Warum stehen sich Klimaschutz und Digitalisierung im Weg, Herr Ebert?

Viele glauben, Digitalisierung und Klimaschutz fördern sich gegenseitig. Journalist Eduard Ebert sieht das anders. Er meint: Wenn wir die Problematik ernst nehmen, müssen wir die Digitalisierung begrenzen. Ein Gastbeitrag.

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Eduard Ebert
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Bis zu 60 Milliarden Doller sind die Rohstoffe wert, die in der Menge an Elektroschrott stecken, die jedes Jahr aufs Neue anfällt. Trotzdem werden nur 20 Prozent davon recycelt. © dpa/privat

Wenn Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel in New York den „Verrat“ an ihrer Generation anprangert, dann denken wir ans Fliegen, an SUVs, Fleisch und Kohle. Was die Bewegung aber nicht kritisiert sind die Technologien, mit denen sie groß geworden ist. Niemand fordert ein Smartphone-Verbot, keiner will die Abschaltung von Serverfarmen – obwohl das Internet fast so viel CO2 ausstößt wie alle Flugzeuge zusammen.

Trotzdem glaubt in Deutschland mehr als jeder Zweite, dass die Digitalisierung im Kampf gegen den Klimawandel helfen kann. Die digitale Utopie stellen wir uns so vor: Leere Kühlschränke bestellen Nachschub; Heizungen, Rollläden und Lampen orientieren sich an Wetterdaten und Lichtsensoren. Unsere smarten Autos kommunizieren mit Sensoren, fahren selbstständig, während wir Zeitung lesen und Kaffee trinken.

Das Problem ist: Für all diese Ideen brauchen wir Computer, die riesige Datenmengen bewegen. Für die Streaming- und Clouddienste, die wir schon nutzen, wächst der Energieverbrauch des Internets immer weiter. Denn unsere Daten fliegen nicht in der Luft herum, sondern liegen auf sogenannten Servern. Das sind Rechner, die selbst Strom benötigen und gekühlt werden müssen.

Dort sind die Netflix-Serien gespeichert, die wir uns abends anschauen: Wenn ich auf den Play-Button drücke, schickt der Browser eine Anfrage an den Amazon-Server, damit mein Rechner die Daten bekommt und das Video abspielen kann. Solche Rechner arbeiten nicht nur für Netflix, sondern auch für unsere Clouds, Mails, WhatsApp und YouTube – und das rund um die Uhr, weil wir Ausfälle nicht ertragen.

Sieben Gramm CO2 pro Suche

Jede Serverfarm braucht ein Notstromaggregat und eine Kühlung, damit die Rechner nicht überhitzen. Diese Aggregate werden meist mit Diesel betrieben und können so groß wie ein Haus sein. Wäre das Internet ein Land, läge es auf dem dritten Platz der Stromverbraucher nach China und den USA.

2009 rechnete der Harvard-Physiker Alex Wissner-Gross aus, dass eine Google-Suche sieben Gramm CO2 ausstößt. Bedenkt man, dass Google täglich etwa 3,5 Milliarden Suchen verarbeitet, entspricht das in etwa dem damaligen CO2-Ausstoß von Litauen. Google benutzt zwar ausschließlich erneuerbare Energien, aber der CO2-Ausstoß des Unternehmens ist aufgrund des höheren Datenvolums gestiegen: Allein auf YouTube werden jede Minute 500 Stunden Videomaterial hochgeladen. Das Streamen von Videos ist laut The Shift Project für ein Prozent aller globaler Emissionen verantwortlich – genauso wie Großbritannien. Vor zehn Jahren war es CO2-neutral, in eine Bibliothek zu gehen und sich ein Buch auszuleihen – natürlich läuft bei der Papierproduktion viel schief, Abholzung und Chemikalien zum Beispiel. Aber aus ökologischer Sicht würde sich ein E-Reader nur lohnen, wenn man damit mehr als 40 Bücher liest.

Wertvolle Metalle

Was die meisten außerdem vergessen: E-Reader und Bücher brauchen unterschiedliche Rohstoffe. Holz wächst nach, Kobalt und Lithium nicht. Smartphones enthalten um die 50 Elemente, oft wertvolle Metalle, die nur selten in der Erdkruste auftauchen und schwer abbaubar sind. Für unsere Batterien benötigen wir oft Lithium. Da dieses Metall sehr stark verstreut ist, ist es besonders schwierig, es zu finden.

An einem der trockensten Orte der Welt, der Atacama-Wüste in Chile, werden jeden Tag 21 Millionen Liter Grundwasser verwendet, um dieses Element hochzuspülen. Das Wasser verdunstet einfach.

Für Harald Lesch ist das Wahnsinn: „Damit wir kommunizieren und uns elektromobil fortbewegen können, beuten wir nicht nur Länder aus, sondern verschwenden einen der wertvollsten Stoffe der Welt und reden uns dabei ein, wie toll es wäre, wenn wir nur noch mit Elektroautos fahren würden“, teilte er mir in einem Interview im November 2018 mit. Wir sollten diese Metalle wenigstens recyceln, aber Umweltbehörden schätzen, dass wir höchstens 20 Prozent des Elektroschrotts wiederverwerten, obwohl die Rohstoffe bis zu 60 Milliarden Dollar wert sind. Statt diese Materialien zu benutzen, werden die meisten Geräte um die halbe Welt geschifft und dann verbrannt oder auf Müllkippen geworfen.

50 Millionen Tonnen Schrott

Herstellungszyklen und Lebensdauer werden immer kürzer. Wir werfen unsere alten Geräte immer öfter weg und produzieren damit mehr Müll. Weltweit produzieren wir schätzungsweise 50 Millionen Tonnen Elektroschrott jedes Jahr.

Natürlich können wir mit moderner Technik Wirtschaft und Klimaschutz effizienter gestalten. Beispielsweise können wir unsere Landwirtschaft durch die Digitalisierung besser koordinieren. Sensoren erheben Daten wie pH-Werte und Luftfeuchtigkeit, Algorithmen verwerten sie und senden sie an eine Cloud. Landwirte können diese Informationen auf einer App empfangen und so beispielsweise weniger Pestizide verwenden. Doch diese Methoden basieren allesamt auf einer Technik, die umwelt- und klimaschädlich ist.

Wir lösen diese Probleme nicht, im Gegenteil: Wir verlagern sie nur. Wir tragen die Digitalisierung in immer mehr Lebensbereiche hinein, wir brauchen immer mehr Rechenzentren und Geräte, die Energien und Ressourcen fressen. Wir entwickeln effizientere Geräte, auch wegen des Umweltschutzes. Dadurch wechseln wir alte Rechner häufiger aus, so dass der Ressourcenverbrauch steigt, anstatt zu sinken. Damit verlieren wir die Einsparungen, die wir durch die Effizienz gewonnen haben.

Suche nach Alternativen

Viele hinterfragen daher unser Wirtschaftssystem. Denn wie können wir umweltfreundlich leben, wenn unser Wirtschaftssystem auf Wachstum basiert? Bleibt uns keine andere Möglichkeit, als unser Wirtschaftssystem zu ersetzen? Der Kapitalismus braucht Wachstum. Kurzlebige Produkte sind zwar gut für die Wirtschaft, aber nicht für die Umwelt.

Der Philosoph Hans Jonas vermutet in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“, dass sozialistische Staaten eher Umweltschutz durchsetzen können, weil sie nicht von der Wiederwahl abhängen. Aber wer von uns wäre dafür bereit? Deutschland scheint in dieser Frage zwiegespalten zu sein: Nach Angaben einer Ipsos-Umfrage von 2018 stimmen 45 Prozent der Befragten zu, dass sozialistische Ideale von großem Wert für den gesellschaftlichen Prozess seien. Gleichzeitig halten 49 Prozent den Sozialismus für ein System der Unterdrückung. Damit lässt sich kein System verändern.

Auch Jonas hat den Sozialismus letztlich begraben, da dieser den Kult der Technik noch stärker betreibe. Die Lösung liege im Verzicht: „Freiwillig wenn möglich, erzwungen wenn nötig“. Jonas plädiert für einen behutsamen Einsatz von Technik.

Das würde bedeuten, dass wir uns von Ideen wie dem Internet of Things, Smart City oder Smart Home verabschieden müssten. Das heißt: Wir müssten uns von der digitalen Utopie verabschieden – von den leeren Kühlschränken, die eigenständig Nachschub bestellen, von den Heizungen, Rollläden und Lampen, die sich an Wetterdaten und Lichtsensoren kommunizieren und auch von den smarten Autos, die mit Sensoren kommunizieren und selbstständig fahren.

Projekte wie das Fairphone gehen zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Das Unternehmen versucht, Müll zu vermeiden. Dafür stellt es möglichst langlebige Smartphones her, die aus recycelten Materialen bestehen, sich günstig reparieren und erweitern lassen. Das ist gut, aber es reicht nicht. Digitalisierung ist kein Motor für Klimaschutz, sondern ein Hindernis.

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Der gastautor

  • Eduard Ebert ist freier Journalist und schreibt in dieser Funktion auch für diese Zeitung.
  • Er absolviert die Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung.
  • Außerdem arbeitet er als Programmierer für das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung.

Freier Autor Stipendiat der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung Frührechercheur bei der Deutschen Presse-Agentur

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