Wer Markus Söder verstehen will, muss sich mit Bildern befassen. Wenn Söder etwa dieser Tage eine Reise in den Vatikan plant, darf man unterstellen, dass es dem bayerischen Ministerpräsidenten dort nicht nur um tiefe Gespräche mit Papst Franziskus und dessen Vorgänger Benedikt XVI. geht. Es geht ihm sicher auch um die schönen Fotos, die dabei entstehen dürften. Ein zentrales Reiseziel könnte etwa die gut dokumentierte Harmonie mit dem bayerischen Landsmann Benedikt sein: Nach der Kontroverse um die Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden wäre das genau der symbolische Schulterschluss, den Söder jetzt braucht. Am 14. Oktober ist Landtagswahl im Freistaat.
Mit Bildern macht Söder Politik. Die bundesweite Kontroverse um den Kreuz-Erlass hatte Ende April ja auch ein Foto losgetreten – es zeigt, wie der Regierungschef persönlich ein Kruzifix in der Münchner Staatskanzlei anbringt. Der gelernte TV-Journalist Söder hat früh in seiner Karriere begriffen, dass er mit einem einfachen Bild mehr Menschen erreicht als mit einer langen Pressemitteilung. Er hat Facebook-Politik gemacht, als es Facebook noch gar nicht gab. Er ist ganz alte Schule, nur halt bei Instagram.
„Polarisierung“, das ist in der Politik oft ein Schimpfwort. Für Söder ist es ein taktisches Instrument. Man darf annehmen, dass er sehr wohl ahnte, wie sein Kruzifix-Foto die öffentliche Meinung spalten wird. Aber so etwas nimmt er in Kauf: Er bedient sein konservatives Kernklientel und kümmert sich nicht um die Empörung jener, die ihn eh nicht wählen. Gut, auf die Kritik mancher Kirchenleute hätte er in diesem Fall sicher lieber verzichtet. Sein Kalkül könnte trotzdem aufgehen: Laut einer Umfrage unterstützen 56 Prozent der bayerischen Wähler seinen Kurs beim Kreuz.
Markus Söder ist schamlos und er ist clever, er ist schamlos clever. Er war schon als kleiner Landesminister eine große Provokation. Deshalb kennt man ihn nicht nur in München und Mannheim, sondern auch in Herne und Husum – auch wenn man ihn nicht unbedingt mag.
Söder. Mit wem man auch redet, der Name provoziert. Er provoziert Abscheu und Bewunderung. Für die Einen ist er ein eiskalter Machtmensch und ein heißblütiger Populist – die Verkörperung all dessen, was ihnen nicht geheuer ist an der Politik. Für die Anderen ist er ein leidenschaftlicher Konservativer, der sich nicht hat glatt feilen lassen von den Gesetzen der politischen Korrektheit – die Verkörperung all dessen, was Politik für sie ausmacht.
Auf jeden Fall verkörpert Söder die CSU, deren Faszination sich von jeher auf aufreizende Selbstgewissheit und unverhohlene Rauflust gründet. Er verkörpert sie mit Haut und Haar, gerade ihren bayerischen Exzeptionalismus. Die Interessen des Freistaats mit ausgefahrenen Ellbogen verfechten, das ist ein Prinzip, das für baden-württembergische oder Berliner Ohren befremdlich klingen mag. Für die CSU ist es ein über Jahrzehnte bewährtes Erfolgsrezept.
Söder rückt aber sogar seine Partei ins Extreme. Er merkelt nicht lange umeinander, er will sich den Wahlsieg im Herbst nicht mühsam von Demoskopen herbei konstruieren lassen. Er bemüht sich gar nicht erst um rote oder grüne Wähler. Er will schlicht: die bürgerlich-konservative Mehrheit, zu der nun mal auch einige AfD-Sympathisanten gehören. Söder steht für die CSU, die ihre Anhänger von Herzen lieben; er steht für die CSU, die ihre Gegner von Herzen hassen.
Mit 51 Jahren ist er der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte des Freistaats. Was ihn – politisch ganz wertfrei – auszeichnet, ist sein unbändiger Fleiß. Er betreibt an 365 Tagen im Jahr Politik, von morgens halb sechs bis Mitternacht. Den „Immer-da-Söder“ nannten sie ihn schon bei der Jungen Union. In seiner Heimatstadt Nürnberg erzählen sie diese Geschichte: Der junge Wahlkämpfer Söder rief bei einem Kleingartenverein an, er habe da von einem Grillfest gehört. Ob er da nicht das Fass anstechen könne? Die Kleingärtner meinten, das sei ein nettes Angebot, aber man habe beim Grillfest kein Fass. Söder sagte, er werde das Fass mitbringen. Söder hat sich seiner Partei und dem Land regelrecht aufgezwungen.
Die Provokation war bei seinem Aufstieg stets ein Mittel zum Zweck. Der junge Söder hat sich gern als Partei-Rebell geriert, und auch später hat er seine Karrieresprünge eigentlich immer gegen den erklärten Willen des CSU-Establishments gemacht. Der letzte dieser Machtkämpfe war im Herbst 2017 das epische, hässliche Duell mit Horst Seehofer. Söder gegen Seehofer, das war das Endspiel zweier stolzer Alpha-Tiere, die ein Jahrzehnt lang so viel Misstrauen und Verletzung aufgetürmt haben, dass sie heute wahrscheinlich selbst nicht mehr wissen, ob die gegenseitige Verachtung einen bestimmten Grund hat.
Söder ist ein Politiker, der den Konflikt sucht und Gegner braucht. Man wird dem Politikrentner Söder eines Tages kaum nachsagen können, dass er an dieser oder jener Wegscheide zu weich war. Noch vor wenigen Monaten hatten viele Christsoziale gewarnt, diesem rücksichtslosen Menschen dürfe man weder die Partei noch das Land anvertrauen. Doch nachdem im Dezember 2017 fest stand, dass er Ministerpräsident werden würde, besann sich die CSU auf die Parteiräson. Für den Landtagswahlkampf stellen sich auch seine größten Gegner hinter Söder. Selbst Seehofer hat sich auf eine Art Burgfrieden eingelassen.
Früher gab es diesen Spruch in der bayerischen Politik: „Blöd, blöder, Söder“. Heute dämmert vielen, dass Söder so blöd ja doch nicht sein kann angesichts seines Erfolgs. „Er hat den Schuss Brutalität, der es leichter macht“, sagt ein CSU-Mann. Der Provokateur Söder hat aber auch noch etwas anderes: enormes politisches Geschick. Immer und überall hat er seine Netzwerke geknüpft und Abhängigkeiten geschaffen. In alle seine Ministerämter – Umwelt, Europa und Finanzen – hat er sich schnell eingearbeitet und kaum eine Blöße gegeben.
Dabei geholfen hat ihm das Talent, seine Standpunkte in einprägsame Formeln zu fassen. Er ist schmerzfrei, wenn es um billige PR geht – aus seinem aktuellen Projekt-Feuerwerk sei nur das Raumfahrtprogramm „Bavaria One“ genannt. Seine Neigung zu krasser inhaltlicher Vereinfachung mag in der politischen Debatte ein Vorteil sein, sie ist aber auch problematisch: Söder differenziert selbst da kaum, wo Differenzierung dringend nötig wäre, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Er erkennt und bedient nicht nur die Bedürfnisse der Wähler, sondern auch ihre Ressentiments.
So ist er der Unverhinderbare geworden in der CSU. Er hat die Macht bekommen, weil er sie mehr wollte als jeder seiner Konkurrenten.
Und was will er nun anfangen mit der Macht? Seine Anhänger halten Söder für inhaltlich pragmatisch, seine Kritiker für opportunistisch. Vielleicht kann man sagen: Er schaut stets auf den eigenen Nutzen, aber er hat auch nichts gegen einen Kollateralnutzen fürs ganze Land. Politik ist für ihn zuvorderst Management, Problemlösung. So hat er das von seinem politischen Ziehvater Edmund Stoiber gelernt. Im Zweifel hat, wie immer bei Söder, der Gottvater Strauß das letzte Wort: „Man muss die Grundsätze so hoch hängen, dass man bequem unten durch kann.“
Als Stoibers Generalsekretär war Söder ein Spaß- und Brachialpolitiker, dann hat er ein Jahrzehnt lang umgeschult auf Staatsmann. Nun versucht er sich als Landesvater. Fakt ist: Die absolute Mehrheit, der Fetisch der CSU, ist in den Umfragen weit weg. Rechts außen muss Söder die AfD einfangen, und zugleich in der CSU die argwöhnischen Liberalen von sich überzeugen. Die CSU ist immer noch eine breite Volkspartei, Söder muss Grenzzaunfans und Flüchtlingshelfer unter ein Dach bringen. Mit Provokation allein dürfte das nicht gelingen.
Söder ist Fan des 1. FC Nürnberg, aber er vergleicht seine Partei oft mit dem FC Bayern München. Auch der sei zum Siegen verdammt: Platz zwei sei ein Scheitern. Mit den Anführern der CSU ist es da wie mit den Trainern beim FC Bayern: Wenn sie nicht liefern, fliegen sie. Bei der Landtagswahl im Herbst muss Markus Söder liefern.
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Roman Deininger und Uwe Ritzer
- Roman Deininger und Uwe Ritzer sind Reporter bei der „Süddeutschen Zeitung“ in München.
- Deininger kümmert sich um politische Themen; die CSU begleitet er seit vielen Jahren. Sein Söder-Porträt in der „SZ“ war für den Theodor-Wolff-Preis nominiert.
- Ritzer hat sich mit investigativen Recherchen einen Namen gemacht. Dazu gehörten der Fall Gustl Mollath und der ADAC-Manipulationsskandal. Er erhielt unter anderem den Wächter- und den Nannen-Preis.
- Ihr Buch „Markus Söder. Politik und Provokation“ ist im Droemer-Verlag erschienen.
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