MM-Debatte

Macht das Nachdenken über Glück auch glücklich, Herr König?

Glück, sagt Berater Jochen König, ist etwas Individuelles, das jedoch nie ohne sein Gegenteil existieren könnte. Ein Gastbeitrag, der (fast) ohne Ratschläge auskommt.

Von 
Jochen König
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Clover leaf - happiness © Getty Images/iStockphoto, siehe Bildtext, iStockphoto, Not Released (NR)

Nach einer anstrengenden Telefonkonferenz klingelt es an der Tür. Meine Tochter steht vor mir, den großen Schulranzen auf dem Rücken, den Sportbeutel in der Hand – und einem strahlenden Lachen. „Papa, heute war der Sportunterricht besonders toll. Wir durften Seilspringen. Ich muss Dir das sofort vorführen!“ In diesem Moment gibt es selbstverständlich nichts Wichtigeres als diese virtuose Vorstellung im Wohnzimmer. Das Kind ist glücklich und ich bin es auch. Obwohl – oder eben weil ich in diesen Minuten darüber nicht nachgedacht habe.

Eben da das Nachdenken einen großen Anteil meines beruflichen Tuns ausmacht, sind solche Momente der Selbstvergessenheit die glücklicheren Momente. Nicht, dass ich unglücklich bin, wenn ich philosophiere oder meinen Mitmenschen Lösungen für ihre Herausforderungen erarbeite – ganz im Gegenteil. Es ist aber eine nochmals andere Qualität des Glücklichseins, wenn man ganz bei sich ist und sich selbst genug. Dauerhaft ist dies niemandem möglich und selbst wenn es – etwa durch einen neurologischen Eingriff in das entsprechende Gehirnareal – als Dauerzustand konstruiert werden könnte, wollte die Mehrheit von solcher Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Warum? Vielleicht weil Glück authentisch sein muss, um als solches empfunden zu werden und weil es dazu der Kontraste mit nicht glücklichen und bisweilen ausgesprochen unglücklichen Zeiten bedarf.

Im Englischen unterscheidet man zwischen „lucky“ und „happy“ – Glück haben und glücklich sein. Als ich als kleiner Junge mein erstes vierblättriges Kleeblatt fand, brachte mir dasselbe ganz sicher in der nächsten Zeit keine Glückssträhne, aber ich war für den Moment glücklich, solch etwas Seltenes selbst gefunden zu haben.

Dass seit jeher Heerscharen von Philosophen und auch Vertreter mehr oder weniger aller Wissenschaften dem Begriff, dem Phänomen des Glücks nachspüren, zeigt auf, dass Glück sich nicht so leicht einfangen, beschreiben, erklären oder gar erzeugen lässt. Deshalb belassen wir es hier bei nur einigen Beispielen großer Denker, um ihrem Denken und Empfinden den Raum zu geben, der der Thematik und ihrer existenziellen Relevanz gerecht wird. Vorab aber meine These: Glück ist eine individuelle Angelegenheit, welche von Situation zu Situation in unterschiedlichem Maße erlebbar wird.

Friedrich Schiller hat mehr von Spiel als von Glück gesprochen, als er in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen dem Stofftrieb und dem Formtrieb eben den Spieltrieb als Symbiose beider beistellte: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ In diesem Zustand des ästhetischen Spiels erreiche man den „Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung“ und es entstehe „jene wunderbare Rührung, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat“, mithin das persönliche Glück.

Nun ist das Leben im Allgemeinen ja kein Zuckerschlecken, kein Ponyhof und kein Wunschkonzert (wie diese flotten Aussprüche dies gekonnt vermitteln) und schon gar nicht ist das ganze Leben ein Spiel. Solche spielerischen Momente aber noch zuzulassen und zu genießen, nicht zu verlernen, dies darf vielleicht schon ein sachter Ratschlag sein. In Zeiten der Ökonomisierung fast aller Lebensbereiche, des Leistungsdiktats, der Zeiteffizienz, der Reizüberflutung und der digitalen Beschleunigung erscheint mir dieser Hinweis angebracht, wenn er ohne erhobenen Zeigefinger gegeben wird.

Holen wir uns Aristoteles zu Rate und schauen uns den griechischen Begriff der „Eudaimonia“ an. Dieser ist so genau gar nicht zu übersetzen, zwar meint er auch Glück oder Glückseligkeit, aber auch gelungene Lebensführung und ausgeglichener Zustand stecken in dem Wort. Aristoteles suchte nach dem obersten Gut und dies könne nur etwas sein, was ausschließlich um seiner selbst Willen und nie zu einem anderen übergeordneten Zweck begehrt werde. Und dies sei eben die Eudaimonie; selbst so hohe und edle Güter wie Tüchtigkeit und Tugend würden um eben dieser Eudaimonie willen angestrebt. Aristoteles’ Kniff war es nun, dass er das Gemeinwesen, die Polis, in diesen Adelsstand erhebt und damit eine hochgradig soziale Philosophie und Ethik entwarf. Zwar sei das Glück des Einzelnen eine schöne Errungenschaft, doch schön und erhaben werde es erst, wenn man diese Eudaimonie ganzen Völkern oder Staaten (zu Ende gedacht: der gesamten Menschheit oder gar der gesamten Natur) zuteilwerden lasse.

Nun kann man dagegen vieles einwenden: Wer sagt uns, dass Diktatoren unglücklich sind? Ist der Ehrliche nicht oft der Dumme? Ebenso kann man diesem philosophischen Angebot des griechischen Denkers aber auch das Wort reden: Ein gutes Gewissen als das sprichwörtlich gewordene sanfte Ruhekissen. Die Mitfreude am Glück der Mitmenschen als sehr schöne Art der Freude. Und wie gesagt: Glück ist hochgradig individuell. Meine Erfahrung ist es, dass der gesunde Menschenverstand und vor allem Herzensbildung sehr gute Ratgeber sind, den Alltag so zu gestalten, dass man nicht nur nicht unglücklich ist, sondern mannigfaltige Momente des Glücks erreichen kann.

Paul Watzlawick wollte zwar kein Ratgeber sein, war es als ein äußerst scharfsinniger Wachrüttler doch; sein Buch mit dem an sich schon provokanten Titel „Anleitung zum Unglücklichsein“ beherbergt wahnwitzige Geschichten, von denen eine der bekanntesten die mit dem Hammer ist: Ein Mann will ein Bild aufhängen und hat keinen Hammer zur Hand. Diesen sich vom Nachbarn auszuleihen, ist der naheliegende Gedanke, den er aber in trüben Gedankenphantasien so verzerrt, dass er dem ungefragten Nachbarn unterstellt, dass er ihm diesen Gefallen nicht tun werde. So geht er schließlich zum Nachbarn und schreit ihn erbost an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ Was ist daraus zu lernen? Denken hilft, „zerdenken“ schadet. Und nebenbei: Ein Lächeln wirkt bei der übergroßen Mehrheit der Menschheit.

Und nochmals: Glück ist individuell. Es waren gerade die abertausenden Ratgeberbücher, denen Watzlawick eine lange Nase zeigte und deren Autoren er ein Schnippchen schlug. Und ich möchte nicht verschweigen, dass es prominente Meinungen gibt, welche Glück für vollkommen überschätzt halten. So war es Sigmund Freud, der humorlos sagte: „Die Absicht, dass der Mensch ,glücklich sei’ ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.“ Etwas differenzierter äußerte sich Bernhard Shaw: „Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.“ Der Volksmund fasst zusammen, nichts sei schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Oder etwas derber, wie ich es im Odenwald in jungen Jahren aus gegebenem Anlass hin und wieder zu hören bekam: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, dann geht er aufs Eis.“ Will heißen, im gegenwärtigen Glück liegt schon der Abschwung drin. Prominentere als ich haben dies erkannt, so Goethe, der seinen Faust seufzen lässt: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“ Sich Wünsche bewahren, bewusst genießen, sich mehr über Erreichtes freuen als über Unerreichtes hadern, das Staunen nicht verlernen: Alles Ratschläge, alles so leicht zu verstehen und so schwer umzusetzen.

Hans im Glück, die Märchenfigur, war erst glücklich, als er von allen Lasten (so auch einem schweren Goldklumpen) befreit war. Für den netten Milliardär von nebenan gilt vielleicht das pure Gegenteil als Glücksrezept. So findet eine jede und ein jeder das persönliche Glück, indem man sich orientiert, was andere sagen und dann – und das ist mein einziger Ratschlag – einfach sich selbst gemäß lebt. Mich macht die Philosophie und somit auch das Nachdenken über Glück glücklich – mich …

Übrigens bin ich auch glücklich, wenn meine Tochter heimkommt und traurig ist, etwa wegen einer Mathearbeit oder vielen Hausaufgaben. Dann bin ich glücklich, weil sie sich mir anvertraut und ich es sein darf, der ihre unglücklichen Momente lindern darf.

Jochen König

Jochen König wurde am 12. März 1962 in Buchen im Odenwald geboren, wuchs in Bödigheim auf, lebte fast 30 Jahre in Mannheim und ist nun in Eberbach zu Hause. Er ist verheiratet und hat eine zehn Jahre alte Tochter.

Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Mannheim war er 25 Jahre lang in leitenden Marketing-Positionen tätig. Er studierte nebenberuflich Philosophie an der Fern-Universität Hagen und ließ sich zum Philosophischen Praktiker ausbilden.

Heute verbindet er beides und ist mit einer Marketingberatung für mittelständische Unternehmen sowie dem Institut für Weisheitsliebe (Philosophische Praxis) tätig. Darüber hinaus arbeitet er als Texter und Dozent für Ethik und Betriebswirtschaftslehre. Antrieb für alle diese Tätigkeiten ist es, „sympathischen Mitmenschen unterstützend zur Seite zu stehen“.

Info: Mehr Informationen unter www.weisheits-liebe.de

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