Debatte

Was braucht es für eine einsatzfähige Bundeswehr im 21. Jahrhundert?

Die Armee muss angesichts der aktuellen Krisen besser ausgestattet sein - und wieder kriegsfähig werden. Was sich in Politik und Gesellschaft ändern muss und welche Rolle auch die Künstliche Intelligenz dabei spielt. Ein Gastbeitrag

Von 
Cedric Bierganns und Amelie Stelzner-Dogan
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Bewaffnete Grenadiere im Ausrüstungszustand stehen auf dem Bundeswehrgelände in Munster vor einem GTK Boxer. © Mohssen Assanimoghadda/dpa

Politik und Gesellschaft erkennen immer mehr, dass es einer einsatzfähigen Bundeswehr bedarf, aber der Denkprozess hat gerade erst begonnen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verdeutlicht diese Notwendigkeit und zeigt die Dringlichkeit auf. Wir benötigen eine Bundeswehr, die nicht nur bei Naturkatastrophen und Pandemien unterstützt, sondern im Ernstfall die Bundesrepublik Deutschland und Europa verteidigen kann.

Es ist allerhöchste Zeit hierüber nachzudenken, politische Entscheidungen zu treffen und die nötigen Änderungen umzusetzen.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sah sich Deutschland als friedenssichernde Macht

Doch hierzu bedarf es zunächst eines kulturellen Wandels. Gesellschaft, Politik und auch die Bundeswehr selbst müssen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen: Wie soll die Bundeswehr der Zukunft aussehen? Was soll die Bundeswehr der Zukunft leisten können? Und was benötigt sie hierfür?

Diese Fragen zu stellen und konsequent nach Antworten zu suchen, muss erst wieder gelernt werden. Denn nach dem Zerfall der Sowjetunion sah sich Deutschland als friedenssichernde Macht, „umzingelt von Freunden“.

Zu Zeiten des Mauerfalls hatte die Bundeswehr rund 500 000 Soldaten. Bedrohungen für den Frieden in Europa gab es seither keine ernsthaften.

Kriegsfähigkeit der Bundeswehr nicht gegeben

Langfristige Investitionen in die Bundeswehr waren fehl am Platz, die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt und die Zahl der aktiven Soldatinnen und Soldaten auf aktuell rund 183 000 reduziert; aus der Bundeswehr wurde eine Einsatzarmee, mit dem Fokus auf Internationales Krisenmanagement.

Die aktuelle Organisation, Ausstattung und Logistik sowie die Ausbildung und Zielsetzung kommen weitgehend aus der Zeit der Einsatzarmee. Strukturen wie die Streitkräftebasis oder der Zentrale Sanitätsdienst, in denen Personal und Fähigkeiten - die schon lange knapp waren - zusammengezogen und mit ausreichend Vorbereitungszeit in die Einsätze entsandt wurden, stammen aus dieser Epoche.

Die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr ist heute - trotz des Weckrufes durch den Überfall Russlands auf die Ukraine - nicht gegeben. Doch von dort aus muss die Bundeswehr gedacht werden.

Die Gastautoren

 

  • Dr. Cedric Bierganns ist Referent für Sicherheitspolitik und Bundeswehr in der Hauptabteilung Politische Bildung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
  • Amelie Stelzner-Dogan ist Referentin für Bundeswehr und Gesellschaft in der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
  • Sie verantworten in der Konrad-Adenauer-Stiftung das Projekt „Bundeswehr der Zukunft“, in dessen Rahmen kürzlich der Sammelband „Bundeswehr der Zukunft: Verantwortung und Künstliche Intelligenz“ veröffentlicht wurde. Namhafte Autorinnen und Autoren diskutieren darin aus militärischer, historischer, politischer, gesellschaftlicher sowie ethischer und rechtlicher Perspektive die Rahmenbedingungen für einen verantwortbaren Einsatz von KI in der Bundeswehr.
  • Sicherheitspolitische Fragestellungen sind – neben Innovation sowie Partizipation und Repräsentation – inhaltliche Schwerpunktthemen der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die CDU-nahe Denkfabrik fühlt sich
  • dem politischen Erbe Konrad Adenauers verbunden, hat 18 Politische Bildungsforen in Deutschland und ist in über 100 Ländern weltweit mit Büros vertreten. Sie setzt sich national und international durch politische Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ein.
  • Weitere Informationen und den Sammelband „Bundeswehr der Zukunft“ finden Sie unter: www.kas.de/de/bundeswehr-der-zukunft

Hierfür braucht es eine moderne Ausstattung und Ausrüstung. Gemessen an der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands und der Rolle innerhalb Europas, sollte die Bundeswehr zur stärksten konventionellen NATO-Streitkraft in Europa ausgebaut und damit wieder zum Rückgrat der Bündnisverteidigung werden. Die Rolle als Anlehnungspartner sollte ernst genommen werden. Nicht nur der Führungsanspruch, sondern auch das Führungsversprechen gegenüber den engsten Verbündeten erfordert den Ausbau.

Dass Deutschland seit Jahresbeginn die Leitung der schnellen Eingreiftruppe VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) der NATO übernommen hat und mit rund 8000 Frauen und Männern Verantwortung zeigt, ist ein wichtiges Signal. Zwischen 48 und 72 Stunden benötigt die Eingreiftruppe, um verlegebereit zu sein.

Zwei-Prozent-Ziel wird nicht erreicht

Dass die Bundeswehr zur Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten sowohl das Großgerät als auch die persönliche Ausrüstung unter großen Anstrengungen aus allen Einheiten der Truppe zusammenleihen musste, und nach der Puma-Panne kurzfristig auf den alten Schützenpanzer Marder zurückgreifen muss, ist hierbei symptomatisch für das Gefälle zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Ab 2025 wird die Schnelle Eingreiftruppe der NATO vergrößert und Deutschland hat sich verpflichtet, 30 000 der dann insgesamt 300 000 Soldatinnen und Soldaten zu stellen, die binnen 30 Tagen in verschiedenen Bereitschaftsgraden an einen möglichen Krisenort verlegt werden können.

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Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr kann nur mit einer adäquaten Finanzierung hergestellt werden. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO ist hierbei die Mindestvoraussetzung. Als viertgrößte Volkswirtschaft der Erde bleibt der deutsche Wehretat jedoch weiterhin und trotz des Sondervermögens deutlich hinter der Zielmarke zurück. So sind 2023 laut Bundeshaushalt Ausgaben in Höhe von 1,6 Prozent des BIP vorgesehen. Damit werden die finanziellen Zusagen an die NATO ein weiteres Jahr verfehlt. Dies ist bemerkenswert, zumal die jüngsten Gespräche innerhalb der NATO das Zwei-Prozent-Ziel mittlerweile als Mindestwert betrachten.

Effiziente Beschaffungsstrukturen sind eine unerlässliche Grundvoraussetzung: Munitionsmangel, technische Defekte bei militärischem Großgerät oder das Fehlen von Helmen, Schutzwesten und modernen Funkgeräten müssen der Vergangenheit angehören. Um dem Materialbedarf gerecht zu werden, bedarf es insbesondere einer größeren Planungssicherheit für die deutsche Verteidigungsindustrie.

Streitkräfte und wehrtechnische Industrie waren seit jeher Treiber des zivilen Fortschritts

Auf klare politische Zielvorgaben müssen kurze Beschaffungszeiten, unter anderem durch einfachere Ausschreibungsverfahren folgen, die in einen agilen Entwicklungsprozess der Verteidigungsindustrie münden. In der Entwicklungs- und Produktionsphase müssen Industrie und Bundeswehr eng zusammenarbeiten und durch fortlaufende Praxistests die Geräte stets optimieren.

Militärisches Durchsetzungsvermögen in Form von Abschreckung

Die Bundeswehr der Zukunft muss heute auf den Krieg von Morgen ausgerichtet werden. Dabei hat vor allem Künstliche Intelligenz (KI) das Potenzial, die Art und Weise, wie bewaffnete Konflikte geführt und gedacht werden, nachhaltig zu verändern. Wie KI zu einem militärischen Vorteil verhelfen kann, welche Rolle der Mensch bei ihrem Einsatz spielt und was dabei unbedingt aus ethischer und rechtlicher Perspektive zu beachten ist, muss Teil des Denkprozesses werden. Politik und auch die Gesellschaft sind gefordert, um mit dem digitalen Wandel auch im wehrtechnischen Bereich nicht nur schrittzuhalten, sondern ihn aktiv zu gestalten. Dabei sollte nicht vergessen werden: Egal ob Internet, Digitalfotografie oder das Ortungssystem GPS - die Streitkräfte und die wehrtechnische Industrie waren seit jeher Vorreiter und Treiber des zivilen Fortschritts.

Darüber hinaus braucht es eine strategische Kultur in Deutschland, die neben der strategischen Vorausschau auch die strategische Kommunikation umfassen sollte. In Zeiten multipler Krisen und globaler Dynamiken ist eine gezielte strategische Kommunikation, um Unruhen in der Bevölkerung vorzubeugen, Priorisierungen der Bundesregierung nachvollziehbar zu machen und die Politik zu erklären, unabdingbar. Politische Entscheidungsträgerinnen und -träger müssen der Öffentlichkeit die Bedrohungslagen offenbaren. Um Frieden, Stabilität und die internationale Ordnung gewährleisten zu können, bedarf es neben der Diplomatie auch militärisches Durchsetzungsvermögen in Form von Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit.

Zeitenwende muss gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden

Um im Bündnis auf Augenhöhe zu agieren, in seinen Interessen und mit dem gemeinsamen Ziel, die westliche Werteordnung zu schützen, ernstgenommen zu werden, erfordert es eine einsatzfähige Bundeswehr, die im Inneren von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Nur so kann sie als Parlamentsarmee legitimiert werden und handlungsfähig sein. Die Gesellschaft muss hierbei den Zweck sehen und verstehen können, was die Bundeswehr zu leisten hat.

Ausdruck dieses Zweckverständnisses und der Würdigung des Wertes ist außerdem eine starke und gut ausgestattete Reserve, die die Bundeswehr in der Gesellschaft verankert und gleichzeitig Rückgrat der Landes- und Bündnisverteidigung ist. Sie sichert nicht nur eine Aufwuchsfähigkeit im Krisenfall, sondern trägt zur verstärkten Wehrhaftigkeit der Gesellschaft bei. Die Wirkmacht von Widerstandskraft und Resilienz einer Bevölkerung wird nicht zuletzt derzeit in der Ukraine deutlich, wo die Bevölkerung nach Angriffen auf zivile Infrastrukturen teilweise über mehrere Tage auf die Grundversorgung verzichten muss.

Die Bedrohungslage Deutschlands hat sich längst verändert. Die Bundeswehr ist bedingt einsatzfähig

Die Ereignisse in der Ukraine, die Bilder und Eindrücke aus den Kriegsgebieten haben dem Denkprozess in Deutschland eine neue Dynamik gegeben. Politik und Gesellschaft erkennen immer mehr, dass es einer einsatzfähigen Bundeswehr bedarf. Die Politik hat die Zeitenwende vorgegeben, das Sondervermögen auf den Weg gebracht. Die Zeitenwende muss jedoch gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden.

Der russische Angriffskrieg hat uns die Dringlichkeit einer einsatzfähigen Bundeswehr und resilienten Gesellschaft erneut vor Augen geführt. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, um mittelfristig einen Effekt zu erzielen. Die Bedrohungslage Deutschlands hat sich längst verändert. Die Bundeswehr ist bedingt einsatzfähig. Damit sich das schnellstmöglich ändert und die Bundeswehr mittelfristig wieder verteidigungsfähig sein wird, brauchen wir jetzt entsprechende politische Weichenstellungen.

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