Dienstleister - sind wir das nicht (fast) alle, sofern wir nicht in der Landwirtschaft oder in der verarbeitenden Industrie tätig sind? Selbst in Deutschland, wo der Anteil der Industrie an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen höher ist als beinahe überall sonst auf der Welt, arbeiten knapp drei Viertel aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor. Die Frage ist nur: an welchem Ende der Skala? Oben die gut verdienenden Anwälte, Manager, Finanz- oder Medizindienstleister, unten die Männer und Frauen, die in einfachen Serviceberufen nah am Mindestlohn ihr Auskommen finden: im Einzelhandel, im Security-Bereich oder rund um Wartung oder Pflege. Hier, im Untergeschoss der Dienstleistungswelt, überwiegen die Ungelernten, oft auch mit Migrationshintergrund, Menschen, die sich nicht selten dauerhaft in solchen Beschäftigungsverhältnissen einrichten. Die Gewerkschaften tun sich schwer in diesem Segment: Die geschätzt zwölf bis 15 Prozent der Erwerbstätigen, die in einfachen Dienstleistungsjobs arbeiten, machen wenig Anstalten, sich zu organisieren. Meistens sind sie sogar nicht einmal angestellt.
Als vor etwa 50 Jahren der Begriff "Dienstleistungsgesellschaft" ins allgemeine Bewusstsein drang, waren die Erwartungen hoch. Ein neues Zeitalter sollte anbrechen, in dem schmutzige Jobs - etwa die in Kohle- und Stahlindustrie - verschwinden würden zugunsten sauberer, gut bezahlter und wissens-intensiver Arbeitsplätze im "tertiären Sektor". Allen sollte es besser gehen, nicht zuletzt durch den Fortschritt in Rationalisierung und Automatisierung.
Man wundert sich, dass in solchen Utopien von gestern die einfachen Dienstleister von heute kaum vorkommen. Tatsächlich gab es viele der Jobs von heute damals noch nicht: Es gab kaum Fast-Food-Arbeiter, weniger Sicherheitspersonal, weniger Altenpflegerinnen und weniger Lieferboten. Die deutsche Gesellschaft vor 50 Jahren war jünger, und der Arbeitsmarkt bot genug Chancen zur Höherqualifizierung. Die Arbeitsmigration nach Deutschland hatte eben erst begonnen. Und es gab noch kein Internet.
Heute sind eben dies die großen Treiber der einfachen Dienstleistungen. Das Internet stellt mit seinen Plattformen den Marktplatz für bequeme, bezahlbare und vielfach anonyme Arbeit dar. Migranten stehen in großer Zahl bereit, anspruchslose und gering bezahlte Aufgaben rund um die bürgerlichen Haushalte zu verrichten. Die Aufstiegsmobilität aus solchen prekären Beschäftigungen ist weithin zum Erliegen gekommen. Und schließlich ist die deutsche Bevölkerung derart gealtert, dass die Pflege inzwischen zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen überhaupt gehört.
Das kann man bedenklich finden oder auch nicht. Zur Verteidigung der neuen Servicewelt lässt sich sagen, dass es in Deutschland mehr Arbeitsplätze gibt als je zuvor, während die Arbeitslosenzahl beständig sinkt. Zudem helfen gerade die haushaltsnahen Dienstleister den gestressten Doppel- und Besserverdienern, Familie und Beruf zu kombinieren. Eine Schicht von Dienstleistern hält also einer anderen Schicht von Dienstleistern von Berufs wegen den Rücken frei - ob sie nun putzen und bügeln, kochen und liefern oder pflegen und hüten.
Wer in Deutschland einen Gelegenheitsjob sucht, wird in diesem Sektor ohne Mühe fündig werden. Die Nachfrage ist groß, das Angebot ebenfalls. Die "Agenda 2010" hat mit ihren Arbeitsmarktreformen viele Menschen in einfache Beschäftigungen befördert, die zuvor von staatlicher Unterstützung lebten. Das tut der Arbeitsmarktbilanz gut, hat das Problem jedoch teilweise nur verlagert. Die vielleicht wichtigste gesellschaftliche Trennlinie verläuft nun nicht mehr zwischen denen, die Arbeit haben und denen, die keine haben, sondern zwischen jenen, die zu viel Arbeit haben und daher Entlastung brauchen, und denen, die mit ihren Dienstleistungen das Joch der Doppelbelastung mildern. Eine neue Ökonomie der Alltagshelfer, der vorwiegend im Unsichtbaren wirkenden Heinzelmännchen (und -weibchen) hat sich gebildet, die ihre Dienste zunehmend über digitale Plattformen offeriert, auf der sich Kunden und Auftragnehmer gänzlich kontaktfrei begegnen können. Für wen ist dieser neue Dienstleistungssektor nun ein Problem, und warum sollten sich Politik und Gewerkschaften mehr mit ihm beschäftigen? Es ist ja nicht so, dass haushaltsnahe Dienstleister sich lautstark über ihr Los beklagten. Im Gegenteil, viele finden, dass die von ihnen geforderte Flexibilität bestens zu ihrem eigenen Lebensentwurf passt. Sogar die berüchtigten "Null-Stunden-Verträge", bei denen der Arbeitgeber sich zu keinerlei Mindeststundenzahl verpflichtet, finden viel Zustimmung bei jungen Jobsuchenden. So wird die Bastion der lebenslangen und soliden Beschäftigung von beiden Seiten geschleift.
Mit dem Angebot schwindet zugleich die Nachfrage, jedenfalls bei denen, die sich von vornherein wenig Hoffnung auf beruflichen Aufstieg machen. Daraus abzuleiten, im Niedriglohnbereich laufe alles bestens, wäre verfehlt. Zu viele Menschen stecken dauerhaft im einfachen Servicesektor fest und erwarten sich auch von der Politik kein Heil. Die Gewerkschaften tun sich schwer im Dickicht der schwach organisierten, oft semi-legalen neuen Beschäftigungsformen. Was etwa tun mit den "Kontraktoren" der digitalen Plattformen, die auf Abruf ausrücken, wenn der Kunde ruft? Die nicht angestellt sind und oft nicht angestellt sein wollen? Hier sind andere Formen der Interessenvertretung gefordert als in der Welt der Angestellten. Wenn nicht um gewerkschaftliche Organisation alten Stils geht es doch um neue, kooperative Formen der Selbstverwaltung, wie sie in den USA bereits zu sehen ist, wo bis zum Ende des Jahrzehnts an die 60 Millionen Menschen als Kontraktoren beschäftigt sein werden. Eine solche neuartige Arbeiterselbstverwaltung muss freilich von den Servicekräften selbst ausgelöst werden. Die Politik kann solche Prozesse unterstützen, wozu sie aber die neue Dienstleistungswelt zu allererst einmal verstehen müsste. Noch hat man Mühe, die Partei zu identifizieren, denen die Servicearbeiter ein erkennbares Anliegen wären.
Ohnehin ist der Dienstleistungssektor, wie die gesamte Arbeitswelt, derzeit im Total-Umbruch. Es gibt nicht nur eine "Industrie 4.0", sondern ebenso einen "Dienstleistungssektor 4.0". Welche Jobs werden infolge von künstlicher Intelligenz und Robotik am schnellsten verschwinden? Ganz sicher sind viele der einfachen Dienstleistungsberufe vom Aussterben bedroht. Der Fast-Food-Arbeiter etwa in einem Schnellrestaurant, den es vor 50 Jahren noch nicht gab, der derzeit aber noch recht häufig anzutreffen ist, wird in absehbarer Zeit aber wohl verschwunden sein.
Noch halten Tarife nah am Mindestlohn die Konkurrenz mit automatisierten Produktions- und Abfertigungsstraßen aufrecht, aber wenn der Mindestlohn steigt, die Automatisierung die Rentabilität steigert und womöglich die Arbeitskräfte für solche Jobs knapper werden, wird die menschliche Präsenz in Fast-Food-Küchen und Restaurants abnehmen. Viele Dienstleistungen von morgen werden "unbemannt" sein, auch solche, in denen bislang menschliche Nähe und Wärme gefragt sind, etwa die im Pflegebereich.
Wieweit sich aber techniknahe Lösungen auf breiter Front durchsetzen, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von der Entwicklung des Arbeitsmarktes im Niedriglohnsektor, von der Kostenrelation zwischen menschlichen und weithin automatisierten Diensten, aber auch von der Akzeptanz von Robotern in Feldern, die wir bislang für eine menschliche Domäne hielten. Ihr Einsatz in der Altenpflege etwa ist in Ostasien schon weit vorangeschritten, während man in Europa noch damit fremdelt - und sich diese Haltung leisten kann, weil immer noch genügend menschliche Arbeitskraft bereitsteht. Einem Fehler sollte man dabei nicht erliegen: zu glauben, dass der Siegeszug der Robotik sich auf die so genannten einfachen Dienstleistungsberufe beschränkt. Schon jetzt können Roboter und Computer vieles besser, was bisher Menschen gemacht haben. Sie nehmen sich etwa bereits der Finanzdienstleistungen an oder verfügen zum Beispiel über juristische Expertise.
Fast steht zu befürchten, dass die Dienstleister am oberen Ende der Skala ihre Jobs schneller los sein werden als die am unteren Ende. Dann bleibt nur noch zu klären, wer künftig die einfachen Dienstleister für ihre Arbeit bezahlen wird. Bearbeitet von: Julia Lauer
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