Kann die humanitäre Hilfe nicht mit dem Bedarf Schritt halten, Frau Cousin und Herr Lake?

In einer krisensatten Welt kommt eine neue Hungersnot im Süden und Osten Afrikas ungelegen. Doch die Auswirkungen des Klimaphänomens El Niño treffen die Region brutal. Mehr als 45 Millionen Menschen sind jetzt oder schon bald auf Nahrungsmittelhilfe an

Von 
Ertharin Cousin und Anthony Lake
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Die schlimmste Dürre seit 35 Jahren. Zerstörte Ernten. Viehherden, verendet in ausgetrockneten Flussbetten. Die Gefahr von sintflutartigen Überschwemmungen und tödlichen Schlammlawinen steigt. Während sich Hunger weiter ausbreitet und Nahrung spärlich wird, geraten die Lebensgrundlagen - und sogar das Leben selbst - von Millionen in ernste Gefahr.

In weiten Teilen des südlichen und östlichen Afrikas hinterlassen die Auswirkungen von El Niño - ein globales Wetterphänomen, verursacht von steigenden Temperaturen der Meeresoberfläche - eine breite Spur der Verwüstung. Und, wie immer im Fall solcher Katastrophen, leiden Kinder und Frauen am meisten.

Bereits jetzt sind eine Million Kinder schwer unterernährt. Davon können sich nur wenige kleine Kinder erholen, wenn sie nicht sofort behandelt werden.

In Äthiopien, wo die Dürre zehn Millionen Menschen trifft, sind 435 000 Kinder gefährdet und müssen dringend gegen akute Unterernährung behandelt werden. In Malawi sind sogar fast die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren bereits zu klein für ihr Alter, weil sie nicht ausreichend gesunde Nahrung bekommen - und sie drohen bald ebenfalls, an schwerer Unterernährung zu leiden. In Sambia ist die Rate der unterernährten Kinder auf dem höchsten Stand seit 15 Jahren. Und auch in Lesotho trifft Wassermangel Frauen, Kinder, Behinderte und ältere Menschen besonders heftig.

Im südlichen Afrika ließen, nach den heißesten Temperaturen des letzten Jahrzehnts, die großflächig verdorrten Felder und schlechten Ernten des vergangenen Jahres die Maispreise in die Höhe schießen und brachten ländliche Gemeinden an den Rand der Existenz. Laut Vorhersagen werden die Ernten im Süden Mozambiks und Simbabwes sogar komplett ausfallen.

In vielen Ländern sind die Ressourcen so gut wie erschöpft. Die Kapazitäten der Regierungen, neben der Dürre durch wirtschaftliche Not schwer belastet, sind bis zum Äußersten in Anspruch genommen -was ihre Möglichkeiten, Sicherheitsnetze und andere soziale Sicherungssysteme auszubauen, stark einschränkt.

Sogar in Äthiopien, wo es eines der besten Sicherheitsnetze des Kontinents gibt und wo die Regierung seit dem vergangenen Jahr mehr als 380 Millionen US-Dollar - 272 Millionen allein seit Januar 2016 - investiert hat, um die Bevölkerung vor der Krise zu schützen, übersteigen die Bedarfe rasch die verfügbaren Mittel.

Hilfsprogramme werden ausgebaut, um der wachsenden Not zu begegnen. Doch um Leben zu retten und zu verhindern, dass jahrzehntelange Entwicklungserfolge unwiderruflich zerstört werden, muss mehr geschehen. Wir müssen mehr Menschen die dringend benötigte Unterstützung über Bargeld und Ernährungshilfe geben.

Wir müssen mehr Kinder mit spezialisierten Ernährungsprogrammen erreichen, um zu verhindern, dass noch mehr von ihnen an Unterernährung leiden. Und wir müssen die sozialen Sicherheitsnetze ausbauen, welche die Folgen der Krise abmildern - wie Schulmahlzeiten-Programme, damit Kinder aus armen Familien zumindest eine richtige Mahlzeit am Tag bekommen. Die Dringlichkeit der aktuellen Situation ist unbestreitbar. Doch die humanitäre Hilfe kann mit den riesigen Bedarfen nicht Schritt halten. Noch nicht einmal annähernd. Vielmehr gibt es unglaubliche Finanzierungslücken - und es bahnt sich eine Tragödie an. UNICEF hat erst 22 Prozent der benötigten Gelder zur Finanzierung der El Niño-Nothilfe im östlichen und südlichen Afrika erhalten. In Simbabwe sind die wenigen Mittel schon fast komplett aufgebraucht - und für Swasiland und Lesotho gab es überhaupt keine Unterstützung. Die Maßnahmen des UN World Food Programme (Welternährungsprogramm, WFP) im Süden Afrikas sind für die nächsten sechs Monate nur zu einem Drittel finanziert, 200 Millionen US-Dollar werden dringend benötigt. Erschreckend ist, dass diese Zahl noch nicht die jüngsten Bedarfe erfasst, die gerade in Gemeinden ermittelt werden, in denen Dürre die Aussichten für die Haupternte im nächsten Monat drastisch verschlechtert hat.

Der gesamte Bedarf an humanitärer Hilfe für Äthiopien bis Ende 2016 liegt bei 670 Millionen US-Dollar. Das meiste davon für Ernährungshilfe.

Die Kombination aus wachsenden Finanzierungsbedarfen und schwindenden Ressourcen führt unausweichlich in die Katastrophe. Sicherlich sind internationale Geber durch den immer stärkeren Wettbewerb um humanitäre Mittel immens gefordert - in einer Welt, in der die Not infolge anhaltender Konflikte, chronischer Krisen und durch den Klimawandel bedingter Katastrophen kontinuierlich steigt. Doch inmitten dieser konkurrierenden Hilfsbedarfe muss Afrika eine Priorität sein.

Die Kosten der Untätigkeit sind enorm. Studien der Afrikanischen Union zu den Kosten des Hungers in Afrika offenbaren die Folgen von Unterernährung für die Produktivität in Ländern, die sich wirtschaftliche Rückschläge nicht leisten können: Mehr als 16 Prozent des Bruttosozialproduktes gehen in Äthiopien jedes Jahr verloren, in Malawi sind es mehr als zehn Prozent.

Hinter diesen Statistiken steht der Verlust von Menschenleben. Kindersterblichkeit, die mit Unterernährung zusammenhängt, hat die Arbeitskraft auf dem gesamten Kontinent um bis zu 14 Prozent verringert.

Entwicklungsstörungen und Unterernährung beeinflussen aber nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch die kognitive, also das Denken betreffende, Leistung. Sie verringern die Fähigkeit der Kinder, zu lernen, und als Erwachsene, ihre Familie zu ernähren.

Wir müssen jetzt aktiv werden - über kurzfristige Hilfsmaßnahmen und durch langfristige Initiativen, welche die Menschen vor Dürren und anderen klimatischen Schocks schützen.

Die Hilfe sollte darauf ausgerichtet sein, mit Nahrungsmitteln und Bargeld lebensrettende Ernährungshilfe zu leisten und durch spezielle Ernährungsprogramme zu verhindern, dass weiterhin Kinder an Unterernährung sterben. Resilienzprogramme (Resilienz ist die Robustheit von Systemen gegen externe Störungen), die die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden gegen Klimaschäden stärken, müssen ausgebaut werden.

Wir wissen, dass diese Maßnahmen Leben retten werden - wenn wir jetzt handeln um den Ländern, die am schlimmsten betroffen sind, bei ihrer Umsetzung zu helfen.

Jetzt ist die Zeit zu handeln - bevor es zu spät ist, um zu verhindern, dass eine sich anbahnende Tragödie zu einer echten Katastrophe für die Menschen in Afrika wird. Bearbeitet von Lara Sturm

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