Ist Teilen wirklich wirtschaftlicher als Sparen, Herr Mekiffer ?

Ja, sagt der junge Autor. Stefan Mekiffer fordert eine neue Form der Ökonomie - weg von Negativzins, Schuldenkrise und der Angst vor Armut. Ein Gastbeitrag.

Von 
Stefan Mekiffer
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Was ist eins geteilt durch zehn? Selbst wenn Sie ab der zweiten Klasse geschwänzt haben, werden Sie wissen: Das Ergebnis ist zumindest weniger als eins. Teilen verringert das Geteilte. Den Keks, den ich abgebe, kann ich nicht selber essen, und wenn ich mein Vermögen verteile, ist es vergeben. Wenn ich es hingegen auf die Bank bringe, habe ich irgendwann mehr davon. Teilen macht also ärmer; und überhaupt, volkswirtschaftlich gesehen haben wir doch ein Problem mit mangelnder Spardisziplin: Überschuldete Haushalte, entstanden durch Steuergeschenke. Teilen ist also netter als Sparen, aber uneigennützig und unwirtschaftlich. Dieser Gedankengang ist so tief in unserem kollektiven Denken und Wirtschaften verankert, dass es sogar unvernünftig erscheinen kann, ihn in Frage zu stellen. Er klingt so intuitiv und einleuchtend - den Schein, den ich verschenke, kann ich selber nicht ausgeben, daher ist mehr für Dich weniger für mich.

Aber Scheine und Kekse sind in Wirklichkeit nicht die Regel, sondern die Ausnahme. In den meisten Fällen macht das Teilen den Teilenden reicher, ohne viel oder überhaupt etwas zu kosten.

Häufig macht das Teilen keinen ärmer, sondern bereichert den Teilenden, und ist daher oft sparsamer als das Sparen.

Ein Beispiel? Ich wohne in einer großen Wohngemeinschaft, mit elf Leuten auf dem Land in einem ehemaligen Gasthaus in Waldeck (Nordhessen), in einem großen Haus mit noch größerem Garten.

Wir teilen jetzt nicht alles, aber vieles: Den Einkauf, damit wir nicht alle einzeln zum Supermarkt fahren und jeden Yoghurt einzeln abrechnen müssen. Wir teilen das WG-Auto, den Fernseher, die Küchen- und Arbeitsgeräte und Staubsauger, damit bei uns nicht Dutzende kaum genutzte Geräte herumstehen, um die man sich kümmern muss.

Wir richten gerade eine gemütliche Bibliothek ein, in der wir die gesammelten Bücher und Filme der Bewohner zusammenlegen. Das bereichert mich, ohne dass ich dafür etwas aufgeben muss.

Und wir teilen den Wohnraum - Küche und Wohnzimmer, Gemüsegarten, Sauna im Keller - wodurch wir alle viel Platz für wenig Miete haben. Wir müssen sogar nur einmal den Rundfunkbeitrag zahlen.

Kurz: Wir haben Überfluss, ohne zu knausern. Nicht weil wir sparen, sondern weil wir teilen, haben wir mehr. Mehr für Dich ist auch mehr für mich. Das ist wirtschaftlich.

Sparen und Teilen haben beide einen ähnlichen Effekt - man verbraucht weniger Geld und Ressourcen. Aber während Sparen Verzicht bedeutet, bereichert mich das Teilen, weil dadurch andere ihrerseits mit mir teilen. Es vereint die Vorteile des Sparens und Verschwendens in sich. Teilen ist das bessere Sparen.

Ein Haus ist eine Sache, aber wie funktioniert das in unserer Gesellschaft, dieser großen WG mit ihren unübersichtlich vielen Mitbewohnern? Sparen wir noch oder teilen wir schon?

Ich glaube, viele von den Problemen, die uns heute Kopfschmerzen bereiten, sind die logische Folge unserer Entscheidungen, uns in den letzten Jahren eher dem Sparen als Teilen zu verschreiben.

Am offensichtlichsten zeigt sich das bei der Privatisierung öffentlichen Eigentums. Vieles von dem, was vorher von Staat und Gesellschaft verwaltet wurde, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten in die Gewinnoptimierung getrieben: Die Bahn, VW und Lufthansa, Post und Telefonnetz, Stadtwerke und Flughäfen, Krankenhäuser, Hochschulen, sogar Ministeriengebäude wurden verkauft und wieder zurückgemietet. Die Bundesdruckerei wurde privatisiert, was kostspielig zurückgenommen wurde, und für die Privatisierung von Autobahnen und Gefängnissen gibt es bereits Modellprojekte.

Alles was verkauft wird, ist dann kein öffentliches Eigentum mehr, sondern gehört privaten Investoren und Institutionen. Als Unternehmen müssen sie ihr finanzielles Einkommen maximieren, mehr Gewinn für die Anteilseigner einfahren, hohe Preise fordern und niedrige Löhne zahlen und möglichst viel verkaufen, um möglichst viel Geld ein- und anderen abzunehmen.

Anders gesagt: Privatisierte Unternehmen müssen sparen statt teilen, um wirtschaftlich zu sein. Wir Arbeitnehmer müssen für diese Leistungen und Dividenden bezahlen, daher müssen wir, je mehr privatisiert wird, mehr für Geld arbeiten, müssen weniger teilen und mehr sparen. Sind wir dadurch kollektiv ärmer oder reicher geworden?

Die Privatisierung des öffentlichen Wohlstandes ist aber keine Erfindung der 1990er Jahre; sie ist bereits seit Jahrhunderten im Gange. Kurze Rückschau: Im ausgehenden Mittelalter waren die weitesten Teile des Landes besitzerlos, gehörten niemandem. Die Wälder und Flure zwischen den Dörfern wurden Allmenden genannt, und standen den anliegenden Bauern zur Verfügung, um sich mit Holz, Wild, Futter und Wasser zu versorgen. Dorfgemeinschaften achteten darauf, dass niemand diese geteilten Flächen übernutzte.

Ab der Reformation wurden die Bauern jedoch vertrieben, die Flächen umzäunt und die Wälder gerodet. Aus autarken Dorfgemeinschaften wurden abhängige Lohnarbeiter, aus unendlichen Wäldern wurden schwindende Schrebergärten. Der Großteil des Landes gehört nun einer kleiner werdenden Zahl an größer werdenden Agrarkonzernen und Hedgefonds. "Betreten verboten"-Schilder und Zäune bezeugen diese Entwicklung, die manche als Diebstahl bezeichnen: Denn alles, was jetzt privates Eigentum ist, muss irgendwann einmal allen gehört haben und gewaltsam entwendet worden sein. Das einmal unendliche Land ist für jeden einzelnen knapp geworden, durch unsere mangelnde Bereitschaft zu teilen.

Warum sparen wir anstatt zu teilen? Warum verkaufen wir unser öffentliches Eigentum, anstatt den Zugang allen zu gewähren? Weil wir uns kollektiv einmal dafür entschieden haben: Staaten können nur Geld ausgeben, was sie durch Steuern einnehmen. Wenn das nicht gelingt, müssen sie sich verschulden und müssen darüber hinaus Zinsen zahlen und später mehr einnehmen als sie ausgeben. Daher wird stetig weiter öffentliches Vermögen verkauft, was kurzfristig Haushalte saniert und dauerhaft Investoren beschenkt.

Dabei ist es doch paradox: Der Staat spart an gemeinschaftlichen Gütern und Dienstleistungen, um Geld heranzuschaffen. Aber gehört die Zentralbank, die das Geld überhaupt in Umlauf bringt, nicht zum Staat? Warum spart der Staat an etwas, was er beliebig herstellen könnte? Die Europäische Zentralbank versucht gerade die Konjunktur anzukurbeln, indem sie Geschäftsbanken mit billigen Krediten überschüttet, während die Kommunen sparen müssen - warum benutzt sie nicht dieses Geld, um die Schulden zu begleichen?

Warum teilen wir nicht die Früchte des Wohlstandes, sondern bestehen auf das Sparen? Wie würde eine Gesellschaft aussehen, die das Teilen in den Mittelpunkt stellt? In der Softwareentwicklung sind diese Prinzipien schon verbreitet. Der Quellcode (Text eines Computerprogramms) von Linux, Bitcoin und Co ist frei zugänglich. Das ermöglicht vielen, Verbesserungen einzubringen und die Software frei zu nutzen. Das bedeutet nicht, dass man damit kein Geld verdienen kann: Wer die Technik kennt, kann anderen helfen sie einzusetzen oder zu erlernen. Tüftler wenden diese Logik mittlerweile auf technische Produkte an und erstellen Anleitungen für 3D-Drucker, Konstruktionspläne für Solarkollektoren und Windturbinen, die für jeden zugänglich und verbesserbar sind. Wikipedia sammelt und verteilt Wissen, zur Bereicherung aller. Patente, Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften beschränken aufwendig und künstlich den Zugriff auf Ideen, Kunst und Wissen. Könnte unsere Gesellschaft nicht kreativer sein, wenn Open Source (zu deutsch: öffentliche Quelle) und Creative Commons (schöpferisches Gemeingut) keine Randprodukte, sondern Normalität wären? Die Gedanken des Teilens könnte man viel weiter denken. Warum finanzieren wir nicht staatlich allen Nahverkehr, Telefon und Internet, und gewähren allen Bürgern kostenlosen Zugang? Das würde den Autoverkehr reduzieren und das Eintreiben und Verwalten der Gebühren einsparen.

Und warum vergesellschaften wir nicht die ortsnahen zehn Prozent des agrarindustriellen Großgrundbesitzes und machen daraus Gemeinschaftsgärten? Kleingärten haben den größeren Flächenertrag als industrielle Landwirtschaft, überwiegen mit gesundheitlichen und psychologischen Vorteilen. Oder warum verteilen wir nicht gleich das frische Zentralbankengeld als Grundeinkommen bei den Bürgern? Das würde allen die Freiheit bieten, nicht mehr aus der Notwendigkeit des Sparens zu handeln, sondern aus dem Willen zu geben.

Das sind natürlich alles politisch undenkbare Vorschläge. Noch gedeihen diese neue Formen des Wirtschaftens nur in den Nischen. Doch jetzt, wo das bestehende Modell des jeder-gegen-jeden zunehmend schmerzhaft gegen seine Grenzen stößt, kommt zunehmend die Zeit, sie in die Mitte zu holen.

Stefan Mekiffer

Der Ökonom, Kulturwissenschaftler und Philosoph wurde 1988 in Kassel geboren und lebt in Waldeck und in Berlin. Stefan Mekiffer arbeitet bei Refugee Open Cities, einem Innovationsprojekt für Flüchtlingsheime, und kandidiert auf der Berliner Landesliste der Partei Bündnis Grundeinkommen - die will das Thema auf den Wahlzettel zur Bundestagswahl bringen.

Im vergangenen Jahr erschien sein Buch "Warum eigentlich genug Geld für alle da ist" im Hanser-Verlag. ble

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