Die junge Juristin macht sich keine Illusionen: "Ich werde auf dem Arbeitsmarkt als Frau sowieso benachteiligt, da muss ich mir genau überlegen, welchen Beruf ich ergreife und wie ich mich etabliere, bevor ich überhaupt über Familie nachdenke." Der Satz der 27-Jährigen, fast nebenbei im Gespräch gefallen, hatte uns zunächst sprachlos gemacht. Und leicht scherzhaft haben wir geantwortet: "Wenn wir in dem Alter so klar gesehen hätten, wäre uns vielleicht einiges erspart geblieben." Was ist geschehen seit der Bildungsinitiative der 1970er und 1980er Jahre, die vor allem den Frauen unserer Generation, der Babyboomer-Generation, signalisiert hat: Ihr könnt alles werden, lediglich eine gute Bildung ist die Voraussetzung, danach seid ihr am Zug.
Aber niemand hatte uns darauf vorbereitet, was uns erwartet, wenn wir nach Abitur, Studium und dem Zugang zu interessanten Jobs Mütter werden. In unserem ersten Buch "Die Alles ist möglich-Lüge" haben wir das Vereinbarkeitscredo bereits als Mythos entlarvt. Nun haben wir die Geschichte fortgeschrieben. Und sind zu teilweise erschreckenden Ergebnissen gekommen. Eines davon: Die Kluft in Deutschland zwischen Eltern und Kinderlosen wird immer größer und niemand, weder in Politik noch Wirtschaft, kümmert sich darum, sie zu schließen.
Warum, haben wir uns gefragt, ist Kinder haben zu so einer großen, ja geradezu existentiellen Frage geworden, die viele Frauen unserer Generation und nun zunehmend auch die Jüngeren mit "vielleicht lieber nicht" oder "möglicherweise später, nur nicht jetzt" beantworten.
Vielen ist offenbar klar: Kinder werden immer mehr zum Wettbewerbsnachteil in der Arbeitswelt. Vor allem für Frauen. Ein Grund dafür ist die gescheiterte Vereinbarkeitspolitik. Natürlich kann man Kinder haben und berufstätig sein in Deutschland. Man tut das aber auf eigenes Risiko und erfährt in Unternehmen und in der Politik so gut wie keine Unterstützung dabei. Eine Folge davon sind immer weniger Kinder. Und letztendlich zunehmende Konflikte in unserer Gesellschaft zwischen Eltern und Kinderlosen.
Am deutlichsten wird das sichtbar in unseren Sozialsystemen, in denen Eltern über Gebühr belastet werden. Und besonders schlimm wird es mit Blick auf die Renten der Babyboomer: Denn in nicht allzu ferner Zukunft leben viele, die kinderlos geblieben sind, aus welchen Gründen auch immer, von Renten, die unsere Kinder hart erarbeiten müssen. Diese Tatsache wird zunehmend zu einer Gerechtigkeitsfrage, auf die die Politik keine befriedigenden Antworten hat. Geschweige denn sich traut, überhaupt die richtigen Fragen zu stellen.
Wenn man genauer hinschaut, erkennt man relativ schnell, dass die niedrigen Geburtenraten der vergangenen Jahrzehnte mit den Anforderungen am Arbeitsmarkt zu tun haben. Wir sollen immer flexibler sein, allzeit verfügbar und hochqualifiziert. Dazu ehrgeizig und leistungsbereit - unabhängig davon, ob wir 25 sind und gerade aus der Uni kommen, oder Mitte 30 und mitten in der Familiengründungsphase stecken.
Mit dem Elterngeld und den dazugehörigen Vätermonaten hat sich der Fokus zwar auch leicht hin zu den Männern verschoben, letztlich werden die höchsten Anforderungen aber nach wie vor an Frauen gestellt. Der überwiegende Teil der Väter nimmt zwar gern die zwei Monate Auszeit. Allerdings eher für einen ausgiebigen Familienurlaub mit Säugling in Malaysia - an der individuellen Arbeitsaufteilung zwischen Beruf und Familie hat sich kaum etwas geändert. Vor allem gut qualifizierte Frauen spüren diese Anforderungen immer mehr. Sie beobachten das Ganze äußerst kritisch und entschließen sich nicht selten, auf Familie lieber ganz zu verzichten.
Dazu beigetragen hat auch das neue Unterhaltsrecht (2008), mit dem ganz klar das Signal - vor allem natürlich an Frauen, die nach wie vor den Löwenanteil der Familienarbeit schultern - gesendet wurde: Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner. Oder anders gesagt: Sei besser immer und möglichst Vollzeit berufstätig, sonst gehst Du sehenden Auges in die Altersarmut.
Der Druck, dem Frauen heute ausgesetzt sind, ist enorm. Er kommt von allen Seiten und er trifft jede gleichermaßen, egal ob sie sich für oder gegen Kinder entschieden hat. Damit sind wir wieder bei der oben gestellten Frage: Sind Kinder ein Wettbewerbsnachteil? Wir sagen: Aber natürlich! Und weil alle, die den Spagat zwischen Familie und Beruf wagen, das wissen, hat das Ganze zuweilen bizarre Auswüchse.
So stellen etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindergärten und Schulen immer häufiger fest, dass ihnen kranke Kinder überlassen werden. Meistens merken sie es allerdings erst mittags, wenn die Wirkung des Fieberzäpfchens nachlässt. Arbeitende Mütter wissen leider nur allzu gut, dass sie sich gut überlegen müssen, ob und wann sie sich wegen eines kranken Kindes in der Arbeit abmelden. Und entscheiden sich oft genug dagegen.
Jede ausgefallene Arbeitsstunde wegen familiärer Verpflichtungen wird ihnen negativ ausgelegt, Verständnis dafür ist in vielen Unternehmen ein rares Gut.
Unlängst haben wir in einem Online-Forum eine lebhafte Diskussion zu diesem Thema entdeckt. Eine Autorin hatte sich beschwert, dass immer mehr kranke Kinder in Kindergärten und Schulen abgegeben werden. Sie forderte aber mitnichten, die Krankheitstage für Eltern zu erhöhen, sondern wollte stattdessen Krankenschwestern und Pfleger in den Institutionen oder gerne auch einen medizinischen Notdienst, der zu den kranken Kindern nach Hause kommt. Also auf jeden Fall irgendeine Lösung, die Mama (oder Papa, aber der wird in diesem Artikel noch nicht einmal erwähnt) nicht von der Erwerbsarbeit abhält.
Interessanter noch als diese zumindest diskussionswürdige Einstellung waren die Kommentare dazu: "Zurückblickend muss ich eingestehen, dass ich - meine Mutter war nicht berufstätig, also ,nur' Hausfrau und Mutter - in meiner Kindheit verdammtes Glück gehabt habe".
Oder die Gegenmeinung: "Warum ein Arbeitgeber auf eine Arbeitskraft verzichten und diese auch noch weiter bezahlen soll, weil ein Kind krank ist, bleibt zweifelhaft. (...) Arbeitsfrei wegen kranken Kindern? Dann muss man sich nicht wundern, dass bei Bewerbungen ,stille' Diskriminierung natürlich Alltag sind."
Dass es auch ganz anders geht, machen uns seit Jahrzehnten die skandinavischen Länder vor, die zumindest in dieser Frage vorbildhaft sind. Aber bei uns ist diese Meinung, die der zweite Kommentarschreiber vertritt, weit verbreitet, die Kluft zwischen Menschen mit und denen ohne Kinder deutlich spürbar. Weil wir in sehr unterschiedlichen Welten leben, die sich zuweilen überhaupt nicht mehr berühren. Weil wir andere Interessen, Bedürfnisse und Prioritäten haben.
Die Folge: Junge Menschen trauen sich oft erst spät oder gar nicht mehr, das Abenteuer Elternschaft zu wagen. Denn sie wissen ganz genau - wie die junge Juristin, die wir getroffen haben - ,was sie auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Und dass in unserer stark auf Erwerbsarbeit getrimmten Gesellschaft, in der maximale Flexibilität und maximaler Einsatz gefordert werden, Kinder eben ein Wettbewerbsnachteil sind.
"Die Anforderungen der Dienstleistungsgesellschaft an jeden Einzelnen und jede Einzelne bereiten den Boden für eine kinderarme Gesellschaft", haben wir in unserem neuen Buch "Der tiefe Riss" geschrieben. Und wir müssen uns fragen: Was wird uns in der digitalen Gesellschaft erwarten, an deren Übergang wir jetzt stehen? Wird die Situation womöglich noch schlimmer? Werden wir vielleicht zu einer Single-Gesellschaft, in der Arbeit und Kollegen Beziehungen und Familie ersetzen? Wir wissen es nicht, finden aber eine Reihe Indizien, die diese Prognose möglich machen.
Wir müssen darum sofort anfangen, darüber zu sprechen, zu diskutieren und Auswege zu suchen. Denn eine Familie und Kinder sollten kein Wettbewerbsnachteil sein, sondern ein Gewinn. Individuell für jede Mutter und jeden Vater, aber auch für eine alternde Gesellschaft, die Jugend braucht. Frische und neue Ideen. Lebendigkeit. Und vor allem eins: eine Zukunft.
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