Debatte

Transparenz in der Mode: Belastung oder Chance für echte Nachhaltigkeit, Herr Mayer?

Weniger regulatorischer Druck könnte dazu führen, dass Unternehmen Nachhaltigkeit nicht mehr so wichtig nehmen. Doch wird der Markt das zulassen? Ein Gastbeitrag.

Von 
Philipp Mayer
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Immer mehr Menschen wollen nachhaltige Mode kaufen – das müssen auch Unternehmen berücksichtigen, wollen sie wettbewerbsfähig bleiben. © Getty Images/iStockphoto

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Omnibus-Verordnung der EU sieht vor, dass Unternehmen nur direkte Lieferanten offenlegen müssen.
  • Die Regelung könnte Unternehmen in Sachen echter Nachhaltigkeit bremsen oder anregen.
  • Philipp Mayer sieht Transparenz als eine Chance für die Modeindustrie. Nachhaltigkeit sollte nicht als Pflicht gesehen werden.

Die Modebranche diskutiert gerade heftig über die Omnibus-Verordnung der EU – und ich frage mich: Ist das wirklich der große Einschnitt, den manche befürchten? Die Regelung, die ursprünglich für mehr Transparenz in Lieferketten sorgen sollte, wurde deutlich entschärft. Jetzt stellt sich die Frage: Ist das eine Rolle rückwärts für Nachhaltigkeit oder vielleicht auch eine Chance, das Thema endlich über bloße Gesetzestreue hinaus anzugehen?

Was ist die Omnibus-Verordnung?

Die Omnibus-Verordnung ist eine umfassende Regulierung der EU, die darauf abzielt, Berichts- und Transparenzpflichten für Unternehmen zu reduzieren und zu vereinfachen. Ursprünglich sollten Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre gesamte Lieferkette – also nicht nur direkte, sondern auch indirekte Zulieferer – hinsichtlich Umwelt- und Sozialstandards offenzulegen. Diese Anforderung wurde nun stark abgeschwächt: Unternehmen müssen sich nur noch auf ihre direkten Lieferanten konzentrieren, und auch die Haftbarkeit für Missstände wurde gelockert. Zudem fallen durch die neuen Schwellenwerte rund 80 Prozent der Unternehmen aus der Berichtspflicht heraus.

Grundsätzlich ist es gut, wenn unnötige Bürokratie abgebaut wird. Die Omnibus-Verordnung betrifft vor allem die Berichtspflichten – nicht die eigentliche Umsetzung von Nachhaltigkeit. Und genau hier liegt das Dilemma: Wer Nachhaltigkeit ernst nimmt, wird nicht plötzlich damit aufhören, nur weil weniger Berichte geschrieben werden müssen. Aber für Unternehmen, die bislang nur wegen der Regulierung aktiv wurden, könnte das die perfekte Ausrede sein, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Dabei geht es gar nicht um mehr Bürokratie, sondern um eine echte Auseinandersetzung mit Lieferketten. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren mehr Energie in Compliance gesteckt als in tatsächliche Veränderungen. Vielleicht liegt hier eine Chance: Weniger regulatorischer Druck könnte Unternehmen dazu bringen, sich auf wirkliche Fortschritte zu konzentrieren – wenn der Wille da ist.

Weniger Regulierung – weniger Nachhaltigkeit?

Auf den ersten Blick scheint die Lockerung der Vorschriften ein Rückschlag für die nachhaltige Transformation der Modebranche zu sein. Ohne gesetzlichen Druck könnten Unternehmen den Fokus von tiefgehender Nachhaltigkeitsarbeit auf reine Compliance-Maßnahmen verlagern. Doch zeigt die Praxis, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage der Gesetzgebung ist – sie ist auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit und ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Dazu kommt: Wer sich bereits intensiv mit nachhaltiger Unternehmensführung beschäftigt, weiß, dass Gesetze oft nur das absolute Minimum vorschreiben. Unternehmen, die wirklich Verantwortung übernehmen wollen, tun dies nicht nur, weil sie es müssen, sondern weil sie sie als Teil ihrer Identität begreifen.

Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell

Es gibt bereits zahlreiche Marken, die Nachhaltigkeit nicht nur aus regulatorischen Gründen betreiben, sondern weil sie davon überzeugt sind. Unternehmen wie Patagonia oder Vaude haben gezeigt, dass es eine klare Nachfrage für faire, umweltfreundliche Mode gibt. Aber auch größere Modeunternehmen setzen verstärkt auf nachhaltige Kollektionen – nicht aus gesetzlichem Zwang, sondern weil der Markt es fordert. Die Lockerung der Regulierung könnte daher eine Chance sein, den Fokus weg von reiner Berichterstattung hin zu echter Innovation und langfristigen, nachhaltigen Geschäftsmodellen zu lenken.

Ein entscheidender Punkt: Transparenz allein bedeutet noch keine Verbesserung. Unternehmen, die nur Daten sammeln und veröffentlichen, aber keine strukturellen Veränderungen vornehmen, betreiben bestenfalls Greenwashing. Echte Fortschritte entstehen dort, wo Transparenz genutzt wird, um konkrete Maßnahmen einzuleiten – sei es durch nachhaltigere Materialien, bessere Arbeitsbedingungen oder neue Geschäftsmodelle wie Kreislaufwirtschaft und Second-Hand-Angebote.

Regulierung versus Marktdruck

Die entscheidende Frage ist: Treiben Marktkräfte oder Gesetze die Nachhaltigkeit in der Modebranche voran? Einerseits setzen immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher auf ethische und umweltfreundliche Produkte, wodurch Unternehmen gezwungen sind, sich nachhaltiger aufzustellen. Andererseits gibt es gesetzliche Vorgaben, die vor allem größere Unternehmen betreffen und durch die Lieferkette weitergereicht werden.

Große Einzelhändler, die unter regulatorischen Verpflichtungen stehen, fordern von ihren Lieferanten Nachhaltigkeitsnachweise, sodass selbst kleinere Unternehmen sich mit diesen Anforderungen auseinandersetzen müssen. Dadurch bleibt der Druck bestehen, auch wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen gelockert wurden. Gleichzeitig führt der wachsende Wettbewerb um nachhaltige Innovationen dazu, dass Unternehmen, die hier nicht mithalten, mittelfristig Marktanteile verlieren könnten.

Es zeigt sich also ein zweigleisiger Mechanismus: Gesetze mögen geschwächt werden, aber der Markt fordert weiterhin Transparenz – sei es durch bewusste Konsumentinnen und Konsumenten oder durch größere Akteure, die Nachhaltigkeitsstandards weitergeben.

Der Weg nach vorn

Während es berechtigt ist, die Verwässerung der ursprünglichen Omnibus-Ziele zu kritisieren, sollte der Fokus nun darauf liegen, Unternehmen dabei zu unterstützen, Nachhaltigkeit über regulatorische Mindestanforderungen hinaus voranzutreiben. Eine kluge Strategie wären gezielte Anreize statt reiner Strafmaßnahmen: Steuererleichterungen oder Handelserleichterungen für Unternehmen, die nachweislich nachhaltige Praktiken verfolgen, könnten ein effektiver Hebel sein. Ein Beispiel ist das US-amerikanische CTPAT-Programm, das Unternehmen Vorteile im Importprozess bietet, wenn sie strenge Compliance- und Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen.

Aber auch auf Unternehmensebene gibt es Stellschrauben: Nachhaltigkeit darf nicht als zusätzliche Belastung gesehen werden, sondern als Chance zur Differenzierung. Wer jetzt in nachhaltige Prozesse investiert, wird langfristig nicht nur Umwelt und Gesellschaft, sondern auch sich selbst einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Frage ist nicht, ob Regulierung der Schlüssel zur Nachhaltigkeit ist, sondern wie Unternehmen sie in ihr Geschäftsmodell integrieren – aus Überzeugung und nicht nur aus Pflicht. Die Zukunft der Modeindustrie hängt davon ab, ob wir Transparenz als Chance begreifen und nicht als Belastung.

Regulierungen ändern sich – Werte und unternehmerische Verantwortung sollten bleiben. Wer nachhaltige Mode nicht als Pflichtprogramm, sondern als Chance versteht, wird nicht nur den Planeten, sondern auch sein Unternehmen zukunftssicher machen.

Zum Gastautor



Philipp Mayer ist Mitgründer und CPO von Retraced. Seine ersten unternehmerischen Erfahrungen sammelte er mit der Gründung der nachhaltigen Schuhmarke CAN O. Dabei wurde ihm schnell bewusst, wie herausfordernd es für Modeunternehmen ist, ihre Lieferketten transparent zu gestalten.

Diese Erkenntnis führte zur Gründung von Retrace d, einer Plattform, die Marken dabei unterstützt, ihre Lieferketten offenzulegen und nachhaltiger zu wirtschaften. Mit seiner Erfahrung in Produktentwicklung und Lieferkettenmanagement setzt sich Philipp für praxisnahe Lösungen ein, die Unternehmen helfen, Nachhaltigkeit nicht nur als Pflicht, sondern als Chance zu begreifen.

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