"MM"-Debatte

Warum ist das bedingungslose Grundeinkommen eine echte Perspektive, Frau Douma?

Das bestehende Sozialsystem würde mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zwar infrage gestellt, doch es wäre auch ein Mittel gegen ebenfalls vorherrschende strukturelle Probleme. Deshalb ist es für Eva Douma eine spannende Idee mit Zukunft. Ein Gastbeitrag.

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Eva Douma
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Eine von vielen Fragen: Wenn jeder ein bedingungsloses Grundeinkommen hat, würde dann noch jemand arbeiten? © Privat/Istock

Die Realisierung des alten Menschheitstraums vom arbeitsfreien Paradies rückt durch die Entwicklung der Industrie 4.0. näher. Die Übernahme von schmutzigen, öden oder schweren Tätigkeiten, die Pflege der Alten oder per Algorithmus den nächsten Spielfilm zu kreieren und das Auto zu steuern: alles erledigt der Kollege Computer. Pessimisten fürchten, dass hierdurch bis zu 50 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze künftig entfallen werden. Selbst wenn durch die Digitalisierung ebenso viele Jobs geschaffen wie vernichtet werden sollten, so ist doch sehr wahrscheinlich, dass das „Normalarbeitsverhältnis“ mit geregelter Arbeitszeit und regelmäßigem Einkommen immer häufiger durch temporäre Formen der Erwerbsarbeit mit sinkender sozialer Absicherung ersetzt wird. Schon heute zählt jeder Fünfte zu den atypisch Beschäftigten, die in Teilzeit mit 20 oder weniger Wochenstunden vielfältiger und offener und damit auch abstiegsgefährdeter arbeiten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) für alle könnte – bei weiterhin wachsender Wirtschaftsleistung – eine Option sein, um die menschliche Existenz zu sichern.

Die unter dem Stichwort „Grundeinkommen“ diskutierten Modelle sind so unterschiedlich wie ihre Vertreter. Sie reichen von der Emanzipation verpflichteten Konzepten, die den bestehenden Sozialstaat ergänzen sollen und mit einer Umverteilung von Einkommen und Vermögen von oben nach unten verbunden sind, bis hin zu einer Umstellung der Sozialhilfe auf eine Pauschale für Bedürftige, die vor allem Verwaltungskosten sparen soll, die Umverteilung von unten nach oben befördert und den Sozialstaat abbaut.

Bedingungslos sind die wenigsten der aktuell diskutierten und praktizierten Modelle. Meist setzen sie Bedürftigkeit voraus und verbinden den Bezug mit weiteren Auflagen. Auch das jüngst von Teilen der SPD ins Spiel gebrachte sogenannte „solidarische Grundeinkommen“ ist eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für erwerbslose Hartz-IV-Beziehende und zudem mit einer Arbeitsverpflichtung verbunden.

Grundsätzlich gilt: Wer zur Arbeit animieren will, bevorzugt eher ein niedriges Grundeinkommen, legt Wert auf Kontrollen und die Erfüllung von Bezugsvoraussetzungen. Wer vor allem die Demokratie und das Gemeinwesen stärken will, vertraut auf freiwillige Arbeit und Bürgerengagement und engagiert sich für eine die Existenz sichernde Finanzierung.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle würde unser aktuelles Hilfesystem, das in weiten Teilen auf Leistungs(un)fähigkeit und Bedürftigkeit beruht, grundsätzlich in Frage stellen. Mit einem BGE würde es genügen, Bürger eines reichen Landes zu sein, um eine gesicherte Existenz führen zu können, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Leistungen der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung, der Witwen-, Waisen- und Mütterrente und das Kindergeld würden überflüssig. Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten und BAFöG könnten, zumindest in ihren existenzsichernden Teilen, durch ein Grundeinkommen ersetzt werden. Eine darüber hinausgehende Alterssicherung könnte, da die Existenz ja gesichert wäre, als reine Privatsache angesehen werden. Das gesetzliche Rentenversicherungssystem könnte aber genauso gut beibehalten oder ausgebaut werden, um weitere Arbeitsanreize zu schaffen und die Erwerbsmotivation zu erhöhen. Ob an die Stelle der gesetzlichen Sozialversicherungen private Versicherungen treten, ob das Leistungsprinzip der Rentenversicherung oder das Solidarprinzip der Kranken- und Pflegekassen weiter erhalten bleibt, ist eine vorrangig politische Entscheidung. Für oder gegen ein existenzsicherndes Grundeinkommen spricht dies nicht.

Auch die Finanzierbarkeit ist weniger ein faktisches Problem als eine Frage des politischen Willens und sie ist vor allem eine Verteilungsfrage. Wofür sollen Steuergelder ausgegeben werden, wer soll von staatlicher Unterstützung profitieren und wer wird wofür zur Kasse gebeten? Ein „blinder Sozialstaat“, der künftig „alle Einkommen – also Löhne, Zinsen, ausgeschüttete Gewinne, Dividenden, Tantiemen, Mieteinnahmen, Transaktions- und Spekulationsgewinne – gleichermaßen und mit dem gleichen Steuersatz in die Pflicht“ nimmt, wäre durchaus in der Lage, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu finanzieren, so zumindest die These des Schweizer Ökonomen Thomas Straubhaar.

Neben allen Finanzierungs-, Struktur- und Umverteilungsfragen dürfte der wahre Angelpunkt zur Stellung für oder gegen ein Grundeinkommen im Menschenbild liegen. Wenn wir nicht arbeiten müssen, werden wir es dann trotzdem tun?

Wer Arbeit vor allem als ein notwendiges Übel betrachtet, geht davon aus, dass eine großzügige Absicherung den Anreiz bietet, auf jegliche Erwerbsarbeit zu verzichten. Viele Ökonomen, aber auch andere Skeptiker befürchten, dass sich dann insbesondere im Niedriglohnsektor nicht mehr genügend Arbeitskräfte finden würden. Dementsprechend empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums, ein Grundeinkommen gerade nicht existenzsichernd auszugestalten.

Für die These, dass Niedriglöhner einen hohen ökonomischen Druck brauchen, um zur Arbeit bereit zu sein, konnten bei Auswertung unterschiedlichster Grundeinkommensprojekte allerdings keine Belege gefunden werden. Sowohl bei Entwicklungshilfeprojekten in Afrika als auch in gut entwickelten Ländern der „Ersten Welt“ ist zu beobachten, dass die Grundeinkommensbeziehenden durchaus arbeiten und vor allem ihr Leben (wieder) in die Hand nehmen und gestalten.

Forschungen zur Arbeitsmotivation – wie beispielsweise die berühmt Pittsburgh-Studie des Psychologen Herzberg aus dem Jahr 1959 – lassen erwarten, dass die meisten Menschen weiter erwerbstätig sein werden, wenn die Arbeit nicht nur Geld, sondern auch soziale Anerkennung, gesellschaftliche Integration und die Möglichkeit, etwas zu schaffen, bringt. Schon heute beruht unsere Gesellschaft zu mehr als der Hälfte auf unbezahlter Arbeit und sichert auf diese Weise die Versorgung von Alten, Kindern und Kranken. Wäre der Homo Oeconomicus mehr als eine Fiktion, dann dürfte es kein ehrenamtliches und gesellschaftliches Engagement geben – so der berechtigte Hinweis von Enno Schmidt, dem Initiator der Schweizer Grundeinkommensinitiative.

Sehr wahrscheinlich ist hingegen, dass mit einem existenzsichernden Grundeinkommen für alle sich das Verhältnis der Individuen, aber auch der Gesamtgesellschaft zur Erwerbsarbeit grundlegend verändern wird. Entfällt der ökonomische Arbeitsdruck, rückt der Sinn der Arbeit ins Zentrum des Interesses. Doch was ist eine sinnvolle Arbeit und wer soll das entscheiden? Was kann, soll, muss dem Einzelnen von wem zugemutet werden? Welche Rolle und Form soll und wird die Arbeit künftig in der Gesellschaft einnehmen?

„Ich selbst würde selbstverständlich weiter arbeiten“ antworten die meisten Menschen, wenn man sie fragt, was sie tun würden, wenn sie nicht mehr nur wegen des Geldes arbeiten müssten. Nur zwei Prozent der Befragten gaben bei einer Umfrage in der Schweiz im November 2015 an, dass sie bestimmt aufhören würden zu arbeiten. Weitere acht Prozent konnten sich das unter Umständen vorstellen. 40 Prozent würden sich hingegen mehr in der Freiwilligenarbeit engagieren. Mehr als jeder Zweite würde sich mehr Zeit für die Familie nehmen und/oder sich weiterbilden. Manche würden anderes und anders arbeiten, aber arbeiten wollen die meisten nach eigener Angabe weiterhin.

Auffällig ist, dass die Selbst- und Fremdwahrnehmung stark auseinanderfallen. Ich selbst bin arbeitsam, aber die anderen Menschen sind eher faul und dann läuft vielleicht gar nichts mehr, glaubt rund ein Drittel der Befragten.

Doch auch wenn nicht alle Bürger permanent am Gemeinwohl und Wirtschaftswachstum arbeiten, selbst wenn Einzelne den ganzen Tag damit zubringen, lediglich ihr Grundeinkommen zu konsumieren, so ist auch das ein Ausdruck der gesellschaftlichen Partizipation. Dass das Konsumieren allein auf Dauer keinen Sinn gibt, mag vielleicht der eine oder andere Intellektuelle von Anbeginn wissen, aber wer möchte, dass die Menschen sich entwickeln, sollte ihnen auch zutrauen, eigene Wege zu finden, um Erfahrungen zu machen und sich selbst entfalten zu können. Erwachsene Menschen zum Engagement zu verpflichten, ist schon heute nicht zielführend. Wahre Freiheit beinhaltet eben auch die Freiheit, nichts zu tun, oder eben nichts Sinnvolles zu tun – was immer als sinnvoll oder sinnlos von wem erachtet wird.

Wenn mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht nur einfach Geld ausgeschüttet wird, sondern gezielte Angebote zum Engagement, zur Teilhabe und Selbstentfaltung unterbreitet werden, könnte dies zudem denjenigen, denen nicht ganz von selbst einfällt, was sie mit ihrer Zeit anfangen, helfen, gesellschaftlich aktiv zu werden. Wer unnützes Shoppen unterbinden will, muss dafür auf ein Grundeinkommen nicht verzichten.

Die Entwicklung der Industrie 4.0. heute ist, was ihre grundlegende gesellschaftsverändernde Wirkung betrifft, sicherlich mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vergleichbar. Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt, so wie die Einführung der Sozialversicherungen vor fast 150 Jahren, einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Verhältnis zu den bekannten sozialen Sicherungssystemen dar. Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Unfallversicherung haben die Arbeitsmoral seit ihrer Einführung im Kaiserreich nicht untergraben – wovor damals Konservative durchaus warnten. Der radikale Systembruch mit jahrhundertealten Versorgungstraditionen, hat, solange die Industriegesellschaft viele Arbeitnehmer brauchte, vor allem Wohlstand und soziale Sicherheit gebracht. Dass ein Grundeinkommen für alle ähnliche Wirkung zeigen könnte, dafür spricht einiges.

Eva Douma

  • Dr. Eva Douma lebt und arbeitet als Coach, Trainerin und Autorin in Frankfurt und Berlin.
  • Sie studierte Sozial- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Bielefeld und der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Ihre Promotion wurde mit einem Stipendium der Volkswagenstiftung gefördert.
  • Nach einer Referententätigkeit beim Paritätischen Landesverband Hessen ist sie seit Ende 1996 freiberuflich. Zudem ist sie seit 1993 Lehrbeauftragte an verschiedenen Fachhochschulen und Akademien, unter anderem an der Fachhochschule Darmstadt und der Hessischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie Frankfurt.
  • Vor kurzem ist im Cividale-Verlag ihr Buch „Sicheres Grundeinkommen für alle. Wunschtraum oder Perspektive?“ (210 Seiten, 19,90 Euro) erschienen.
  • Info: https://www.douma.de 

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