Debatte

Warum sollten wir lernen, einander besser zuzuhören, Herr Behn?

Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist fragil, die wirtschaftliche und politische Lage angespannt. Deshalb braucht es vermehrt die Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören. Ein Gastbeitrag.

Von 
Christoph Behn
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Wer einander zuhört, schafft Vertrauen und eine echte Bindung, sagt unser Gastautor Christoph Behn. Das sei in diesen Zeiten wichtiger denn je. © Getty Images

Mannheim. Deutschland steht am Scheideweg. Die politische Lage ist angespannt, die gesellschaftliche Stimmung fragil – das Vertrauen in zentrale Institutionen schwindet. Während extreme Positionen lauter werden, scheinen die verbindenden Stimmen leiser zu werden. Was wir in dieser Zeit am dringendsten brauchen, ist nicht die nächste große Antwort, sondern die Bereitschaft, einander wirklich zuzuhören. Und die Kraft, neue Formen der Verbindung zu schaffen – zwischen Menschen, zwischen Generationen, zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.

Ich selbst bin Unternehmer, und mir wurde über die Jahre immer klarer: Was Menschen wirklich bewegt, sind nicht Produkte oder Prozesse, sondern echte Verbindung. Es sind die Begegnungen, das gemeinsame Lachen, das geteilte Durchhalten in schwierigen Momenten. Die Frage, ob wir einander sehen – wirklich sehen. Diese Einsicht hat mein Leben verändert – als Unternehmer, als Vater, als Mensch. Ich habe gelernt: Verbindung entsteht nicht durch das Reden. Sondern durch das Zuhören.

Zuhören als unternehmerische Qualität

Zuhören ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ich als Gründer lernen musste. Am Anfang eines Start-ups steht oft die Vision, die Lösung, der Plan. Und als Unternehmer ist man schnell versucht, in genau diesem Modus zu verharren: Probleme identifizieren, Lösungen liefern, Entscheidungen treffen. Das ist essenziell – aber irgendwann reicht es nicht mehr aus.

Denn mit dem Wachstum eines Unternehmens wachsen auch die leisen Stimmen: Zweifel, Spannungen, blinde Flecken. Wer nur redet, übersieht sie. Wer zuhört, erkennt sie. Wenn ein Unternehmen wächst, wenn Teams diverser werden, wenn Komplexität zunimmt, verändert sich die Aufgabe von Führung. Dann geht es nicht mehr nur darum, richtig zu handeln – sondern darum, richtig zu hören. Nicht mit dem Ziel, sofort zu antworten. Sondern mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich zu verstehen.

Ich habe das nicht von Anfang an gekonnt – und es fällt mir bis heute nicht immer leicht. Aber ich bin überzeugt: Wer zuhört, baut Vertrauen. Und ohne Vertrauen ist keine Verbindung möglich. Weder in Familien noch in Teams, weder in Organisationen noch in einer Gesellschaft.

Unternehmen als Orte der Verbindung

In einer Zeit, in der sich viele gesellschaftliche Räume auflösen oder radikalisieren, werden Unternehmen mehr und mehr zu sozialen Orten. Sie sind Mikrokosmen unserer Gesellschaft: Hier treffen Generationen, Meinungen und Lebensrealitäten aufeinander. Hier entstehen Konflikte – aber auch Lösungen.

Wenn wir es richtig machen, können Unternehmen zu Orten werden, an denen echte Verbindung entsteht. Wo Menschen nicht nur arbeiten, sondern wachsen. Wo psychologische Sicherheit herrscht. Wo Vielfalt nicht nur toleriert, sondern als Stärke begriffen wird.

Diese Form von Kultur entsteht nicht durch Zufall. Sie braucht Haltung, Strukturen und Führung, die auf Vertrauen, Klarheit und gegenseitiger Verantwortung aufbauen. Ich sehe es als eine der wichtigsten Aufgaben von Leadership heute, genau solche Räume zu schaffen – nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Gesellschaftliche Verbindung beginnt im Kleinen

Verbindung entsteht nicht nur in Unternehmen, sondern auch im Alltag: in der Kita, auf dem Fußballplatz, im Bus, in der Nachbarschaft. Dort, wo Menschen einander begegnen. Und trotzdem sind diese Räume heute oft brüchig geworden. Digitalisierung, Urbanisierung, Individualisierung – all das hat viel Gutes gebracht, aber auch dafür gesorgt, dass wir uns seltener wirklich begegnen. Der schnelle Kommentar ersetzt das Gespräch. Das Urteil kommt vor dem Austausch. Wir leben Tür an Tür – und bleiben uns doch fremd.

Deshalb ist es so wichtig, neue Orte und Formen der Begegnung zu schaffen. Räume, in denen Menschen sich mit Respekt begegnen. Wo sie sich öffnen dürfen. Wo auch Unsicherheit und Zweifel Platz haben. Denn echte Verbindung entsteht nicht durch Perfektion – sondern durch Verletzlichkeit.

Zuhören als politische Kompetenz

Was für Unternehmen und Beziehungen gilt, gilt auch für Politik: Zuhören ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Gerade in Zeiten der Transformation, in denen Antworten selten einfach sind, brauchen wir Politiker und Politikerinnen, die sich trauen, Fragen zu stellen. Die bereit sind, Stimmen zu hören, die nicht in ihre eigene Bubble passen. Die Brücken bauen – zwischen den Milieus, nicht nur zwischen den Machtblöcken.

Was uns heute fehlt, ist nicht nur eine Strategie. Es fehlt eine Haltung: die Bereitschaft, einander nicht nur zu widersprechen, sondern zuzuhören. Nicht, um zu gewinnen. Sondern um Lösungen zu finden, die tragen.

Europas Stärke: Verbindung in Vielfalt

Dieser Anspruch endet nicht an nationalen Grenzen. Gerade Europa ist für mich ein Leuchtturmprojekt für genau diese Art von Verbindung. Ein Kontinent, der gezeigt hat, dass Vielfalt keine Schwäche ist, sondern eine Quelle von Stärke, Kreativität und Zusammenhalt. Die europäische Idee basiert auf dem Miteinander unterschiedlichster Kulturen, Sprachen und Perspektiven – und lebt von der Bereitschaft, Unterschiede nicht nur zu akzeptieren, sondern aktiv zu gestalten.

Doch auch hier geraten zentrale Werte unter Druck. Nationalistische Tendenzen nehmen zu, das Vertrauen in Institutionen schwindet. Umso wichtiger ist es, Europa nicht nur als Wirtschaftsraum zu begreifen, sondern als Wertegemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die auf Empathie, Offenheit und Zusammenarbeit basiert – und die ihre Stärke genau daraus zieht: aus der Fähigkeit, Unterschiedliches zu verbinden. Verbindung entsteht nicht von allein. Sie braucht Räume, Rituale und Aufmerksamkeit. Und sie braucht Menschen, die bereit sind, sich einzulassen. Mit Offenheit. Mit Mut. Mit Empathie.

Was wir jetzt brauchen

Wir stehen als Gesellschaft an einem Punkt, an dem wir vieles neu verhandeln müssen – wirtschaftlich, politisch, sozial. Inmitten all dieser Debatten dürfen wir nicht vergessen, worum es im Kern geht: um den Menschen. Um das Gegenüber. Um das Verbindende – nicht nur das Trennende.

Wenn wir wollen, dass unser Land ein Ort bleibt, an dem Menschen gerne leben, arbeiten und gestalten – dann müssen wir dafür sorgen, dass sich Menschen verbunden fühlen: mit ihrer Arbeit, mit ihren Mitmenschen, mit einer gemeinsamen Zukunft.

Das ist keine rein moralische Frage. Es ist eine wirtschaftliche, soziale und demokratische Notwendigkeit. Denn nur, wenn wir einander zuhören, einander vertrauen und gemeinsam gestalten, können wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen. Verbindung ist nicht alles. Aber ohne Verbindung ist alles nichts. Und vielleicht ist es genau diese Verbindung, die unsere größte Stärke werden kann.

Der Gastautor



Christoph Behn ist Gründer und Geschäftsführer der Celebrate Company, zu der u. a. die Kartenmacherei gehört.

Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie Unternehmen Verbindung, Vertrauen und Verantwortung neu denken können – nach innen wie nach außen.

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