Warum bringt uns Kompetenz allein nicht weiter, Frau Förster und Herr Kreuz?

Nichts ist so wichtig wie frische Ideen. Und die entstehen durch Andersartigkeit, sagen die Bestsellerautoren Anja Förster und Peter Kreuz. Und nicht durch angepasste Mitarbeiter. Das müssten nun nur noch die Unternehmen lernen. Ein Gastbeitrag.

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Anja Förster, Peter Kreuz
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Wenn die Märkte vor lauter Überangebot quietschen, wenn die Wechselhürden so gering sind wie heute, wo die Konkurrenz immer nur einen Klick entfernt ist, wenn es für den Kunden gefühlt nichts mehr gibt, das es nicht gibt - dann braucht es neue Ideen, Variation, Vielfalt und Andersartigkeit.

Variantenreichtum, nicht Einheitlichkeit, ist die Grundlage für Erfolg. Das bedeutet für die Unternehmenspraxis, dass wir viel mehr Menschen brauchen, die interessante Ideen jenseits des Mainstreams entwickeln und vorantreiben. Kreative Köpfe. Bunte Hunde. Produktive Andersdenker.

Diese Erkenntnis hat sich bereits in vielen Unternehmen durchgesetzt. Jeder, der das letzte Jahrzehnt nicht unter einem Stein verbracht hat, hat verstanden, dass Innovation und neues Denken entscheidende Erfolgsfaktoren für die Zukunft sind.

Aus so ziemlich jeder Stellenanzeige schallt es uns deshalb entgegen: "Sind Sie ein Querdenker? Dann kommen Sie in unser Team!" oder "Pioniere gesucht, die mutige Lösungen anstoßen!" Solche Statements sind mittlerweile Standard.

Was uns allerdings schier verrückt werden lässt: Zwischen der Absichtserklärung und dem tatsächlichen Handeln liegt ein fast unüberwindlicher Graben von der Tiefe des Grand Canyons.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Auf den ersten Blick scheinen Querdenker nicht in das Schnittmuster des üblichen Stellenprofils zu passen: Ihr Lebenslauf ist nicht stromlinienförmig, sondern hat Ecken und Kanten. Querdenker sind unangepasst und oft auch unbequem. Das kann manchmal ziemlich anstrengend sein und darauf hat man keine Lust.

Deshalb läuft in nicht wenigen Unternehmen das Einstellungsverfahren darauf hinaus, dass zwar offiziell solche Andersdenker gesucht werden, tatsächlich aber Kopien des Chefs eingestellt werden. Diese Miniaturausgaben sehen so aus wie der Chef, reden wie der Chef und denken wie der Chef.

Und genau das ist das Problem. Energie entsteht aus Gegensätzen. Deshalb ist das doch gelebter Irrsinn: dass viele Unternehmen Ideenreichtum von den Mitarbeitern fordern, tatsächlich aber Anpassung belohnen.

Früher wurden Konformisten als Schafe wahrgenommen, als Herdentiere. Heute nennen wir dasselbe Verhalten Teamgeist. Mäh, mäh, immer dem Leithammel hinterher! So machen wir sehenden Auges die Zukunft kaputt. Wir können uns keine blökenden Schafsherden mehr leisten. Weder in der Wirtschaft noch in der Politik.

Noch nie haben die Angepassten die Welt verändert. Gleichmacherei bewegt gar nichts. Es ist kein Zufall, dass das Erfolgsprinzip des biologischen Lebens auf unserem Planeten das Prinzip des Variantenreichtums ist und nicht Einheitlichkeit! Je größer der Genpool, je größer die Varietät, desto schneller findet die Evolution die beste Lösung und desto größer ist die Überlebenschance der Spezies.

Führungskräfte müssen sich erst noch daran gewöhnen, so zu denken. In vielen Unternehmen gilt immer noch das Prinzip "Gleich und Gleich gesellt sich gern", weil das stabile Beziehungen und damit Sicherheit verspricht. Das resultiert in einem erstaunlichen und so gar nicht in die Zeit passenden Phänomen in der Wirtschaft: Eine homogene Gruppe 45 bis 65 Jahre alter Männer hat sich bequem eingerichtet in den Schaltzentralen der Macht. Und sie sehen keinerlei Veranlassung, ihre ledernen Sessel zu räumen.

Deutschland ist hier übrigens ganz vorn dabei. Hier werden die meisten börsennotierten Konzerne von deutschen Männern beherrscht, zu denen "Andersartige" keinen Zutritt haben. Keine Vielfalt, stattdessen Homogenität und Konformität so weit das Auge reicht.

In überschaubaren, sich nur langsam entwickelnden Branchen und abgeschotteten Märkten mag so etwas gut gehen. Aber im heutigen Zeitalter, in dem globaler Wettbewerb und die ungeheuer schnelle Dynamik der Märkte den Unternehmen Feuer unterm Hintern machen, werden die schmalen Entscheidungswege mitten durch die geistigen Engpässe an der Spitze der Machtpyramide schlichtweg verstopft - damit müssen Unternehmen zwangsläufig unter ihren Möglichkeiten bleiben!

Den wissenschaftlichen Beleg dafür haben wir schon seit mehr als 50 Jahren: William Ross Ashby, einer der Pioniere der Kybernetik, hat bereits 1957 in seinem "Gesetz von der erforderlichen Varietät" gezeigt, dass eine Organisation nur dann überlebt, wenn ihre Vielfalt und Komplexität mindestens so hoch ist wie die ihrer Umwelt.

Heute gilt also: Je weiter der Blick, je größer die Zahl der Perspektiven, je unterschiedlicher die Sichtweisen im Unternehmen, desto mehr Handlungsalternativen werden erkannt und desto besser werden die Entscheidungen. Und desto besser kann das Unternehmen mit Krisen und Veränderungen erfolgreich umgehen.

Und das, liebe Führungskräfte, heißt nichts anderes als dass Sie Vielfalt begrüßen statt bekämpfen sollten: Unterschiedlichste Lebensläufe. Unterschiedliche Altersstrukturen. Ein ganzes Spektrum an Lebenseinstellungen und kulturellen Hintergründen. Sowohl Männer als auch Frauen in Führungspositionen. Abweichende Meinungen. Kontroversen. Widerspruch. Gewöhnen Sie sich daran! Und bitte schnell!

Intelligenz ist kein Monopol einer homogenen Gruppe männlicher Nadelstreifenträger ab Mitte 40. Homogenität führt zu gar nichts. Außer zu Gruppenkonformismus und intellektueller Verstopfung.

Sie wollen die Kraft der Diversität nutzen? Dann sollten Sie beim Einstellungsverfahren nicht nach Schema F vorgehen, denn so finden Sie garantiert die Leute, die am besten angepasst sind. Wer hingegen Menschen sucht, die interessante neue Lösungen vorschlagen, die anders denken und Wege finden, wo andere nur Grenzen sehen, der sollte eines tun: die Einstellungskriterien ändern!

Drei Ideen dafür hätten wir schon mal:

Noten. Vorsicht vor den Einser-Schülern! Wer ein Eins-Komma-Null-Abitur geschafft hat, kann vor allem eins sehr gut: Schule. Also nach den Regeln spielen, sich sozialen Schlüsselreizen anpassen und die Standardantworten wiedergeben, die die Lehrer von ihm hören wollen. Menschen wie Steve Jobs oder Richard Branson, die wirklich etwas verändert haben, waren miese Schüler und hätten darum bei den wenigsten Unternehmen einen Job bekommen.

Berufserfahrung. Hören Sie auf, einen Bogen um die Quereinsteiger zu machen! Die meisten Unternehmen filtern Bewerber so aus, dass die übrig bleiben, die das exakt gleiche Tätigkeitsfeld wie das geforderte bisher auch schon beackert haben. "Branchenerfahrung" heißt das dann. Diese Leute sind bewährt, sie können sehr schnell genau das machen, was alle machen. Und sie denken mit großer Wahrscheinlichkeit so, wie alle denken.

Kurz: Wenn Sie Gestalter suchen, sollten Sie keine Erfüller einstellen! Nehmen Sie lieber Leute mit Ecken und Kanten. Die mit den interessanten Lebensläufen. Mit den spannenden Hintergründen. Aber bitte: Keine Quoten mit Alibi-Funktion, sondern echte Diversität!

Eine Vielzahl unterschiedlicher Lebenserfahrungen und gegensätzlicher Perspektiven erzeugt immer eine kreative Spannung, die zu interessanteren Ideen führt. Und genau darauf kommt es in Zukunft an.

anja förster und peter kreuz

Anja Förster und Peter Kreuz sind Bestsellerautoren, Managementberater und Vortragsredner. Die beiden sind sowohl beruflich wie auch privat ein Paar und leben abwechselnd in Deutschland und Frankreich.

Ihr Buch "Zündstoff für Andersdenker", dieses Jahr erschienen bei Murmann, verstehen sie als Mutmacher für Menschen, die etwas bewegen wollen - im Beruf und darüber hinaus. Bild: Privat

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