Warum sich heute noch kirchlich "trauen" lassen, wenn viele doch einfach "so zusammenleben" oder ihnen das "Ja" auf dem Standesamt genügt? Nun, ich bin davon überzeugt, dass die Feier der Hochzeit in der Kirche und die damit verbundenen kirchlichen Inhalte und Riten etwas Besonderes, Auszeichnendes sind - etwas, das über Orgelmusik, das weiße Kleid und den festlichen Rahmen hinausgeht.
Umfragen machen sichtbar, dass sich auch heute noch etwa drei Viertel der Menschen nach einer festen Partnerschaft und Familie sehnen. Trotz dieser offensichtlichen Sehnsucht erleben wir den kontinuierlichen Rückgang von Eheschließungen und eine hohe Scheidungsrate von derzeit 40 Prozent. Aber es sind immer noch vier von fünf Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben verheiratet, und für viele gilt weiterhin die Hochzeit als "schönster Tag des Lebens".
War es vor 60 Jahren noch selbstverständlich, kirchlich zu heiraten, so hat sich dies heute stark verändert. Gab es Ende der 1980er Jahre noch über 110 000 katholische Trauungen pro Jahr, so waren es 2015 nur noch etwa 44 000. Aktuell liegt der Anteil kirchlicher Trauungen bei einem Anteil von weniger als 25 Prozent. Die evangelische Kirche ist von dem Rückgang ähnlich betroffen wie die katholische. Sowohl im Jahr 2014 als auch 2015 gab es jedoch wieder einen kleinen Zuwachs an kirchlichen Eheschließungen.
Die Gründe für den Rückgang kirchlicher Trauungen sind vielfältig, einige seien hier genannt. Zum einen hängt es mit dem allgemeinen Rückgang von Eheschließungen zusammen. Zum anderen sinkt in Deutschland die Zahl der Kirchenmitglieder stetig. Am Durchschnitt der sonntäglichen Gottesdienstbesucher (etwa zehn Prozent aller Katholiken) lässt sich erkennen, dass auch bei den Katholiken ein starker Verlust der Kirchenbindung festzustellen ist.
Generell haben sich die gesellschaftlichen Bedingungen von Ehe und Partnerschaft im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert. Das "Zusammenleben ohne Trauschein" ist meist überall ohne Nachfrage und Unbehagen sozial akzeptiert. Erst mit der Geburt von Kindern wird von vielen die rechtliche Form "Ehe" für ihre Partnerschaft angestrebt. Ein veränderter Lebensrhythmus, die geforderte hohe Flexibilität im Berufs- und durchaus auch im Privatleben, ein verstärkter Individualismus und generelle Bindungsängste beeinflussen das partnerschaftliche Verhalten.
Wurde die Eheschließung früher meist als der Durchgang von der Jugendzeit zu einer neuen Lebensphase mit Haus- und Familiengründung gesehen, so ist sie heute eher für die meist schon länger zusammenlebenden Paare zu einem Ritual der Bestätigung der Beziehung geworden: "Wir bestätigen nochmals vor aller Augen, dass wir uns lieben".
Literatur und Wissenschaft nennen uns durchgängig Sehnsüchte und Wünsche, die Menschen mit Partnerschaften verbinden und die wir aus eigener Erfahrung kennen. Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe. Der Mensch ist auf ein "Du" hin geschaffen. Er möchte einerseits geliebt werden und andererseits Liebe schenken.
Wahre Liebe möchte Dauer. Sie ist nicht zeitlich begrenzt, hat kein Verfallsdatum und sucht das gegenseitige Versprechen: Die Liebenden möchten hören, dass ihr Ja zueinander auch morgen noch gilt. Sie wollen Treue in guten und bösen Tagen, bei Gesundheit und Krankheit - letztlich bis zum Tod.
Wir Christen glauben, dass Gott die Liebe ist. Er ist überall dort, wo Menschen sich in Liebe und Treue miteinander verbinden. Wir glauben, dass Gott uns daher die Kraft und Hilfe geben kann, den Partner immer so lieben und annehmen können, wie er ist. In der kirchlichen Trauung verbindet unserem Glauben nach Gott, der die Liebe ist, die beiden Partner miteinander und bleibt gewissermaßen als "Dritter im Bunde" bei ihnen, gerade auch in schwereren Zeiten.
So vertrauen sich die Brautleute bei der Eheschließung für das ganze Leben im Glauben an den treuen Gott einander an und legen ein wechselseitiges, unwiderrufliches Treueversprechen ab: "Ich werde immer bei dir sein!" So haben es die deutschen Bischöfe in der Broschüre "Trauen Sie sich! - 10 gute Gründe für die Ehe" formuliert. Im Bekenntnis zur Unauflöslichkeit des Ehebundes wird von dem Paar ein ausschließliches "Ja" zum Partner ausgesprochen - Geschenk und Annahme in einem.
Für die katholische Kirche ist die Liebe von Mann und Frau in der Ehe ein heiliges Zeichen, ein Sakrament, das heißt ein Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes. Das freie und bewusste Versprechen wird durch das "Ja" Gottes besiegelt und geheiligt. Gott nimmt das Paar beim Wort und knüpft auf dieser Basis zwischen beiden ein unlösbares Band: "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen" (Matthäus 19,6). In der Treue der Ehegatten leuchtet die unbedingte Liebe Gottes zu uns Menschen auf. Jeder Mensch will unbedingt geliebt werden, das heißt, so wie er ist.
Eine nur bedingte Liebe, die an Bedingungen geknüpft wäre - wie etwa "so lange es gut geht mit uns" oder "so lange du gesund bleibst" -ist eigentlich keine Liebe. Das spiegelt sich dann auch wieder in der unbedingten Liebe der Eheleute zu ihren Kindern, für die es lebensnotwendig ist, so geliebt zu werden, wie sie zur Welt kommen: ob gesund, klug, schön, begabt oder nicht.
Daher ist die Ehe der Ort der unbedingten, unauflösbaren Liebe. Sie ist ein Zeichen der Gegenwart Gottes in unserer Welt. Deshalb ist es nach katholischem Verständnis nicht möglich, eine sakramental gültig geschlossene Ehe zu scheiden. Eine Zumutung - und doch zugleich eine Entlastung.
Es ist ein hoher Anspruch, der sich mit der lebenslangen Treue verbindet. Nicht zu Unrecht kann die Frage gestellt werden, ob dieses Ideal die Menschen nicht überfordert. Das wäre auch so, wenn wir nur auf uns selbst gestellt wären. Hier nun erweist der Glaube an Gott seine Kraft, der eine Ehe auch durch schwierige Zeiten zu tragen hilft, weil die Partner wissen dürfen, dass Gott an ihre Liebe glaubt.
Natürlich ist und bleibt die Ehe eine durchaus irdische und menschliche Angelegenheit, und die Ehepartner bleiben unvollkommen und fehlbar. Eine lebenslange, enge Gemeinschaft ist verschiedensten Belastungen ausgesetzt und verlangt anstrengende Wachstumsbemühungen, den Willen zur Selbstkritik, zur Umkehr und die Bereitschaft zum Verzeihen.
Papst Franziskus beschreibt realitätsbewusst in "Amoris Laetitia - Freude der Liebe" die "Ehe als Herausforderung, die bis zum Tod immer wieder errungen, neu geboren, neu erfunden und ständig neu begonnen werden muss". An anderer Stelle gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, dass Krisen im Zusammenleben wohl unvermeidlich sind, aber mit eigenen Anstrengungen und Gottes Hilfe bewältigt werden können und zu einer Vertiefung der Beziehung beitragen können.
Letztlich gilt jedoch: Auch kirchlich geschlossene und vom Glauben getragene Ehen können scheitern, was Menschen zutiefst verletzen und unglücklich machen kann.
In dieser Situation hat die Kirche die Aufgabe, im Sinne der Barmherzigkeit nicht zu verurteilen, sondern den Betroffenen begleitend zur Seite zu stehen, damit sie mit ihrer Situation zurechtkommen. Die Kirche will ihnen in einem Prozess der Unterscheidung helfen, das Geschehene aufzuarbeiten, Lehren für die Zukunft zu finden und sie auch weiterhin in das kirchliche Leben eingliedern.
Enden möchte ich aber nicht mit dem "Scheitern", sondern zurückkommen auf das "Sich trauen". Wir bieten im Bistum Speyer eine Reihe von Veranstaltungen zur Ehevorbereitung an, bei denen es thematisch um das Gelingen von Beziehung auf dem Fundament des christlichen Glaubens geht. Dazu zählen Inhalte wie Herkunftsfamilie und Werte, Kommunikation und Konfliktkultur, Partnerschaft und Sexualität, die Bedeutung der Trauungsliturgie, die Ehe als Sakrament.
Auch Paare, die der Kirche eher fernstehen, denen die kirchliche Glaubenspraxis fremd geworden ist und die schon länger keinen Kontakt mehr zur Pfarrgemeinde hatten, sollten sich trauen, unsere kirchlichen Mitarbeiter, Priester und Diakone für die Vorbereitung, Gestaltung und Feier ihrer kirchlichen Hochzeit anzusprechen.
Ein Ziel ist uns dabei sicherlich immer gemeinsam: Wir wollen und hoffen, dass "Liebe gelingt" - und das kann und wird sie auch mit Gottes Hilfe.
Bischof Karl-Heinz Wiesemann
Karl-Heinz Wiesemann ist der 96. Bischof von Speyer. Ursprünglich stammt er aus Westfalen, wo er 1960 in Herford geboren wurde.
Im Sommer 2002 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof. Die Bischofsweihe empfing er wenige Monate später.
2007 ernannte Papst Benedikt XVI. den Weihbischof zum Leiter des Bistums Speyer. In diesem Jahr feiert es das 200. Jubiläum seiner Neugründung.
Bischof Wiesemann ist promoviert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Verbindung von Theologie und Mystik bei drei katholischen Theologen. jul
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