"MM"-Debatte

Kann man Gelassenheit lernen, Herr Behrendt?

Termine, Druck und Stress sind Bestandteile unseres Lebens geworden. Berater und Buchautor Frank Behrendt verderben sie nicht die Laune. Eine Haltung, die er auch erst verinnerlichen musste. Ein Gastbeitrag.

Von 
Frank Behrendt
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Wie lernt man, ruhiger und gelassener zu werden? Der Schlüssel dafür liegt in einem selbst. © istock

Als ich meiner Frau beim Abendessen auf der Terrasse vom Thema dieses Beitrages erzählte, zog sie die Stirn in Falten und meinte, dass es gar nicht so einfach wäre, Gelassenheit zu lernen. Ich stimmte ihr zu: Einfach ist es wirklich nicht, im Gegenteil. Wie vieles andere auch, muss man sich Dinge erarbeiten. Auch die Gelassenheit. Aber es geht. Ich selbst bin ein Beispiel dafür.

Fakt ist, auch ich bin nicht als Guru der Gelassenheit auf die Welt gekommen. Gerade zu Beginn meiner Karriere, in den 1990er Jahren, habe ich den falschen Fokus gesetzt, meine erste Ehe ging dabei in die Brüche. Mein damaliges Credo: Ich muss jetzt reinhauen, Karriere machen und viel Geld verdienen, dann kann ich meiner Familie anschließend ein besonders schönes Leben bieten. Zu spät wurde mir damals bewusst, dass das, was meine Familie von mir wollte, nichts mit Geld zu tun hatte. Ich war im Tunnel des Erfolges unterwegs, und mir hat seinerzeit schlicht und einfach das Korrektiv gefehlt. Als ich dann vor meinem selbstverschuldeten Scherbenhaufen stand, habe ich mir externe Hilfe gesucht.

Gemeinsam mit Bertold, einem wunderbaren Coach, habe ich darüber reflektiert, was mir wirklich wichtig ist. Dann habe ich einen Plan gemacht, um da hinzukommen. Schließlich habe ich das Allerwichtigste getan, was man bei einem klaren Plan machen muss: ihn konsequent ohne wenn und aber umsetzen. Jetzt lebe ich genau das Leben, von dem ich geträumt habe. Das Materielle steht nicht mehr im Fokus, sondern das Glück. Und die Basis dafür ist Gelassenheit.

Einige Eckpunkte meiner Art zu denken, zu leben und zu arbeiten, möchte ich hier gerne mit Ihnen teilen. Sehen Sie es als Inspiration, als Anregung. Am Ende muss jeder seinen ganz eigenen Weg finden, der zu ihm und seiner Vorstellung vom Leben passt. Eines ist allerdings sicher: Eine Prise mehr Gelassenheit tut jedem gut, und es lebt und arbeitet sich mit einem anderen Blick auf viele Dinge deutlich leichter.

Als alter Winnetou-Fan habe ich mich intensiv mit der Kultur der Indianer beschäftigt und einige Punkte entdeckt, in denen wir von ihnen lernen können: der Respekt vor der Weisheit beispielsweise, wie er im Ältestenrat in indianischen Stämmen gelebt wurde. Wenn es um zentrale Entscheidungen ging, war der Rat der Alten immer hilfreich, denn sie handelten nie überstürzt oder aus einer Emotion heraus, sondern ließen sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Damit war ihr Rat oft der bessere.

Ich gehe oft in ein Seniorenheim bei mir um die Ecke und unterhalte mich dort mit den Menschen. Bei vielen Gesprächen mit klugen Köpfen, die ihr Leben weitgehend gelebt haben und mit weniger Aufgeregtheit auf viele Entwicklungen schauen, habe ich einen wertvollen Impuls erhalten. Meist reichte ein einziger Satz, gelassen von einem lebenserfahrenen Häuptling ausgesprochen, um mir einen ganz neuen Blickwinkel zu eröffnen.

Früher waren Positionen oder Titel für mich etwas Bedeutendes. Heute sehe ich sie eher mit einem Augenzwinkern. Wichtig ist der Mensch, nicht der Titel. Auch ich selbst sehe mich als ein Rädchen im Getriebe, und der Fortbestand der Menschheit hängt definitiv nicht von meinem Dasein ab. Locker flockig habe ich in einem Interview einmal gesagt, dass wir im Wirtschaftsleben eigentlich nur Monopoly für Erwachsene spielen. Mit dieser Distanz betrachte ich, bei aller Professionalität, mit der ich das mache, was ich mache, mein Tun. Ich nehme mich ernst, aber nicht wichtig. Sehr hilfreich ist es übrigens, wenn man sich möglichst oft auch einmal mit Menschen unterhält, die aus einem ganz anderen beruflichen Umfeld kommen. Die Erzählungen eines Arztes, der täglich um Menschenleben kämpft, können das eigene – vermeintlich wichtige – Handeln sehr schnell in eine wohltuende andere Relation setzen.

Viele Menschen streben nach einer „Work-Life-Balance“, um das richtige Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben zu finden. Für mich sind beide Pole mittlerweile verschmolzen. Dieses: Montag bis Freitag arbeiten wir uns kaputt, revitalisieren uns am Wochenende und hauen dann wieder rein – das hat für mich inzwischen etwas Sklavisches. Natürlich wird eine termingerecht und qualitativ hochwertig erledigte Arbeit weiterhin die Voraussetzung für beruflichen Erfolg sein. Ich bin aber überzeugt, dass wir durch die Technik, die uns mehr und mehr ein Arbeiten überall und zu jeder Zeit ermöglicht, eine neue Freiheit geschenkt bekommen haben. Wichtig ist es allerdings, diese auch richtig zu nutzen. Zum Beispiel, in dem man seine technischen Hilfsmittel auch einmal ausschaltet. Wer das nicht (mehr) kann, wird zum Getriebenen und dadurch garantiert nie gelassen.

Ich hatte nie wirklich Angst, irgendwo entlassen zu werden. Das hat mir eine gute Grundgelassenheit verliehen. Den Grundstein für diese Haltung hat mein Vater gelegt. Als ich ein Teenager war, bekamen mein Bruder und ich kein Taschengeld mehr. Mein Vater meinte, das Geld läge auf der Straße, wir müssten es nur aufheben. Also gründeten wir an der heimischen Nordseeküste einen Fahrradverleih. Wir reparierten alte Räder und vermieteten sie an Touristen. Innerhalb von zwei Jahren waren wir die reichsten Jugendlichen im Ort, die Nachbarskinder wurden unsere Mitarbeiter. Ich habe mir später immer gedacht, wenn ich mal einen Job verlieren sollte, verleihe ich eben wieder Fahrräder an der Nordseeküste.

Das Lieblingsspielzeug von früher kann jede Menge Energie an einem anstrengenden Arbeitstag liefern. Klingt verrückt, funktioniert aber bei mir ganz ausgezeichnet. Auf meinem Schreibtisch im Büro stehen mein Lieblings-Matchboxauto von früher und meine Spielzeugindianer und -cowboys. Ich habe sie mir bei Ebay zurückgekauft. Sie zu sehen gibt mir ein beruhigendes Gefühl, weil sie mich in Sekunden wieder in meine glückliche Kindheit zurückbeamen. Zudem bewachen mich Han Solo aus Star Wars, Captain Kirk und Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise als lebensgroße Pappfiguren. Sie erinnern mich täglich an das, was ich als Junge an ihnen bewundert habe: ihre Gelassenheit und ihren Mut.

Im Auto herumtelefonieren, beim Essen Mails auf dem Smartphone checken: Die Arbeit wird immer dichter, und gleichzeitig sind wir ständig erreichbar. Klar, dass da Stress aufkommt. Pausen sind wichtig, wir sollten sie uns aktiv nehmen, am allerbesten ohne ein eingeschaltetes Smartphone. Auch außerhalb der Arbeit nicht über die Arbeit reden schafft Abstand und hilft beim Abschalten. Auf langen Autofahrten Audio Books oder Hörspiele hören sorgt dafür, in eine andere Welt abzutauchen. Plötzlich ist man zum Beispiel – so wie ich – mit Justus, Peter und Bob von den „Drei ???“ ganz weit weg in Rocky Beach, löst einen Fall und tankt dabei Gelassenheit auf.

Für mich gibt es seit einigen Jahren keine geschäftlichen Abendessen mehr, ich treffe meine Geschäftspartner stattdessen nur noch zum Mittagessen. Dafür bin ich abends bei meiner Familie. An den Geburtstagen meiner drei Kinder arbeite ich grundsätzlich nie und ich trinke auch keinen Alkohol mehr. Ich will lieber morgens fit sein, mit dem Hund eine frühe Runde am Rheinstrand genießen und maximale Zeit mit meinen Kindern verbringen. Das sind alles ganz bewusste Entscheidungen, die mir helfen, Wünsche und Bedürfnisse – wie die Kinder aufwachsen zu sehen – in die Tat umzusetzen. Meine Weigerung, Geschäftsessen am Abend zu machen, brachte die Leute zum Nachdenken. Schnell lernten sie es zu schätzen, dass ja auch sie einen Abend mehr für ihre Familie oder ihre Freizeit hatten. Win-Win.

Der Flug ist verspätet, man steht im Stau, das Essen kommt nicht. Wo andere in Rage geraten oder sich aufregen, bleibe ich gelassen. Man sollte die Dinge immer wieder auf die Sachebene bringen und entspannt sehen: Unvorhergesehenes passiert, rumschreien und aufregen ändert gar nichts, es verschwendet nur kostbare Lebensenergie. Diese Logik ist für jeden von uns umsetzbar, eine reine Kopfsache.

Für mich ist das Glas immer halb voll statt halb leer. Und das Leben ist für mich ein Geschenk. Jeden Tag. Und ich lasse es mir von nichts und niemandem vermiesen. Weil ich es so will. Punkt.

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Frank Behrendt

  • Frank Behrendt, 1963 in Celle geboren, lebt mit seiner Frau und drei Kindern als Kommunikationsberater, Vortragsredner und Autor in Köln. Von der Deutschen Gesellschaft für Public Relations wurde er als „PR Kopf des Jahres 2017“ ausgezeichnet.
  • Nach seiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete er in der Industrie und leitete verschiedene PR-Agenturen. Seit Februar 2017 ist er als Senior-Advisor für die Serviceplan-Gruppe tätig.
  • Sein erstes Buch „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“ ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen und wurde ein Bestseller. Sein neues Buch trägt den Titel „Die Winnetou-Strategie – Werde zum Häuptling deines Lebens.“

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