Gastbeitrag von OB Kurz

Was richtet der Populismus in unserer Demokratie an, Herr Oberbürgermeister?

Nach welchem Prinzip funktioniert das Phänomen, das unser politisches System im Innern angreift? Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, gibt eine Antwort auf den Populismus, indem er den Mustern auf den Grund geht. Ein Gastbeitrag.

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Peter Kurz
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"Gegen Populismus" steht auf dem Plakat bei einer Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt in Berlin.

© Jörg Carstensen/dpa

Populismus ist zu verstehen als eine Art Auto-Immunkrankheit der Demokratie. Unter der Parole der "wahren" Herrschaft des Volkes wird seriöse Politik erschwert, werden die Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat ausgehöhlt, die Abwehrkraft gegen ihre Feinde sinkt.

Als Oberbürgermeister spüre ich die steigende Aggression gegen Institutionen seit Jahren. Der Dauerangriff auf den Wesenskern der Demokratie blieb lange eher unbeachtet, weil viele diese Entwicklung als Problem "der Politik" und nicht als gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe gesehen haben.

Die Demokratie erfreut sich in Umfragen größter Beliebtheit. Das darf jedoch nicht täuschen: Emotional ist die Bindung zur konkreten Demokratie und zum Staat geschwächt und ihre grundlegenden Prinzipien werden immer weniger verstanden. Zudem werden Kern und Merkmale des Populismus oft verkannt. So ist es eben kein Populismus, "schwierige Themen zu vereinfachen und populär anzusprechen". Populismus ist auch nicht Ausländerfeindlichkeit. Sie ist vielmehr eines seiner Treibmittel.

Methode und Ziel des Populismus ist: Im Gewande der Forderung nach mehr Demokratie und nach Beachtung des "Volkswillens" gerade das, was als Grundlage unserer Gesellschaft unveräußerlich und nicht verhandelbar ist, in Frage zu stellen, nämlich Grundrechte für alle, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit.

Die Populisten unterstellen grundsätzlich allen Entscheidungsträgern eine Abwendung vom Volk und einen "Verrat" an den "wahren Interessen des Volkes". Es ist eine Position, die antritt, die "herrschenden Eliten und Ihre Denkmuster zu entmachten". Damit sind Grundstrukturen und Werte der offenen Gesellschaft gemeint. Populismus ist daher nicht, wenn der Euro in Frage gestellt wird oder über Einwanderung diskutiert wird. Populismus ist, die Themen als Vehikel für einen grundlegenderen Angriff zu nutzen.

Der Populismus braucht daher keine festen oder belastbaren Positionen in Sachfragen, er bedient abwertende Muster und bringt diese in nahezu jedem kontroversen Thema zur Anwendung. Seine Kraft zieht er daraus, dass auch andere, die keine populistischen Parteien befördern wollen, solche Muster bedienen.

Die Argumentationsmuster populistischer Bewegungen sind die immer gleichen: eine pauschale Herabwürdigung der "Eliten", ein Lächerlich-Machen von Fachlichkeit, das hohe Lied auf den überlegenen "gesunden Menschenverstand". Hinzu kommen die Verachtung von Politik im Allgemeinen sowie eine Feindlichkeit gegenüber Institutionen, zu denen auch Medien gehören, sofern sie eine kritische Plattform sind.

Nicht zuletzt ist die "Moralisierung" ein bestimmendes Merkmal. Selbst Sachfragen wie eine Stadtbahnlinie oder die Gestaltung einer Grünfläche können zu moralischen Fragen gemacht werden. Zusammen mit der Personalisierung von Politik ist das der klassische populistische Cocktail: Nicht nur ist die Entscheidung falsch; vor allem sind die die Entscheidung treffenden Verantwortungsträger moralisch fragwürdig.

Da diese Muster kaum hinterfragt werden, finden sie wirkungsvolle Anwendung gerade im Rahmen von "Sachauseinandersetzungen", in deren Verlauf sich neue Initiativen bilden. Dort finden immer häufiger Unterstellungen von Korruption, Lüge und Konkretisierungen von Verschwörungstheorien ihren Platz - ohne auf entschiedenen Widerspruch zu stoßen.

Persönliche Betroffenheit treibt Menschen schnell in solche Sichtweisen, die Vertreter populistischer Bewegungen und Gruppen sind zur Unterstützung sofort zu Stelle. Eine Distanzierung selbst von gravierendsten Angriffen findet kaum statt. Auch ein Korrektiv durch Medien ist selten. Allenfalls wird eingeräumt, dass Kritik überzogen sei, aber verantwortlich gemacht werden dafür letztlich wieder die den Prozess eben nicht "gut und transparent genug" steuernden politischen Akteure.

Das alte Muster "reines Volk und korrupte Elite" wird so vergleichsweise unauffällig thematisiert. Emotionen bis zum Hass werden befeuert. Die Theorie vom "Bevormundungskartell" der Medien und die Forderung nach Meinungsfreiheit, die hier interpretiert wird als Anspruch keinen Widerspruch oder Kritik an der eigenen Meinung ertragen zu müssen, komplettieren das populistische Weltbild.

Als Erklärung für den wachsenden Populismus wird häufig folgende Analyse angeboten: Verantwortlich seien technokratische Problemlösungen, komplizierte Aushandlungsprozesse, Absprachen zwischen politischen Entscheidungsträgern, faktische Mitentscheidung von Experten sowie die vermeintliche Alternativlosigkeit der Konzepte der Volksparteien. Danach scheint es also eine klare Strategie gegen den Erfolg populistischer Bewegungen zu geben. Es ist eine weniger Experten-getriebene, weniger aushandelnde, weniger konsensorientierte Politik. Nur: In einer komplexen Welt, die auf mehr und nicht weniger Verständigungsprozesse angewiesen ist, ist das für die Bewältigung der Herausforderungen genau falsch.

Hinzu kommen als weitere Vorschläge die Erhöhung der Transparenz und die Stärkung von bürgerschaftlicher Beteiligung. Für die Wirksamkeit dieser Strategien gibt es jedoch keinen praktischen Beleg.

Eine grundlegende Vertrauenskrise ist nicht per se über Transparenz zu lösen. Die allgegenwärtige Forderung nach Transparenz ist ja vielmehr Ausdruck des Vertrauensverlusts. Die Offenlage tausendseitiger Gutachten entfaltet nur dann eine vertrauensbildende Wirkung, wenn sie in eine Diskussion eingebracht werden können, in der die Kraft des Arguments zählt. Diese Art der Debatte wird aber gezielt verweigert. Die im Fernsehen live und damit ungefiltert übertragene Dialogreihe zu Stuttgart 21 ist die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Solche optimalen Bedingungen sind im kommunikativen Alltag von Dutzenden parallel laufender Verfahren nicht herzustellen.

Mehr Beteiligung oder mehr direkte Demokratie sind ebenso wenig automatisch wirksame Mittel gegen den populistischen Angriff. Zwar sprechen für ein Mehr an Beteiligung andere gute Gründe: So steigert und sichert die Beteiligung der Bürgerschaft die Qualität von Entscheidungen und aktiviert zugleich bürgerschaftliches Engagement. Praktisch erhöhen diese Verfahren aber nicht zwangsläufig die Akzeptanz.

Noch ernüchternder im Sinne einer Stärkung von Vertrauen und Stabilität sind die Erfahrungen mit direkter Demokratie: Eine Minderung des Zusammenhalts und des Vertrauens waren oftmals die Folge. Tiefgehende Zerwürfnisse bis in Familien hinein sind bei Bürgerentscheiden zu beobachten. Eine echte "Befriedungswirkung" erzielt oft nur der ein Projekt ablehnende Bürgerentscheid, wenn sich der "Wille der Obrigkeit" oder der "Eliten" nicht durchgesetzt hat.

Das schlagende Argument gegen den Glauben, dass eine Antwort auf den Populismus in der Verfahrensgestaltung der Demokratie gefunden werden kann, findet sich beim Blick über die Grenzen. Der Populismus ist überall präsent: Von der "mandatsgetriebenen" Kultur in Großbritannien über die jahrzehntelange Konsenspolitik der Niederlande bis zur stark direktdemokratisch verfassten Schweiz. Woher kommt da der Glaube an eine Antwort, die in der Verfasstheit des politischen Systems selbst liegt?

Erfolgversprechender ist es der Frage nachzugehen, wie es kommt, dass in Deutschland das Phänomen relativ spät in Erscheinung getreten ist. Könnte es nicht sein, dass das Bewusstsein der Katastrophe des Nationalsozialismus und die damit verbundene Wertschätzung der Demokratie tatsächlich so etwas hatte entstehen lassen wie einen "Verfassungspatriotismus", den Dolf Sternberger einst beschwor? Könnte es sein, dass das Bewusstsein über die Funktionsweise der Demokratie, das Wissen über die Institutionen hier ausgeprägter war als in anderen Ländern? Und dass es kein Zufall ist, dass in Dresden, also dort, wo diese Debatte während DDR-Zeiten nicht stattfinden konnte, heute Pegida demonstriert?

Ist es nicht naheliegend, dass eine Antwort in Wissen, Achtsamkeit und Respekt läge, und in Stolz auf diese Verfassung und ihre funktionierenden Institutionen? Und dass dies ein Thema wäre für Medien, Wissenschaft, Justiz, Schulen, Verantwortungsträger in allen gesellschaftlichen Bereichen und nicht nur für die Politik?

Das Wissen um die Funktionsweisen unserer Demokratie ist umso wichtiger, wenn es in den reifen Demokratien zu Veränderungen und Reformen kommen soll, die das Zusammenspiel zwischen Institutionen und zwischen Staat und Bürgerschaft neu austarieren. Hierzu besteht in einer individualisierteren Gesellschaft unbestritten ein Bedürfnis.

Diese Reformen sind aber - wie gesehen - keine Antwort auf den Angriff des Populismus auf die parlamentarisch verfasste Demokratie und den Rechtsstaat. Im Gegenteil: Diese Phase der Neujustierung ist besonders anfällig, um populistische Thesen zu verankern. Denn er thematisiert die ja nicht zu bestreitende Spannung zwischen Institutionen, Rechtsstaat und Volkssouveränität. Er tut dies aber gerade nicht konstruktiv, sondern in der emotionalen, teilweise verschwörungstheoretischen Problematisierung der Einschränkung der Volkssouveränität.

Wie in den Sachthemen, so bietet er auch hier keine Lösungen, sondern lebt aus der Verstärkung von Unzufriedenheit. Wo er die Frage der Volkssouveränität gegen den Rechtsstaat in Stellung bringt, sind viele leider kaum in der Lage, eine erklärende Antwort zu geben. Einen Verständigungsprozess über neue Regeln kann aber nur führen und gestalten, wer die bisherigen Regeln und ihre (guten) Gründe kennt.

Wissen um, Respekt vor und Stolz auf unsere Demokratie, Wissen um ihre Grundlagen und ihre Geschichte und ein Offenlegen der Argumentationsmuster und der erodierenden Wirkung des Populismus auf unser Gemeinwesen sind entscheidende Schritte zur Stärkung des Immunsystems.

Diese Antwort auf den Populismus muss dabei von vielen gegeben werden und nicht von "der Politik" allein. Sie ist ein positives Bekenntnis zu einer der besten Demokratien, die es weltweit gibt und gegeben hat.

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Peter Kurz

  • Dr. Peter Kurz kam am 6. November 1962 zur Welt und wuchs auf dem Lindenhof auf.
  • Er studierte Jura in Mannheim und Heidelberg, promovierte mit der Auszeichnung summa cum laude und arbeitete unter anderem als Richter - bis er die Politik zu seinem Beruf machte.
  • 1984 war er Bezirksbeirat der Schwetzingerstadt/Oststadt. 1989 wählten ihn die Mannheimer in den Stadtrat. Zehn Jahre lang war er Mitglied des SPD-Landesvorstands in Baden-Württemberg.
  • 1999 wurde er zum Bürgermeister von Mannheim gewählt, 2007 zum Oberbürgermeister. ble
  • www.ob-peter-kurz.de

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