Leben wir in einer neuen Hasskultur, Herr Dueck?

Hetze, Zorn und offene Feindseligkeit: Dazu tragen heute im Internet oft auch die bei, die sich für Ideale stark machen, sagt Gunter Dueck. Der Bestseller-Autor zeigt die verhärteten Fronten auf. Ein Gastbeitrag - und ein Plädoyer für mehr Anstand. Au

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Gunter Dueck
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Das Internet hat den Hass auf eine neue Stufe gehoben. Ein unüberlegter Satz oder eine falsch verstandene Formulierung: Opfer sind schnell gefunden. In den sozialen Netzwerken wird man schnell angeprangert. Doch was am Bildschirm scheinbar leicht von der Hand geht, hinterlässt Folgen.

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Die Internet-Idealisten der frühen Tage sind erschrocken. Sie hatten gedacht, im Netz eine freie und verantwortliche Weltgemeinde etablieren zu können, die sich eine neue Weltordnung der Freiheit und des Friedens gibt. Das Netz sollte eine Infrastruktur für die neue und vor allem offene Wissensgesellschaft bilden.

Jeder Mensch sollte teilhaben - Respekt, Toleranz und integre Authentizität würden herrschen. Konferenzen wie die re:publica, die 2017 zum elften Male stattfindet, trugen als Bloggertreffen dazu bei, das Netz aus der früher vorwiegend technologischen Sicht der "Nerds" ins Zentrum der erhofften gesellschaftlichen Veränderung zu rücken. Der Traum einer neuen Digitalen Gesellschaft stand im Raum.

Auf der re:publica im Jahr 2011 redete Sascha Lobo über seine "Trollforschung". Ich hörte damals interessiert zu. Aber ich erinnere mich, das Thema der Störer im Netz damals nicht so wirklich relevant gefunden zu haben. Na gut, da leisten sich ab und zu ein paar Leute dumme Streiche - aus Spaß, getrieben von Aufmerksamkeitssucht oder vielleicht sogar aus schikanierendem Alltagssadismus heraus. Sie posten zum Beispiel in Frauengruppen "Männer haben größere Hirne" oder sie schreiben in Veganer-Chats Genussvolles über Fleisch - ja, und dann freuen sie sich wohl diebisch über die allgemeine Empörung, die die ganze dort begonnene Debatte zu allgemeinem Ärger zerstört.

Neben den "Trollen" gab es dann auch andere destruktive Typen. Sogenannte "Griefer" spielen bei Online-Spielen nicht deshalb mit, um zu gewinnen, sondern sie suchen sich zum Beispiel einen anderen Spieler als Opfer aus und behindern diesen. Stellen Sie sich vor, einer schlägt beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht immer nur Sie - mit dem einzigen Ziel, dass einzig und allein Sie nicht gewinnen! Stellen Sie sich vor, jemand spielt mit Ihnen zusammen in einer Fußballmannschaft und spielt bei jedem Ballkontakt den Ball zum Gegner - und freut sich! Sie wissen, wie das im realen Leben ausgeht, aber im Internet sind diese "Trolle" und "Griefer" eben anonym. Man kann sie nicht gleich an Ort und Stelle an den Ohren ziehen und auch nicht so leicht rauswerfen.

Solche "Trolle" und "Griefer" waren vor einigen Jahren noch die lästige Ausnahme; ich las damals von einer Studie, die beim Beobachten von Netzdiskussionen etwa fünf Prozent von allen Teilnehmern als Störer identifizierte - das ist ja die normale Klassenclown-Quote, okay. Aber wenn Artikel von Tausenden gelesen werden, dann bilden die fünf Prozent Destruktiven von der reinen Anzahl her eine genügende kritische Masse, um einen vernünftigen Diskurs zu zerstören.

Frei nach Schiller: "Es kann der Ernsthafteste nicht in Frieden diskutieren, wenn es dem bösen Besserwisser nicht gefällt." Seit allein wegen der breiten Masse im Internet die schiere Zahl der Destruktiven stieg, ist der relative Frieden vorbei. Seither kennen wir die Begriffe der "Shitstorms" und des "Netzmobbings", wir regen uns über Dummes und Böswilliges auf. Manche "Trolle" werfen sich bei einem bestimmten Reizwort oder Reizthema mit heftiger Wortwahl ins Gefecht. Wer Wörter wie Flüchtling, Frauenquote, vegan oder "Dschungelcamp" in weithin gelesenen Texten benutzt, bekommt sofort "Zuspruch".

Leider ist es zu einer harten Frontenbildung gekommen. Die Störer wurden mehr und mehr von Idealisten angegriffen, die das Destruktive nicht ertragen konnten. Doch die oft hochgebildeten Idealisten griffen manchmal leider in arrogantem Ton daneben: "Schreib erstmal korrektes Deutsch, bevor du hier..." oder "Informiere dich, bevor du hier..." Gefühlte Arroganz von Gebildeten reizte dann nicht nur die Trolle und Störer - jetzt kamen immer mehr, die an den erhitzten Pseudodebatten teilnahmen. Eine Spirale der Eskalation setzte ein, der Ton wurde immer härter.

Ich erinnere mich an mein Erschauern, als sich der Vizekanzler Sigmar Gabriel zu dem Wort "Pack" hinreißen ließ. Dieses Wort gab der Teufelsspirale ein paar beschleunigende Mehrwindungen. Das Wort Hass setzte zum Siegeszug an. Die Idealisten beschuldigten alle diejenigen, die sich bei der Flüchtlingswelle ungemütlich fühlten, ganz pauschal des Fremdenhasses - alle diese "besorgten Bürger" wurden zu Hassern gestempelt. Die Gegenseite musste sich "Gutmensch" nennen lassen und mutierte im Zorn darüber zu einem doch ziemlich kritischen Prozentsatz zum "Hasshasser".

Nun werden wir ärgerlich. Offen ausgelebte "Dispathie" (Ungleichheit des Gefühls) stört, die Medien hauen noch einmal drauf, Priester aller möglichen Lehren, Grundsatz-Krawallisten und Empörungs-Choreographen drängeln sich dazwischen, Beratungsfirmen streuen in Diskussionen ein, sie könnten jedes Problem auf der Stelle mit ihrer Wundermethode lösen. "Fake News" machen die Runde, und Teile der Politik rund um Brexit und Donald Trump machen schwindelnd ratlos.

Wem können wir noch vertrauen? Wie kommen wir zu einem vernünftigen Diskurs über unsere Zukunft? Wie unterbinden wir das trumpende Dauerseehofern um die Macht? Wie kommen wir aus dem Hass wieder heraus? Unter welchen Umständen werden wir wieder ein Land der Einheit? Wie entziehen wir die Demokratie dem Griff der Extreme?

Noch eine Problemstufe draufgelegt: Nach einer Einigkeit um irgendeine Entschließung zu unserer Zukunft kommt das geduldige Handeln und Umsetzen. Das Diskutieren um die Richtung ist doch nur das erste eine Prozent des Weges. Wir scheinen das vergessen zu haben. Wir diskutieren endlos.

Und wenn jemand handelt, stören wir ihn mit unentwegten Einwänden so sehr, bis er endlich aufgibt und wieder mitdiskutiert. Das Handeln stockt in Deutschland, und über die "drohende" Digitalisierung reden wir seit 20 Jahren. Wir reden und reden in billigstem Für und Wider über Innovation und Zukunft. Man muss immer hin und her: Es ist ein Segen, es ist ein Fluch - dieses Spiel endet tatenlos.

Wie kann sich das Wichtige und Ernsthafte, der gesunde Menschenverstand, die Zukunftsentschlossenheit und die zuverlässige Tatenlust aus diesen Grabenkämpfen wieder erheben?

Wer den Teufelskreis durchbrechen will, muss wieder reden können. Mit jedem.

Die größten Lebensseelennarben tragen bekanntlich die davon, die von Eltern, Erziehern oder Chefs mit Nichtachtung oder Disrespekt aufgespießt wurden ("Versager!" - "Es kann nicht nur Gescheite geben." - "Finde dich mit deinem Aussehen ab." - Und heute: "Pack!"). Daran können Menschen zugrunde gehen - und wir alle wissen das, weil uns solche Fälle heute in Unzahl im TV vorgeführt werden.

Aber im Internet schimpfen selbst die selbsternannten Menschheitserretter mit Sätzen, die Seelen morden können und sicher auch werden. Ist es denn nicht klar, dass auf allen Seiten Untaten begangen werden? Lassen Sie uns wieder Besonnenheit üben.

Gunter Dueck

Gunter Dueck, 1951 in Hildesheim geboren, lebt heute als freischaffender Schriftsteller und Redner in Waldhilsbach bei Heidelberg.

Er war Professor für Mathematik an der Universität Bielefeld, bis er 1987 an das Wissenschaftliche Zentrum der IBM in Heidelberg wechselte. Dort forschte er auf den Gebieten Optimierung und Statistik, er baute das Data Warehouse (eine optimierte zentrale Datenbank) Geschäft der IBM auf und war dort zuletzt Chief Technology Officer.

Die "Computerwoche" zählte ihn 2011 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der IT- und Kommunikationsbranche in Deutschland.

Gunter Dueck ist Autor vieler Bestseller, darunter "Professionelle Intelligenz", "Das Neue und seine Feinde" und "Schwarmdumm". Sein Buch "Flachsinn" ist vor wenigen Tagen im Campus Verlag erschienen. ble

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