"MM"-Debatte

Warum brauchen Tiere Rechte, Herr Brensing?

Forschungsergebnisse zeigen: Mensch und Tier unterscheiden sich im Denken und Fühlen nur gering. Das muss sich endlich auch auf Gesetzesebene wiederfinden, fordert Verhaltensforscher Karsten Brensing. Ein Gastbeitrag.

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Karsten Brensing
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Wussten Sie, dass Meisen in Sätzen reden, dass Ratten über sich selbst nachdenken, und dass viele Tiere in einer Kultur leben? Nein? Dann sind Sie hier richtig. Ich möchte Sie in eine Welt entführen, die den meisten Menschen bisher verschlossen geblieben ist. In diesem Beitrag soll es um Fragen der aktuellen Verhaltensbiologie gehen, um die gegenwärtigen Erkenntnisse über das Denken und Fühlen von Tieren – und um die Frage: Warum sollten Tiere keine Rechte haben?

Meisen sprechen also in Sätzen? Selten so gelacht, werden Sie nun denken – denn unsere Sprache und ihre komplizierte Grammatik gelten gemeinhin als das vielleicht wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen und Tieren. Doch vor etwa einem Jahr gelang es einigen Wissenschaftlern in Japan, bei freilebenden Meisen einen Satzbau zu entdecken und experimentell zu bestätigen.

Um dies zu verstehen müssen wir uns kurz über Delfine unterhalten. Bereits seit mehr als 30 Jahren wissen wir, dass Delfine, wenn man ihnen eine spezielle Gebärdensprache beibringt, dazu in der Lage sind, Sätze mit grammatikalischen Regeln zu verstehen. Schon vor Jahrzehnten gelang der Beweis, dass zumindest Delfine dazu fähig sind, eine Grammatik anzuwenden. Was bisher nicht gelang, war ein Beweis dafür zu erbringen, dass sie es in freier Wildbahn auch tun. Umso größer war die Überraschung, als dieser Beweis nun für so ein „gewöhnliches“ Tier wie die Meise gelang. Haben wir vielleicht nur nicht richtig hingesehen und alle Kinderbücher, in denen sich Tiere mit- und übereinander unterhalten, sind richtig?

Vielleicht fragen Sie sich nun auch, was wohl ihr Hund dem Nachbarhund über Sie erzählt? Doch stopp: So weit müssen wir nicht gehen, es kommt nämlich nur eine kleine Gruppe von Tieren in Betracht, eine Sprache zu haben. Grundsätzlich müssen die Tiere in der Lage sein, ihr Vokabular zu erweitern. Tiere, die Muh, Wau, Miau oder Iiaa machen, kommen dafür nicht infrage, denn sie können nur die Laute machen, die ihnen genetisch in die Wiege gelegt wurden. Doch bitte lassen Sie es mich wissen, wenn ihre Katze plötzlich Wau Wau macht, das wäre definitiv einen wissenschaftlichen Artikel wert.

Doch welche Tiere gehören nun zu der auserlesenen Gemeinschaft der Vokabellerner? Zum einen gehören viele Singvögel dazu, denn sie lernen ihre Lieder von ihren Eltern. Doch Vorsicht, auch hier gibt es einen Haken: Sind die Tiere erwachsen können sie keinen einzigen Ruf hinzulernen. Zudem singt meist nur ein Geschlecht und eine solche Unterhaltung ist vermutlich recht einseitig. Dennoch gibt es sowohl unter den Sing- als auch unter den Rabenvögeln viele Arten, die ihr Leben lang neue Rufe dazulernen. Eine solche Leistung hatte man bis vor kurzem nur Papageien zugetraut.

Die Gruppe der Menschenaffen, unsere nächsten Verwandten, sind zwar ausgesprochen gut, wenn es darum geht, mit Gesten zu kommunizieren. Aufgrund ihres anders gebauten Kehlkopfes können sie aber Laute nicht gut reproduzieren. So war es eine Überraschung als man vor Kurzem bei Schimpansen gruppenspezifische, also gelernte Rufe entdeckte. Auch Elefanten können ihr Leben lang neue Rufe hinzu lernen. Die große Überraschung war aber, dass auch Fledermäuse und unsere Hausmäuse dazu fähig sind.

All diese Tierarten sind theoretisch in der Lage, eine Sprache zu entwickeln. Vielleicht haben wir sie bisher einfach nur überhört. Dies ist zumindest bei unseren Hausmäusen der Fall, denn ihre Kommunikation ist für uns einfach zu hoch. Sie kommunizieren im Ultraschallbereich – für uns nicht hörbar. Die Sprachfähigkeit ist aber nur eines von vielen Beispielen, die beweisen, dass Tiere uns mehr ähneln als wir denken. Es scheint fast gesetzmäßig zu sein, dass jedes Alleinstellungsmerkmal der menschlichen Art über kurz oder lang auch bei Tieren nachgewiesen werden kann. Meist liegt es einfach daran, dass die Experimente tiergerechter werden.

Stellen Sie sich einfach vor, Sie müssten fliegen können, um ein Experiment zur räumlichen Orientierung zu bestehen. So in etwa ging es vielen Tieren in Experimenten, die wir Menschen uns ausgedacht haben. Das Ganze hatte natürlich fatale Folgen, denn wir hielten die Tiere für viel dümmer als sie waren und haben unseren Umgang mit ihnen und unsere Gesetze entsprechend gestaltet.

Mit moderneren und klügeren Experimenten konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Ratten – und ich vermute, dass dies auch auf viele andere Tiere zutrifft – die Fähigkeit zur Selbstreflexion besitzen. Berücksichtigt man zusätzlich auch neue, an Mäusen gewonnene Erkenntnisse zum biografischen Gedächtnis und zum strategischen Denken, dann ist es gar nicht so unwahrscheinlich, darüber zu spekulieren, dass selbst Nagetiere gedanklich auf ihr bisheriges Leben zurückblicken können und Pläne für die Zukunft schmieden.

Bisher bleibt uns Menschen als Alleinstellungsmerkmal nur unsere kumulierte Kultur. Ohne unsere Kooperationsbereitschaft und den Errungenschaften unzähliger Generationen vor uns wären wir nur eine von vielen sehr intelligenten Tierarten. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass wir auf individueller Ebene und auch in der Selbstwahrnehmung und unserem Fühlen ganz ähnlich ticken wie viele andere Tierarten auch.

Nun kommt die große Frage: Wäre es auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse nicht konsequent, Tieren Rechte zuzugestehen, die sie als Individuum schützen? Folgt man der Logik und den Dokumenten mit denen die Menschenrechte begründet wurden, dann wäre die Antwort ein klares Ja.

Grundsätzlich schützen die Menschenrechte nicht die biologische Art des Homo Sapiens, sondern sie sollen jedes einzelne Individuum der Art Mensch schützen. Die Menschenrechte betonen den Wert und die Ansprüche eines jeden Individuums, unabhängig von Alter, Geschlecht und Glauben. Genau dies macht die Menschenrechte so einzigartig und wundervoll.

Aus diesem Grund halte ich die Menschenrechte für ein ausgesprochen gutes Beispiel wie man Individuen schützen kann. Natürlich geht es hier nicht darum, Menschenrechte für Tiere zu fordern. Viele Aspekte der Menschenrechte sind für Tiere nicht sinnvoll, denn was sollte wohl eine Schnecke mit der freien Berufswahl anfangen?

Es geht also zukünftig darum, für die einzelnen Tierarten Rechte zu schaffen, die ihnen auf individueller Ebene ein Leben ermöglichen auf das sie sich im Verlauf der Evolution hin entwickelt haben. Wann immer wir Menschen in ihr Leben eingreifen und ihre Lebensumstände ändern, sollten wir sicherstellen, dass wir auch den individuellen Ansprüchen der Tiere gerecht werden. Was uns davon abhält so gerecht und mitfühlend zu agieren, ist unsere große Abhängigkeit von Tieren.

Von einem Anwalt vertreten

Obwohl wir beispielsweise ohne gesundheitliche Nachteile und mit großem Vorteil für das Klima und die Umwelt von einem Tag zum nächsten mit dem Fleischkonsum aufhören könnten, tun wir es nicht. Man könnte fast glauben, dass wir den freien Willen auf unserer Zunge zu Grabe tragen.

Nach so viel Utopie und Zukunftsmusik möchte ich Sie nun in die Realität zurückholen. Kaum ein Deutscher verschließt sich dem Tierschutzgedanken und würde sich der Forderung verweigern, dass es Tieren in der Massentierhaltung besser gehen soll. Dennoch gilt es als artgerecht, ein Schwein lebenslang auf zwei Quadratmeter zu halten. Nach deutschem Tierschutzgesetz darf diese Haltung weder psychische noch physische Schäden verursachen. Jedem Laien wird deutlich, dass es hier eine gewisse Differenz zwischen der Theorie und der Praxis gibt. Ähnlich absurde Beispiele gibt es auch im Naturschutz. Der Grund, dass so etwas passieren kann, sind nicht etwa schlechte Natur- oder Tierschutzgesetze. Der Grund liegt in der schlechten Umsetzung und Kontrolle dieser Gesetze.

Aus diesem Grund habe ich zusammen mit weiteren Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen eine Initiative gegründet, die das Übel bei der Wurzel packen soll. Die „Individual Rights Initiative“ setzt sich dafür ein, eine dritte juristische Person in unser Rechtssystem einzuführen. Neben der natürlichen Person und der juristischen Person wie einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH gäbe es dann eine dritte tierliche Person, deren Rechte genauso von einem Anwalt vertreten werden könnten. Aus meiner Sicht und Erfahrung ist dies der einzige Weg zu einer besseren Umsetzung der Tier- und Naturschutzgesetze.

Überdies könnte ein Anwalt relativ unproblematisch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in seine Argumentation einbauen und eine schnelle Umsetzung wäre garantiert. Positiver Nebeneffekt: Ein Großteil der behördlichen Arbeit könnte reduziert werden, denn es gäbe viel weniger Fälle von sich überschneidenden Zuständigkeiten und geteilten Verantwortlichkeiten, bei denen sich letztlich überhaupt niemand zuständig und verantwortlich fühlt. Nur so können wir sichergehen, dass die Rechte der Tiere nicht ungehört bleiben.

Karsten Brensing

Karsten Brensing, 1967 in Erfurt geboren, ist Meeresbiologe und promovierter Verhaltensforscher.

Im Verlag Herder ist sein Buch „Persönlichkeitsrechte für Tiere“ (2013) erschienen. „Das Mysterium der Tiere – Was sie denken, was sie fühlen“ (Aufbau Verlag, 2017) ist ein Bestseller.

Brensing war wissenschaftlicher Leiter des Deutschlandbüros der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation. Die von ihm initiierte Individual Rights Initiative (IRI) wird von zahlreichen Wissenschaftlern und Prominenten unterstützt.

Info: Mehr Informationen unter: www.iri-world.de

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