Oh, diese Remmos! Ist Deutschland vor der Clankriminalität noch zu retten, Herr Peters?

Wie kein anderes Strafverfahren hat der „Grüne-Gewölbe-Prozess“ in Dresden offenbart, mit welch hohem kriminellen Know-how Clan-Mitglieder operieren. Prozessbeobachter Butz Peters über die Schwierigkeiten von Ermittlern und Justiz. Ein Gastbeitrag

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Butz Peters
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Justiz und Polizei stehen vor einem großen Problem: Wie können sie die Clan-Kriminalität in Deutschlands Großstädten bekämpfen? Mit besserer personeller und materieller Ausstattung, sagt unser Gastautor Butz Peters. © istock

Die einen leugneten das Thema aus politischen Gründen. Andere kapierten nicht die Brisanz. So ging es über etliche Jahre. Nun ist die Clankriminalität ein in Deutschland erkanntes Riesenproblem für Polizei und Justiz. In Berlin und in etlichen anderen Großstädten. Jetzt brennt es der Politik unter den Nägeln. So gibt es derzeit jeden Monat gleich mehrere Vorschläge, was schnellstens getan werden müsste: mehr Ermittler, schneller arbeitende Strafgerichte, größere Gefängnisse, effizientere Gewinnabschöpfungen, strengere Strafen.

Die Was-tun-Diskussion in Talkshows und auf Symposien ist das eine. Das andere ist die Tatsache, dass schon seit Jahren Polizei und Justiz bei der Bekämpfung der Clankriminalität personell und materiell hoffnungslos überfordert sind. Höchste Zeit, dass etwas geschieht.

Zu dieser Berliner „Großfamilie“ rechnet die Polizei derzeit über eintausend Menschen

Zum Beispiel die Remmos. Oder auch Rammo, Rammou und Remo – angesichts der weiten Verzweigungen bestehen unterschiedliche Schreibweisen. Einer von anderthalb Dutzend derzeit in Deutschland operierenden Clans. Der größte, wahrscheinlich. Zu dieser Berliner „Großfamilie“ rechnet die Polizei derzeit über eintausend Menschen. Natürlich: Nicht alle kriminell. Aber ein nicht unerheblicher Teil – direkt oder verwoben. Etwa, weil sie Beutestücke verstecken oder Tatwerkzeuge bunkern.

Resultat dieser gefährlichen Mixtur aus Wissen und Wollen sind langfristige und präzise Vorbereitungen, Skrupellosigkeit, kriminelle Routine gepaart mit handwerklichem Geschick, eine spurenvermeidende Arbeitsweise, Schnelligkeit und Chuzpe.

So zogen sich die Vorbereitungen für den Fünf-Minuten-Blitzeinbruch im Historischen Grünen Gewölbe über mehr als anderthalb Jahre hin. Mit sicherem Blick entdeckten Remmo-Späher an der Schlossfassade die Achillesferse des „Außenschutzes“: Der tote Winkel eines Scanners in dem unsichtbaren „elektronischen Vorhang“ – aufgrund eines Mauervorsprungs, vor einem Fenster: Es wird das Einstiegsfenster.

Der Gastautor

Dr. jur. Butz Peters, Jahrgang 1958, ist Rechtsanwalt und Journalist.

Er war Leiter des Ressorts „Rechtspolitik“ beim NDR und Nachfolger von Eduard Zimmermann als Moderator der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst.“

Er ist Autor mehrerer Bestseller zur Inneren Sicherheit.

Heute vor vier Jahren brach ein Kommando des Berliner Remmo Clans in das Dresdner Grüne Gewölbe ein.

Aus „Sachsens Schatzkammer“ erbeutete es 21 historische Schmuckstücke im Wert von 113,8 Millionen Euro.

In dem in dieser Woche erschienenen Buch „Der Clan und die Juwelen“ schildert Bestsellerautor Butz Peters, wie der „Coup des Jahrhunderts“ gelang und die wie der Clan operierte.

Um auf Nummer sicher zu gehen, klettern die Täter vor dem Einbruch gleich viermal über die Schlossmauer und machen sich an dem Fenster zu schaffen – ohne, dass auch nur ein einziges Mal Alarm ausgelöst worden wäre. Die Laternen auf den Straßen vor dem Schloss lässt das sechsköpfige Einbruchskommando Sekunden vor dem Einstieg erlöschen – es hatte den Stromverteilkasten in einer Elbbrücke entdeckt und in Brand gesteckt. Und die sieben Streben des Gitters vor dem Einstiegsfenster durchtrennt der „Schneidemeister“ des Kommandos mit einer hydraulischen Akku-Rettungsschere sekundenschnell – der Sicherheitsingenieur des Museums war davon ausgegangen, dass dies ohne einen 220-Volt-Anschluss unmöglich sei.

So geschieht der größte Kunstdiebstahl der deutschen Nachkriegsgeschichte heute vor vier Jahren: 21 historische Schmuckstücke im Wert von 113, 8 Millionen Euro nehmen die Täter mit.

Nach der Tat stellen Polizeibeamten schnell fest, dass ihnen ihre klassischen Ermittlungsansätze nicht weiterhelfen – weil die Täter geradezu lehrbuchmäßig „spurenvermeidend“ gearbeitet hatten: So konnten die Beamten nicht herausbekommen, wer die beiden Fluchtautos von nichtsahnenden Haltern gekauft und wer die vier „Arbeitshandys“ sowie die Telefonkarten besorgt hatte, über die die Täter bei dem Einbruch und den Vorbereitungen kommunizierten.

Auch ansonsten – nirgendwo Spuren: Nicht im Museum, weil die Einbrecher die Räume mit Feuerlöschschaum überzogen hatten. Nicht im Fluchtwagen. Ihn hatten die Täter in einer Tiefgarage in Brand gesteckt.

Kreativ die Abfahrt der Täter aus Dresden: in einer Fake-Taxe. Einem beigen E-Klasse Mercedes – unter der Haube über 500 PS – mit Taxischild und den Doublettenkennzeichen einer tatsächlich in Dresden existierenden Taxe.

Nicht minder ideenreich war ein Remmo-Kommandos beim Diebstahl der Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin, zwei Jahre vor dem Grüne-Gewölbe-Einbruch. Mit der Münze – 100 Kilogramm schwer und 3,3 Millionen Euro teuer – in einer Schubkarre verschwindet das Trio über die Bahntrasse Richtung S-Bahn-Station Hackescher Markt. Ebenso beim „Müllmann-Überfall“ im Herzen von Berlin, Kurfürstendamm Ecke Bleibtreustraße – an einem Vormittag, kurz nach 10 Uhr: Vier in stadtreinigungs-orange gekleidete Räuber schlagen zwei Geldtransporteure vor einer Bank nieder und flüchten mit über 600 000 Euro. So gehört auch zu dem Erfolgsrezept der Remmos, fortlaufend neue verbrecherische Ideen auszubrüten.

In Haft schweigen die Beschuldigten eisern – „Knast macht Männer“, lautet eine Remmo-Devise

Der Humus, auf dem diese Form Organisierter Kriminalität wächst und gedeiht, ist eine Parallelgesellschaft, die die deutschen Rechtsnormen und Werte ablehnt. Das ist der Grund, warum Clanakteure regelmäßig das Ziel verfolgen, das Strafverfahren zu sabotieren, ihm Beweismittel zu entziehen. Etwa durch die „Mauer des Schweigens“. Keiner aus dem Clan und seinem Umfeld sagt etwas zur Sache. In der Untersuchungshaft schweigen die Beschuldigten eisern – „Knast macht Männer“, lautet eine Remmo-Devise. Vor Gericht lassen sie alle Vorwürfe wortgewaltig durch Top-Anwälte bestreiten. Zugegeben wird nur das, was sich nicht mehr leugnen lässt. Und an der Tagesordnung sind Zeugen aus dem Milieu, die sich auf einmal an nichts mehr erinnern können oder ihre Aussage widerrufen. Das macht die Strafverfolgung für die Justiz schwierig.

War der Remmo-Aufstieg in der kriminellen Szene ein unabwendbares Ereignis? Vor fünfzig Jahren gab es in Berlin keinen einzigen Remmo. Die ersten kamen in der zweiten Hälfte der Siebziger: Aus dem Libanon – gelandet auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld, mit dem Bus für fünf DDR-Mark über den Bahnhof Friedrichstraße nach Westberlin eingereist. Dort erhielten sie im Monat mehr Geld an Sozialleistungen, als sie in Beirut durch harte körperliche Arbeit verdienen konnten. Etwa als Lastenträger oder im Schlachthof. So wird Westberlin zu einem Magneten für viele Remmos.

Nach Deutschland kamen sie in Hoffnung auf ein besseres Leben. Der größte Anteil war Analphabeten, erinnert sich Ralph Ghadban, einer der Sozialarbeiter, der sie damals betreute – ohne nennenswerte berufliche Qualifikation. Doch ohne Bildung: keine Chance auf das bessere Leben.

So entstehen Gangs, die sich auf eigene Faust einen Teil des ersehnten Wohlstandes holen. Ladendiebstähle, Wohnungseinbrüche und Schlimmeres. Diese Entwicklung beschrieben haarklein Sozialarbeiter, Polizeibeamte und Staatsanwälte – und warnten nachdrücklich vor den Folgen der Sozialisierung bei der heranwachsenden Generation: Beispielsweise, dass für Männer schwere Straftaten und längere Haftstrafen zum Leben gehörten und dicke Autos erstrebenswert seien.

In Sachen Clans ist die Justiz in Berlin und anderswo regelmäßig komplett überlastet

Aber diese Hinweise auf die tickende Zeitbomben ignorierten Politik und viele Behörden. Die einen, weil sie, berauscht von „Multikulti“ und „Gutmenschentum“, das von ihnen propagierte Weltbild nicht in Frage stellen wollten. Und die anderen, weil sie nicht die politische Verantwortung für die desaströse Entwicklung bei sich verortet sehen mochten. So erhielt beispielsweise ein Berliner Oberstaatsanwalt, der in seiner Analyse „Intensivtäter in Berlin“ genau die brandgefährliche Sozialisation, das Thema mit Zukunft, beschrieben hatte, von der Berliner SPD-Justizsenatorin 2008 ein „Talkshow-Auftrittsverbot“. Solches Unter-dem-Deckel-Halten machte die Parallelgesellschaft stark. Schwacher Staat, starker Clan – auch eine Remmo-Devise.

Und nun? Die Lage ist ernst. Die Clankriminalität wächst rapide weiter. Fast ungebremst. In Sachen Clans ist die Justiz in Berlin und anderswo regelmäßig komplett überlastet. Von den diversen Vorschlägen zu ihrer Bekämpfung erwies sich bislang keiner als tatsächlich zielführend.

Nur eine Möglichkeit erscheint zweckmäßig – und ist gewiss keine Patentlösung: Eine personell und materiell bessere Ausstattung der Dienststellen, die mit Tätern aus Clans zu tun haben. Denn Clankriminalität ist ein Denken und Handeln, das sich gegen die Grundfeste unseres Staates richtet.

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