und im Herbst mehr Zeit im Freien. Mehr Outdooraktivitäten wie Spazieren gehen und Radfahren fördern nicht nur die körperliche Aktivität und damit unsere Fitness. Mehr Sonnenstunden bedeuten auch höhere UV-Exposition. Dies kann nachweislich die Stimmung heben, depressiven Symptomen, wie der „Winterdepression“, vorbeugen, den Vitamin-D-Status begünstigen und das Risiko von Osteoporose reduzieren. Nicht zuletzt dürften durch große Kälte bedingte Atemwegs-, Nieren- und Augenerkrankungen (so genannte Kälteerkrankungen) – etwa bei Außenbeschäftigten – auf lange Sicht zurückgehen.
Dennoch ist klar: Der Klimawandel bedroht gleichzeitig sowohl auf direktem als auch auf indirektem Weg unsere Gesundheit. Natürlich litten Bauarbeiter schon immer unter sommerlicher Hitze. Natürlich kamen Freizeitsportler in der Vergangenheit nach einem Fußballturnier oder einem Volkslauf unter gleißender Sonne mit einem schmerzhaften Sonnenbrand nach Hause. Natürlich erinnern wir uns alle an heiße Nächte, in denen wir kaum einschlafen konnten und kaum erholt aufwachten. Natürlich kamen auch wir früher schon als Kinder vom Spielen im Wald mit einer Zecke nach Hause.
Der Gastautor
- Sven Schneider forscht und lehrt als Professor an der Medizinischen Fakultät Mannheim zum Thema Klimawandel und Gesundheit. Mit einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlern entwickelt er Präventionskonzepte zur vernünftigen Bewältigung des Klimawandels.
- Seine Forschung wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit klärt er in Vorträgen und Workshops Bundesregierung, Ministerien, Kommunen und Sportverbände zur Thematik auf.
- Gerade im Hogrefe Verlag erschienen ist das von ihm herausgegebene Standardwerk „Gesundheitsrisiko Klimawandel – Neue Herausforderungen für Sport, Beruf und Alltag“, in dem 70 Autoren aus mehr als 40 Institutionen den aktuellsten Forschungsstand zusammenfassen und umfangreiche Präventionsempfehlungen für die Praxis geben.
Neu ist – und mit der Physik lässt sich darüber leider auch nicht diskutieren –, dass der fortschreitende Klimawandel diese und weitere Risiken deutlich verstärken wird. Welche genau, erfassen wir an unserem Forschungszentrum hier an der Medizinischen Fakultät Mannheim seit einigen Jahren in zahlreichen Studien. Dazu arbeiten wir unter anderem mit dem Umweltbundesamt, dem Deutschen Wetterdienst, dem Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und dem Deutschen Olympischen Sportbund zusammen und befragen Betroffene, wie Senioren, Außenbeschäftigte und Sportler.
Ganz konkret verstärken sich durch den Klimawandel vor allem Hitzebelastungen etwa in Form immer häufigerer, längerer und extremerer Hitzewellen. Außerdem nehmen Extremwetterereignisse wie Unwetter und Überschwemmungen zu. Und schließlich bedeuten mehr Sonnenstunden auch mehr UV-Exposition. In der Folge erhöhen sich durch den Klimawandel beispielsweise die Risiken für Hitzschläge, für Unfälle bei Unwettern und für verschiedene Formen von Hautkrebs.
Neben diesen direkten Folgen beeinflussen die klimatischen Veränderungen auch zahlreiche weitere Umweltfaktoren. Zu den indirekten Folgen des Klimawandels zählen eine Verschlechterung der Luftqualität (zum Beispiel durch hohe Ozonwerte), früherer und aggressiverer Pollenflug sowie verbesserte Lebensbedingungen für Überträger und für gebietsfremde Pflanzen und Tiere. Diese indirekten Effekte haben unter anderem einen Anstieg von Atemwegserkrankungen und allergischem Asthma sowie von Infektionen und Belastungen durch heimische und neue Vektoren wie die Zecke, die Asiatische Tigermücke und die Buschmücke zur Folge.
Klar, nicht jeder von uns ist von diesen Veränderungen gleichermaßen betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beobachtet die weltweite Situation seit Langem. Aus Regionen, wo der Klimawandel bereits weiter vorangeschritten ist als bei uns, weiß man, dass Säuglinge, Kleinkinder, Ältere, chronisch Kranke und weitere vulnerable Personengruppen wie Schwangere, sozial Benachteiligte und Obdachlose unter den klimatischen Veränderungen besonders leiden. Nicht zu vergessen sind die vielen Außenbeschäftigten – wie Gärtner, Erntehelfer, Straßenarbeiter, Maurer und Postzusteller – sowie Sportler jeden Alters etwa im Fußball, in der Leichtathletik, im Tennis und im Ausdauersport, die allesamt Hitze, UV-Strahlung und Luftbelastungen berufs- oder sportbedingt kaum aus dem Weg gehen können. „Risikofaktoren treten bei stark gefährdeten Menschen oft gehäuft auf. (…) Derart gefährdete Menschen sollten vorrangig ins Auge gefasst werden“, heißt es von der WHO.
Dies macht deutlich, um wen wir uns künftig – nicht nur bei einer Hitzewelle – ganz besonders kümmern sollten. „Wir“ meint damit nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ – Ärzte, Pflegepersonal, Erzieher, Arbeitgeber, Vereinsverantwortliche und Gesundheitsämter. „Wir“ meint uns alle – etwa indem wir uns an heißen Tagen um Angehörige kümmern oder uns nach der bettlägerigen Nachbarin in der überhitzten Dachwohnung erkundigen. Den Klimawandel zu bewältigen ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Engagieren kann man sich auch über Spenden: Darüber finanziert beispielsweise des Deutsche Rote Kreuz in Stuttgart einen „Hitzebus“, der Obdachlose bei Hitzewellen versorgt. „Für Menschen auf der Straße ist Hitze ein Riesenproblem: Sie haben keine Wohnung, in der sie sich schützen können. Ihnen fehlt Kleidung für solche Temperaturen. Und vor allem fehlt es ihnen häufig an Wasser“, so Carolin Götz, die für das DRK in Stuttgart den Hitzebus koordiniert.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Veränderungen – mehr Sonne, mehr Hitze, mehr Regen, mehr Blitze – in Deutschland regional höchst unterschiedlich verteilt sind. Wir hier am Oberrhein leiden unter der Zunahme von Temperaturen an die 40 Grad Celsius im Sommer, von Hochwasserlagen und von Überschwemmungen bereits seit Jahren. Außerdem ist unsere Region mittlerweile ein Risikogebiet für die durch Zecken übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Und nicht zuletzt breitet sich in unserer Region mit ihren vielen Altrheinarmen in den letzten Jahren nicht nur die Asiatische Tigermücke, sondern auch verschiedene Arten der Buschmücke immer weiter aus. Kurzum: Wir erleben in unserer Region die Folgen des Klimawandels mit als erste.
So wie dieser Beitrag positiv begann, soll er auch positiv enden: Wir stehen den klimatischen Veränderungen nämlich keineswegs hilflos gegenüber. Zunächst kann sich jeder Einzelne von uns natürlich ganz individuell schützen. Die Maßnahmen dazu kennen wir alle: Wir schützen unser Baby vor direkter Sonnenstrahlung, wir cremen unseren Sohn mit Sonnenschutz ein, wir geben unserer Tochter eine Kopfbedeckung mit zum Schulausflug, wir lassen uns gegen FSME impfen und achten darauf, dass unsere Eltern ihre Diabetes-Medikamente kühl lagern. Eine gute Orientierung über solch verhaltenspräventive Maßnahmen geben hier gut aufbereitete Informationen etwa der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (unter www.klima-mensch-gesundheit.de).
Moderne Prävention ergänzt Verhaltensprävention durch Verhältnisprävention. Letztere umfasst alle Maßnahmen, etwa der Kommunen, der Pflegeheimleitungen, der Arbeitgeber, der Schulen und der Sportvereine, welche die oben erwähnten Risikogruppen als Ganzes schützen. International ist seit Langem bekannt, dass gerade verhältnispräventive Maßnahmen besonders effektiv und effizient sind, weil sie auch ohne aktives Zutun der Zielgruppen dauerhaft und niederschwellig wirken. Doch gerade in diesem Bereich ist Deutschland weit abgeschlagen. Während in Berlin zwischen Umweltministerium und Gesundheitsministerium aktuell zwei unterschiedliche Konzepte mit unterschiedlichen Namen (Hitzeaktionsplan vs. Hitzeschutzplan) diskutiert werden, haben andere Nationen wie Frankreich und Spanien solche Konzepte seit Langem etabliert. Hierzulande haben die medizinischen Fachgesellschaften bereits vor Jahren eine offizielle Leitlinie für eine „Reanimation in der Schwerelosigkeit“ entwickelt, eine solche Leitlinie zur Prävention und Behandlung von Hitzeerkrankungen fehlt dagegen bis heute. Während hierzulande das Thema Sport bei Hitze in der Trainerausbildung noch keine Rolle spielt, existieren beispielsweise in den USA und in Australien seit Jahren einschlägige Ausbildungs-, Präventions- und Notfallkonzepte im Sport.
Alle Indikatoren weisen in dieselbe Richtung: Der Klimawandel ist in vollem Gange. Wir müssen unsere Lebensweise anpassen. Erstens, um gesund zu bleiben – das nennt die Wissenschaft „Klimaanpassung“ – und zweitens, um die Erderwärmung aufzuhalten – das nennt die Wissenschaft „Klimaschutz“.
Wenn wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen möchten, ist wohl oder übel beides dringend nötig.
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