"MM"-Debatte

Warum müssen wir die Energiewende jetzt verteidigen, Frau Kemfert?

Die Umstellung auf erneuerbare Energien schützt nicht nur das Klima und die Demokratie. Die Nutzung von Wind- oder Solarkraft trage auch zum Weltfrieden bei, meint die Wissenschaftlerin Claudia Kemfert. Ein Gastbeitrag.

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Claudia Kemfert
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Stehen der Energiewende - hier ein Foto von Windrädern bei Wilster (Schleswig-Holstein), das durch ein Zugfenster entstand - düstere Zeiten bevor oder gibt es für sie einen Lichtblick? Die Bundestagswahl im Herbst könnte darüber entscheiden.

© dpa/Betke

2017 ist ein wichtiges Jahr für das Klima. Es ist ein Jahr der Entscheidungen, für die amerikanische Klimapolitik, für Frankreich, für den Deutschen Bundestag, für uns alle. Wenn Europa zerfällt und der Populismus um sich greift, wenn die falschen politischen Mächte das Rad in die verkehrte Richtung drehen und wir dem fossilen Kapitalismus - also ein System des Kapitalismus, das von fossilen Energieträgern wie Kohle und Öl befeuert wird - freie Hand lassen, ist die Energiewende in Gefahr. Und mit ihr nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch, so pathetisch das klingt, der Weltfrieden.

Alles schien auf einem guten Weg. Die Energiewende schafft Wohlstand, macht unabhängig von geopolitischen Konflikten, schützt das Klima und stärkt die Demokratie. Und sie ist erfolgreich. Zu erfolgreich.

Die Energiewende führt zu einer dauerhaft nachhaltigen Energieversorgung. Dies senkt die Importabhängigkeit fossiler Energien und trägt zum Klimaschutz bei. Somit ist die Energiewende in Deutschland nicht nur ein Mittel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Stärke, sondern auch zur Krisenprävention.

Durch den Umstieg auf erneuerbare Energien wird die dezentrale Energieversorgung gestärkt, gleichzeitig erhöht sich der Anteil von Bürgern in Energiewende-Projekten, es ist eine Bürger-Energiewende.

Auch in Ländern mit großen Konflikten in Nordafrika oder im arabischen Raum kann die Energiewende ein Friedensprojekt sein, da Solar- und Windenergie auch dort kostenlos zur Verfügung stehen. Zudem führt eine konsequente globale Energiewende zu einer Verminderung des Klimawandels. Mit einer Energiewende wird nicht nur der Klimawandel aufgehalten. Die Energiewende hält nicht nur enorme wirtschaftliche Chancen bereit. Sie ist auch ein Friedensprojekt.

Die "alten" Energien und die Klimaskeptiker gehen nicht kampflos vom Platz. Anstelle von Rückzugsgefechten schalten sie auf Frontalangriff. Sie nutzen keine Armee, sondern Propaganda und "Fake News" - also gefälschte Nachrichten. Mit bislang unbekannter Aggressivität werden Behauptungen, Mythen und Fehlinformationen vorgetragen.

Doch welchen Einfluss werden die Entwicklungen in den USA auf den Rest der Welt haben? Wird es angesichts der amerikanischen Abkehr vom Klimaschutz auch in Deutschland eine umweltpolitische Kehrtwende geben? Oder werden wir in der deutschen Klimapolitik einen "Jetzt erst recht!"-Ruck erleben?

Die Antwort fällt beunruhigend aus: Nach der dritten Legislaturperiode unserer einstigen "Klima-Kanzlerin" sieht es im Bundestagswahljahr 2017 eher düster aus in Sachen Klimaschutz und Energiewende.

Wenig überraschend zeigt sich die umstrittene AfD wenig zukunftsgewandt. Lautstark wirbt die Partei damit, die Energiewende stoppen und den Atomausstieg rückgängig machen zu wollen. Und sie scheut sich nicht, den Klimawandel samt Erderwärmung zu Propaganda zu erklären. Trump macht Schule.

Doch das energiepolitische Zurückrudern in Berlin startete schon lange vor der US-Wahl: Ein weichgespülter Klimaschutzmaßnahmenplan ohne konkrete Ziele, ohne konkretes Datum für einen Kohleausstieg war der Anfang. Die Folge: fatale Fehlinvestitionen und Verzögerungen in Sachen Klimaschutz und Technologiefortschritt, die nicht mehr aufzuholen sind.

So hat die Politik den längst beschlossenen Kohleausstieg verfehlt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu Tode novelliert und es versäumt, attraktive und verlässliche Regelungen für die neue Wirtschaftswelt zu schaffen. Verhaltensänderungen brauchen finanzielle Anreize, das gilt für Konsumenten wie für Unternehmen.

Durch die Privatisierung und den Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Energiemarkt zwar mehr als deutlich im Wandel begriffen, doch die grundlegenden Strukturen haben sich bislang nicht wesentlich verändert. Noch immer gilt: Wer die Netze hat, hat die Macht.

Dass wir im Rest der Welt auch weiterhin als Klimapioniere gelten, liegt daran, dass wir im internationalen Vergleich trotz allem sehr gut dastehen - unter den blinden Klimarettern ist der Einäugige König. Mit einem winzigen Königreich allerdings, das darf nicht vergessen werden.

Trotzdem: Wenn Deutschland nicht nur schmucke Klimaziele formuliert, sondern auch tatkräftig und entschlossen konkrete Maßnahmen ergreift, um diese Ziele zu erreichen -dann kann das im Weltmaßstab kleine Land in seiner Vorbildfunktion große Wirkung haben.

Nicht zuletzt als Friedensstifter. Denn die meisten aktuellen Kriege sind schon heute Konflikte um mangelnde Ressourcen - Energie ist eine der wichtigsten Ressourcen für die Wirtschaft aller Staaten. Wer hier innovative Ideen und zukunftsweisende Impulse liefert, kann so manchen Konflikt aus der Welt schaffen. Wer sich nicht um Ölquellen streiten muss, weil Solarzellen auf den Häuserdächern die regionale Wirtschaft beflügeln, findet vielleicht auch friedliche Wege für ein fruchtbares soziales Miteinander.

Erneuerbare Energien sind nicht nur Motor für den wirtschaftlichen Aufschwung anderer Länder, sondern auch eine wertvolle Antriebskraft für die deutsche Wirtschaft. Das Land der Erfinder und Ingenieure könnte auf diese Weise Energie und Frieden in der Welt verbreiten. Unerwartet befinden wir uns mitten im Krieg der Energiewelten. Besonders sichtbar wird das in den USA. Doch auch in Deutschland und Europa ist nicht alles rosig. Das fossile Imperium schlägt zurück. Auch hierzulande. Es ist höchste Zeit für Gegenwehr.

Wir alle sind aufgerufen, dem wieder salonfähig gewordenen Populismus mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten. Aus dem Kampf um Strom ist längst ein Krieg um Energie geworden: Es geht um nicht weniger als um alles. Wir sollten uns von den Ablenkungsmanövern der fossilen Energiewelt nicht irritieren lassen.

Meinungsfreiheit heißt auch, dass es in einer demokratischen Gesellschaft nicht die eine, die absolute Wahrheit gibt, sondern widerstreitende Positionen, die um einen Konsens ringen. Bislang waren Fakten die gemeinsame Ausgangsposition für eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite. Wissenschaftliche Belege bildeten die Basis für eine kontroverse Diskussion. Daran haben wir uns orientiert, politische Entscheidungen dadurch begründet, uns auf dieser Grundlage eine eigene Meinung gebildet und unsere Position daran festgemacht.

Die Auseinandersetzung mit "Fake News" und Falschmeldungen ist nicht mit einer demokratischen Debatte zu verwechseln. Wir sollten also nicht allzu viel Energie damit verschwenden, immer wieder auf die Ablenkungsmanöver der alten Energiewelt hereinzufallen. Wenn wir uns ständig von all den Fehlinformationen und verdrehten Tatsachen aufhalten lassen, verschwenden wir wertvolle Zeit.

Wer den Klimawandel leugnet, wird nicht über Klimaschutz sprechen. Wer den Handlungsbedarf leugnet, wird nicht über die Ziele, Methoden und Maßnahmen einer Energiewende verhandeln. Und wer sich ablenken lässt, übersieht womöglich das Offensichtliche: Gesetzesnovellen, die die Energiewende noch weiter hinauszögern, Steuergeschenke für die Kohleindustrie, Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke. Oder sogar gefährliche geopolitische Konflikte im Schatten der Gespensterdebatten.

Wir brauchen dringend eine Rückbesinnung auf die vernünftigen Argumente einer konsequenten Energiewende. Wer die Ablenkungsmanöver der fossilen Energiewirtschaft durchschaut, wer die Dinge hinterfragt und sich informiert, wird eine gut begründete Meinung vertreten können. Wer sich der Konsequenzen des eigenen Tuns und Nichtstuns bewusst wird, wird politisch aktiv werden und sich engagieren können.

Unser aller Engagement ist dringend nötig: Wir sollten der globalen Verunsicherung nicht mit einem Rollback (englisch für zurückrollen) entgegentreten. Anstatt den Problemen von heute mit Antworten von gestern zu begegnen, wäre es sehr viel klüger, sich nicht beirren zu lassen und konsequent in die Energiewelt der Zukunft zu investieren.

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