"Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten." "Machen Sie acht Prozent Rendite steuerfrei jedes Jahr mit unserer Supergeldanlage." "Werden Sie reich - garantiert und ohne Risiko!" Die Finanzindustrie weiß, welche zwei Knöpfe sie bei Menschen drücken muss, damit diese ihre oftmals unsinnigen Produkte kaufen: erstens Gier. Und zweitens Angst. "Schützen Sie Ihr Vermögen vor der Inflation." "Retten Sie Ihr Geld vor dem Crash." "Schließen Sie Ihre Rentenlücke, damit Sie im Alter nicht unter Armut leiden müssen."
Werbebotschaften und Beraterempfehlungen legen Ihnen die Lösung für diese Probleme nah. Die da wäre: Entweder der eine sichere Renditekracher oder der eine garantierte Versicherungsschutz. Beides können fatale Trugschlüsse sein - mit dann vielen Menschen als Opfer.
Wussten Sie, dass der Durchschnittskunde zwischen 15 und 20 Finanzprodukte hat, von denen er mindestens die Hälfte nicht braucht? Wir sind Weltmeister im Sammeln von Finanzprodukten und schließen Konten, Sparverträge und Versicherungen ab, die uns bei genauer Betrachtung gar nicht weiterhelfen. Würden wir uns fragen: "Welches konkrete Ziel in meinem Leben erreiche ich mit jedem einzelnen Finanzprodukt?" - wir wären um Erkenntnisse und eine Menge an (gespartem) Geld reicher.
Heutige Finanzprodukte haben nämlich drei grundsätzliche Probleme: Sie versprechen Leistungen, die sie oftmals nicht halten (hohe Renditen oder garantierte Zahlung von Leistungen im Notfall). Sie kosten unnötig viel Geld (durch Abschluss- oder Verwaltungsgebühren). Und sie verstecken Risiken in kleingedruckten Details (zum Beispiel enthalten viele Produkte hochspekulative Wettgeschäfte, bei denen der Wettgegner eine Bank ist, die sich die Wette selbst ausgedacht hat).
Kein Wunder. Das Ziel der Finanzindustrie ist es, möglichst viel Geld zu verdienen - auf Ihre Kosten und mithilfe ihrer zwei genialen Produktkategorien: Erstens den Gier-Produkten ("Wir machen aus Ihrem Geld mehr Geld!"). Das Wichtigste: Es gibt weder einen Finanzexperten, der weiß, was die Zukunft bringt noch eine Supergeldanlage, die Ihr Geld risikolos und automatisch vermehrt. Und was bringen Ihnen häufig versprochene Steuervorteile, wenn versteckte Kosten Ihre Erträge auffressen und somit am Ende kein Ertrag übrig ist, der vom Steuervorteil profitiert? Selbst wenn es eine Wundergeldanlage gäbe: Warum sollte man Sie Ihnen verraten?
Vorstände von Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften geben manchmal hinter vorgehaltener Hand zu: Anleihen, Lebens- und Rentenversicherungen sowie die Masse der Investmentfonds sind reine Geldvernichtungsprodukte, die man eigentlich gar nicht verkaufen dürfte. Aber man macht es trotzdem: zugunsten lukrativer Provisionen, zulasten des Kundengeldes. Das klappt leider auch heute noch vorzüglich, weil genügend Kunden den Werbeversprechen und Aussagen ihrer "Berater" (die eigentlich nur Finanzproduktverkäufer sind) mehr vertrauen als dem eigenen logischen Denken und allseits bekannten Fakten. Dadurch entgeht Ihnen nicht nur viel Geld, sondern auch die Gewissheit, dass Ihnen wirklich hilfreiche Anlageprodukte, wie Aktien-Indexfonds (ETFs; Exchange-Traded-Funds), die aufgrund ihrer Kapitalmarktorientierung auf lange Sicht wenigstens eine reelle Chance auf echtes Vermögenswachstum bieten, bewusst verschwiegen werden, weil die Bank an Ihnen wegen der sehr geringen Kosten nichts verdient.
Manche Banken treiben Menschen bewusst in unnötige Verschuldungsspiralen und verführen sie mit "günstigen" Zinsen und raten zum Kauf von zum Beispiel Autos, Fernsehern, Handys oder Urlaub auf Pump. Die Bank kassiert. Viele Kunden werden zu Gefangenen ihrer Schulden. Etliche Banker habe ich gefragt, ob sie ihre Kreditangebote auch an ihre Kinder oder Enkelkinder schicken würden. Die Antwort war stets eindeutig: "Natürlich nicht!"
Und zweitens sind da die Angst-Produkte ("Wir schützen Sie und Ihre Lieben im Notfall!"). Die Masse dieser Versicherungsprodukte brauchen Sie entgegen wohlklingender Werbeaussagen nicht, weil diese entweder Unsinniges und viel zu viel versichern (was Sie nicht brauchen, aber wofür Sie monatlich zahlen) oder im Schadensfall alles versuchen, um trotz gültigem Vertrag nicht zu zahlen.
Versicherungen sind keine Schutzengel, nicht alle meinen es auch gut mit Ihnen. Daher gilt: Nicht alles, wofür es eine Versicherung gibt, muss automatisch versichert werden. Erst recht nicht, wenn man weiß, dass die Finanzindustrie, die in fast jedem Ranking zum Thema Vertrauen und Seriosität einen der hintersten Plätze belegt. Gegen Geldzahlungen übernimmt sie Verantwortung für Sie, der sie oft nicht gerecht wird, weil sie ihre Versprechen entweder schon beim Abschluss nicht einhalten kann oder im Bedarfsfall versucht, sich ihr mit Hilfe von Vertragsklauseln oder Anwälten zu entziehen.
Ich kenne Fälle, in denen Versicherte jahrelang erfolglos auf Zahlung ihrer vertraglich zugesicherten Leistungen geklagt haben und am Ende mehr als Geld verloren haben: Nerven und Lebenszeit.
Was treibt die Finanzindustrie zu solch menschenschädigenden Maßnahmen an? Eigene Panik und der massive Druck, unter dem 99 Prozent von ihnen dabei stehen. Der Verkaufsdruck wird immer größer, und besser wird es sicher auch nicht werden.
Es bleibt die Frage: Was können wir gegen diese Manipulationen und für unser Wohlbefinden unternehmen? Zum Beispiel, uns nicht unnötig verführen oder ängstigen lassen. Oder selbst denken und erkennen, dass Geld nur Mittel zum Zweck ist. Es ist zum Leben da, das darf man nicht vergessen. Die entscheidende Frage vor jeder Anlageentscheidung ist: Wie möchte ich leben und wie viel Geld brauche ich wann wofür?
Erst wenn wir dies wissen, macht es Sinn, sich zu fragen, welche Ziele wir leichter erreichen, wenn wir ein Finanzprodukt abschließen. Die meisten Ziele wie Gesundheit, eine liebevolle Partnerschaft, ein harmonisches Familienleben oder ein erfüllter Beruf oder Ruhestand können wir viel besser selbst aus eigener Kraft erreichen oder indem wir Geld direkt investieren. Zu fast jedem Finanzprodukt gibt es nämlich kostenlose und preiswerte Alternativen.
Zwei Beispiele: Statt monatlich Geld für eine private Krankenzusatzversicherung auszugeben, die Ihnen später - je nach Kleingedrucktem - möglicherweise gesundheitsfördernde Maßnahmen bezahlt (die Sie im Zweifel gar nicht brauchen und somit viel Geld umsonst ausgegeben haben), unternehmen Sie heute vorbeugend etwas, damit Sie gesund bleiben, wie Sport, bewusste Ernährung, positives Denken. Statt eine Ausbildungsversicherung für Ihr Kind oder Enkelkind abzuschließen, die Sie nur unnötige Verwaltungsgebühren kostet und Ihr Geld reduziert, anstatt es zu vermehren, investieren Sie lieber direkt ins Kinderleben, indem Sie den Reit- oder Musikunterricht bezahlen, die Privatschule oder den Sportverein.
Die beste Geldanlage der Welt ist und bleibt unser Leben. Investieren Sie Ihr Geld zum Beispiel in gemeinsame Erlebnisse mit Menschen, die Ihnen wichtig sind, dafür erhalten Sie eine wertvolle Zeit und wundervolle Erinnerungen für morgen. Sie geben uns das gute Gefühl, unser Leben gelebt zu haben.
Die besten Versicherungen der Welt sind Gesundheit und eine gute Bildung. Sie helfen dabei, möglichst gar nicht erst in Not zu geraten. Ebenso wichtig fürs gesamte Wohlbefinden sind menschliche Beziehungen, die uns im Bedarfsfall direkt unterstützen. Für all dies können nur wir selbst sorgen, wenn wir uns unabhängig von der Finanzindustrie machen, über unser Leben und unsere persönlichen Möglichkeiten hierfür nachdenken und dann ein selbstbestimmtes Leben beginnen. Bearbeitet von: Julia Lauer
André Schulz
- Der gelernte Banker (Jahrgang 1978) ist Inhaber und Geschäftsführer der Beratungs- und Trainingsgesellschaft für Finanzinstitute "GEP täger & partner" in Lüneburg. Mit seinem Geschäftspartner Eckehard Täger wirbt er unter der Philosophie "emotional banking" für eine ehrliche Finanzberatung.
- Schulz arbeitete zuvor als Geschäftsführer und Gesellschafter eines Marktforschungsunternehmens (STIMMAT GmbH) sowie als Gesellschafter einer Trainingsgesellschaft (inmoveo GmbH). Im Ariston Verlag ist im April sein Buch "Die Geldlüge" erschienen.
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