Kürzlich gab es mal wieder einen dieser typischen Trump-Momente. „Build that wall“, riefen euphorische Fans in South Carolina. Seine Antwort: „Build that wall“ sei nicht mehr richtig. „,Baut sie weiter’, müsst Ihr rufen. Denn wir bauen sie ja schon.“
Ein schöner rhetorischer Effekt – aber so ganz die Wahrheit sagte der US-Präsident nicht. Denn sein großer Mauerbau hat im eigentlichen Sinn noch nicht begonnen. Zwar hat der Kongress 1,6 Milliarden Dollar für die Grenze bereitgestellt. Damit dürfen aber bisher nur Reparaturarbeiten an bestehenden Zäunen vorgenommen werden.
„Es ist das Versprechen einfacher Lösungen, für das der US-Präsident das perfekte Bild gefunden hat.“
Tatsächlich neu gebaut wurden bisher acht Beton-Prototypen. Die stehen jetzt wie Symbole des gemauerten „Real Thing“ in der Nähe von San Diego herum. Trump selbst war im März da und nutzte die Prototypen zu medialer Inszenierung. Über die bestehenden Zäune komme man leicht rüber, feixte er gegenüber Reportern. „Aber über die hier nicht“, proklamierte er und zeigte großgestig auf die Prototypen.
Der reale Mauerbau also steckt allenfalls in den Anfängen. Ein gescheitertes Projekt also? Mitnichten. Das Mauerprojekt erfüllt für Trump schon jetzt seinen Zweck. Weil es ihm primär gar nicht darum geht, die komplette über 3000 Kilometer lange Landesgrenze mit Beton zuzubauen. Experten halten das ohnehin für unmöglich – und Trump vielleicht auch. Wichtig ist ihm hingegen, die Idee der Mauer als Symbol zu nutzen, als Medium für seine politpropagandistische Inszenierung.
Es ist das Versprechen einfacher Lösungen, für das Trump hier das perfekte Bild gefunden hat. Ein Machthaber, der Mauern baut, ist einer, der simple Lösungen für komplexe Probleme findet, so die Botschaft. Diese Positionierung ist es, die Trump mithilfe seiner Mauer erzielen will – und nicht die reale Lösung etwaiger Migrationsprobleme. Das heißt: Um für Trump funktional zu wirken, muss zwar irgendwie sichtbar an der Mauer herumgewerkelt werden – daher auch die Bedeutung der Prototypen. Aber finalisiert werden muss – und wird – das Mauerprojekt nicht.
Die Mauerrhetorik verspricht Einfachheit, produziert aber in ihrer medialen Vervielfältigung zugleich neue Komplexität. Grenzen sind kulturell immens aufgeladene Phänomene. Ihre Komplexität ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass Grenzen umstritten sind, quasi auf Abruf in Atlanten gezogen. Sie folgt auch aus der Art, wie sie jederzeit das Potenzial haben, sich selbst zu vervielfältigen. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von Bordering oder Borderscaping. Grenzen werden ständig medial gespiegelt und laden zur medialen Auseinandersetzung ein. Sie kreieren ihre eigene mediale Wirklichkeit.
Eine wichtige Analyse in dieser Richtung vorgelegt hat der Kulturwissenschaftler Scott McQuire. Mit seinem Buch „The Media City“ unternimmt er den Versuch, Stadt und Mediatisierung zusammen zu denken. Nicht im Sinne von „Medien in der Stadt“, sondern im Sinne von „Medien als die Stadt“.
Ausgangspunkt sind für McQuire die drastischen Veränderungen, die der Kultuskosmos Stadt durch die Ausweitung digitaler Kommunikationstools erfährt. Die Digitalisierung, so McQuire, erzeugt eine neue mediale Durchdringung der städtischen Wirklichkeit. Stadtraum kann den medialen Kommunikationsangeboten nicht nur nicht mehr ausweichen. Vielmehr definieren diese zunehmend, was überhaupt als Stadt gilt oder gelten kann. Zugleich macht der Einzug einer Kultur der Webcams, von Reality-TV und immer mehr Visualisierungs-Devices aus dem Stadtraum einen immer stärker überwachbaren und überwachten.
„Alle Grenzen sind sozial konstituiert, ob in Atlanten oder die Linien, die den Fußballplatz kennzeichnen.“
Damit sind wir bei der Medialität von Grenzen. Wenn nämlich die Mediatisierung des Stadtraumes neue Kontrollmöglichkeiten bietet, so überrascht nicht, dass sich die Logik der Mediatisierung auch auf Grenzen auswirkt, einen Aspekt moderner Gesellschaften, der immer mit gesellschaftlicher Überwachung zu tun hatte. Für die Stadt, könnte man sagen, musste die Mediatisierung (hier vor allem durch immer mehr Kameras) als externes Element hinzu treten. An einer Grenze, speziell an einer politisch so bedeutsamen wie jener zwischen Mexiko und den USA, ist dieser Mechanismus quasi per Definition präsent.
Die Grenze wird zum Medium, macht zugleich aber klassischen Medien das Überleben schwer. In drastischer Weise musste das der Zeitungsverleger Oscar Cantú erfahren. Er schloss vor zwei Jahren seine Tageszeitung „El Norte“ im mexikanischen Ciudad Juárez. Der Grund: Seine beste Reporterin war von den Drogenkartellen erschossen worden. Die Grenze und ihre Akteure fressen also Instanzen klassisch medialer Repräsentation.
Grenzen repräsentieren nichts Naturgegebenes, sie sind gemacht, sind sozial und kulturell (eben medial) konstituiert. In ihrer medialen Verfasstheit spiegelt sich eine hochgradige Flüchtigkeit der Grenzziehung. Diese gilt nur so lange, wie sie medial bestätigt wird. Diese poststrukturalistische Perspektive schließt an eine Lesart von Grenzbeziehungen an, wie sie die Regionalwissenschaftlerin Doreen Massey vorgelegt hat.
Sie bezeichnet Grenzen bewusst fragil mit dem Terminus „Linie“, was ihr zugleich etwas Scharfes, etwas Willkürliches, aber auch etwas Kreidehaft-Dünnes verleiht. Diese Linien verkörpern keine ewige Wahrheit, sondern werden von konkreten Gesellschaften mit konkreten Interessenskonstellationen gezogen. Grenzen sind Kernelemente der sozialen Beziehungen in Gesellschaften, die ihrerseits einen bestimmten sozialen Raum aufspannen.
Alle Grenzen, ob nun nationale Grenzen in Atlanten oder Linien, die auf lokalen Karten das Rathaus oder den Fußballplatz kennzeichnen, sind sozial konstruiert. Und sie sind natürlich auch medial konstruiert – schon deshalb, weil eine Karte selber ein Medium ist. Die Medialität von Karten ist eine Lieblingsthematik der Cultural Studies. Sie wurde in der kulturwissenschaftlichen Gesellschaftsanalyse der vergangenen Jahre geradezu zu einem Ausgangspunkt des „Spatial Turn“ definiert.
„Um Tijuana herum ist der Name Trump vor allem ein Symbol für unausgegorene Investorenträume.“
Grenzen sind niemals „unschuldig“. Sie transformieren soziale Beziehungen, durchschneiden Lebensentwürfe. Grenzen dokumentieren nicht nur gegebene Kulturbrüche, sie erzeugen sie auch. Das ist die negative Seite ihrer sozialen Wirksamkeit. Der finnische Geograph Anssi Paasi arbeitet diesen Charakter in Hinblick auf das Thema der Fremdenfeindlichkeit heraus. Grenzziehungen haben für Paasi die Macht, Xenophobie zu konstituieren. Vorstellungen von puren nationalen Identitäten werden durch die mediale Aufladung vorhandener Ideen von Grenze kontinuierlich reproduziert.
Grenzen haben aber auch real-praktische, ökonomische Organisationsfolgen. Sie organisieren staatliches Handeln. Sie bilden die Basis für das, was die Kulturwissenschaften momentan unter dem Signet der Biopolitik beschreiben: Grenzen strukturieren biopolitische Steuerungsprozesse.
Und Grenzen konstituieren Macht. Wer sie zieht, hat damit Macht. Dies gilt für die große, etwa nationale Ebene, es gilt aber auch im Kleinen, Lokalen. Immer bilden sich hier inkludierende und exkludierende Mechanismen zugleich. Grenzen schützen Mächtige, bewahren Besitztümer, aber erlauben auch einen ökonomisch oder politisch getriebenen Zu- und Angriff auf diese.
Und mitunter legen sie auch politische oder ökonomische Hybris offen. Das musste in der US-mexikanischen Grenzregion auch der Immobilieninvestor Donald Trump erfahren. „Trump Ocean Baja“ nannte sich ein geplantes 526-Einheiten-Condo-Hotelprojekt. Im Jahr 2006, zu Hochzeiten des letzten Immobilienbooms, startete das Prestigevorhaben an der Küste von Baja California. Doch dann kam der Marktcrash 2008, das Projekt scheiterte. Trump stieg im Jahr 2009 aus. Seitdem ist der Name Trump um Tijuana herum vor allem ein Synonym für unausgegorene Investorenträume, die an globalen Real-Estate-Volatilitäten und der lokalen Wirklichkeit der Grenze scheitern.
Zur Person Alexander Gutzmer
Alexander Gutzmer ist promovierter Kulturwissenschaftler und Diplom-Betriebswirt. Er lehrt als Professor für Medien und Kommunikation an der Quadriga-Hochschule in Berlin und ist Chefredakteur der Architekturzeitschrift „Baumeister“. Als Gastprofessor war er in Monterrey, Mexiko.
In seinem aktuellen Buch „Die Grenze aller Grenzen. Inszenierung und Alltag zwischen den USA und Mexiko“ schildert Alexander Gutzmer, wie unterschiedliche Protagonisten – Politiker, aber auch Filmemacher, Künstler oder Architekten – mit der Grenze als kulturellem Phänomen arbeiten.
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Alexander Gutzmer
Alexander Gutzmer ist promovierter Kulturwissenschaftler und Diplom-Betriebswirt. Er lehrt als Professor für Medien und Kommunikation an der Quadriga-Hochschule in Berlin und ist Chefredakteur der Architekturzeitschrift „Baumeister“. Als Gastprofessor war er in Monterrey, Mexiko.
In seinem aktuellen Buch „Die Grenze aller Grenzen. Inszenierung und Alltag zwischen den USA und Mexiko“ schildert Alexander Gutzmer, wie unterschiedliche Protagonisten – Politiker, aber auch Filmemacher, Künstler oder Architekten – mit der Grenze als kulturellem Phänomen arbeiten.
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