Unsere Art und Weise zu wirtschaften, ist eine echte Bedrohung für den Fortbestand der Menschheit auf diesem Planeten geworden. Einzelne Skandale wie bei VW bringen nur die Spitze des Eisbergs zutage. Wir wirtschaften zulasten der Armen in der Gegenwart und aller Menschen in der Zukunft. Wie könnte man das ändern? Eine Antwort ist, die Maßstäbe, nach denen vernünftiges Wirtschaften ablaufen sollte, zu benennen. Das versuche ich im Folgenden.
Die Menschenrechte sind eigentlich an Staaten adressierte Forderungen. Nun ist jedoch auffällig, dass die Macht der Nationalstaaten zunehmend verfällt. Man würde aber die reale Entwicklung ignorieren, wenn man nicht die zunehmende Macht der Unternehmen anerkennt und sie mit der Forderung konfrontiert, dass Macht eben auch verpflichtet. Sonst entlässt man Nationalstaaten aus der Verantwortung, ohne neue Adressaten für die Menschenrechte zu finden. Aufgrund dieser Machtverlagerung ist es sinnvoll, zu überlegen, welche Rechte sich auf Unternehmen als Akteure herunterbrechen lassen. Soziale und wirtschaftliche Menschenrechte sind sowohl für Staaten wie auch für Unternehmen anwendbar. Man muss sie entsprechend interpretieren und ausfindig machen, welche konkreten Handlungsnormen diese Rechte zur Folge haben. Welche Pflichten ergeben sich für ein Unternehmen, wenn es sich auf die Menschenrechte festlegt?
Konkrete Verpflichtungen aus den Menschenrechten zu gewinnen, ist schwierig. Hier kann man aber auf internationale Abkommen zurückgreifen. Zudem haben mehrere Institute und Initiativen versucht, sie in Form von Katalogen auf Unternehmen herunterzubrechen. So lassen sich halbwegs konkrete Prinzipien ableiten.
Dazu gehört: Unternehmen müssen tolerieren, dass sich Gewerkschaften bilden, müssen Versammlungsfreiheit für diesen Zweck gewähren und dürfen Arbeiter nicht aufgrund ihres sozialen Engagements benachteiligen. Es gibt aber auch weniger konkrete Vorgaben. So müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern beispielsweise sichere, gesunde und hygienische Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
Was aber, wenn die nationalen Standards für Sicherheit und Gesundheit wenig ambitioniert sind? Eine Orientierung am international höchsten Standard könnte die Vorteile eines Billiglohnlandes einebnen. Hier scheinen für jede Branche und jedes Land verschiedene Standards gültig und teilweise sinnvoll zu sein. Man könnte als Kriterium dafür, dass diese Regel halbwegs erfüllt wird, das Urteil nationaler Behörden, internationaler Wissenschaft, der Arbeiter selbst und von in diesem Sektor maßgeblichen, etablierten Nichtregierungsorganisationen heranziehen.
Je einhelliger der Firma in diesem Dialog mit den Anspruchsgruppen attestiert wird, genug zu tun, um die jeweiligen Standards einzuhalten, desto eher kann der Anspruch als erfüllt gelten. Natürlich wird ein umfassender Konsens selten zu erzielen sein. Eine Übereinstimmung mit den Mehrheitsvertretern der Mitarbeiter, mit einigen einschlägigen, überregionalen Organisationen, mit den staatlichen Behörden und einigen unabhängigen Wissenschaftlern sollte zumindest grobe Missachtung von Normen ausschließen. Kommt ein Konsens mit einer der Anspruchsgruppen überhaupt nicht zustande, muss die Norm als unerfüllt gelten.
Solche Regeln kann man mit den Menschenrechten begründen. Das ist für die konkrete Ausgestaltung der Arbeitswelt immerhin etwas. So kann die Orientierung an den Menschenrechten zumindest eine Basismoral begründen, zumal diese Rechte eine Schwäche haben: Sie formulieren primär, was wir unterlassen sollen, um anderen nicht zu schaden. Aber sie formulieren kaum Pflichten für aktives Engagement eines Unternehmens. Zudem gibt es leider immer wieder Situationen, in denen sich Menschenrechte widersprechen und blockieren.
So kann ein Unternehmen etwa mitunter keine sicheren Arbeitsplätze bieten und gleichzeitig alle Arbeiter angemessen entlohnen, weil es die Kosten für beides nicht tragen kann. Was tun? Die Regeln, die sich aus den Menschenrechten in Anwendung auf Unternehmen gewinnen lassen, müssen um einige Regeln erweitert werden, ich nenne sie "Menschenrechte-Plus-Normen".
Eine dieser Normen besagt, dass bei gravierenden Problemen eine ethisch geschulte Instanz angerufen wird. Um diese Fälle, in denen die Menschenrechte nicht ausreichen, zu bewerten, ist im Unternehmen oft kein qualifiziertes Personal vorhanden. Es mag in Firmen zudem besonders schwerfallen, moralische Entscheidungen zu treffen, die nicht vom eigenen Vorteilsdenken geleitet sind. Daher wäre ein Vorschlag, hier eine neue externe Institution zu schaffen, die diese Arbeit übernimmt: ein Ethik-Komitee. Natürlich müssten seine Mitglieder zu Verschwiegenheit verpflichtet sein, gleich der anwaltlichen Schweigepflicht.
In deutschen Krankenhäusern ist dieses Verfahren gängige Praxis. Dort setzen sich die Ethik-Komitees, die von Ärzten, Pflegenden oder Patienten angerufen werden können, aus Ethikern, Juristen, Ärzten, Patientenvertretern oder Pflegenden zusammen. Sie beraten, was in konkreten Fällen moralisch richtig ist. Ethik-Komitees braucht es nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in der Wirtschaft.
Eine Regel, die Unternehmen in die Pflicht nimmt, aktiv zur Verbesserung der Welt beizutragen, lautet: Ein Unternehmen soll die ethische Initiative dort ergreifen, wo sie am nützlichsten ist und dafür mindestens 1,5 Prozent seines Jahresgewinns einsetzen. Es sei denn, das Unternehmen gerät dadurch nachweislich in Existenznot.
Diese Regel garantiert, dass Unternehmen und Staaten auch aktiv im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Glück auf der Welt vermehren. Wenn ein Unternehmen also "das Richtige" tun will, sollte es sich selbst zu dieser Regel verpflichten. Dann vermehrt das Unternehmen das Wohlergehen an der von der Moral empfohlenen Stelle: Also dort, wo das Leid am größten und die Hilfe am effektivsten ist. Wo dies genau der Fall ist, können unabhängige wissenschaftliche Forschungen ausweisen.
Viele Unternehmen spenden bereits heute aktiv und in ähnlicher Höhe, meist im Kultursektor. So gibt es etwa die Mundarttage der Kreissparkassen, die womöglich einem der Vorstandsmitglieder besonders am Herzen liegen. So spendete die Deutsche Bank 2013 1,3 Prozent ihres Jahresverdienstes, die Commerzbank spendete rund zwei Prozent. Das entspricht natürlich nicht unserer Zusatzregel.
Die Zusatzregel lenkt solche Ausgaben zu den Bedürftigsten und macht die Moral gleichwohl nicht zur Konjunktursache, da die übrigen Menschenrechte-Plus-Normen jederzeit einzuhalten sind. Die Spendenpflicht ist abhängig vom Unternehmenserfolg aussetzbar. Das soll Akzeptanz sichern, denn wenn Unternehmen aufgrund von Spenden den Betrieb einstellen müssten, hätte dies bald das Ende der Spendenpflicht zur Folge. Die Unternehmen sollen Spenden aber nicht nach Gutdünken aussetzen können. Sie haben im Stakeholderdialog eine Dokumentationspflicht, darzulegen, dass es dem Unternehmen so schlecht geht, dass es sich nicht erlauben kann, der Spendenpflicht nachzukommen. Da eine solche Erklärung das Unternehmen auf dem Kapitalmarkt nicht gerade attraktiv macht, wird sie im Regelfall unterbleiben.
Die Pflicht auf 1,5 Prozent zu begrenzen, ist der Durchsetzbarkeit geschuldet. Über eine Spendenpflicht könnten global erhebliche Summen zusammenkommen, welche einen moralischen Wandel vorantreiben würden. Es entstünden zwei- bis dreistellige Milliardenbeträge pro Jahr allein von Unternehmensseite.
Eine Menschenrechtsmoral mit einigen Zusatzregeln stellt ein wirkungsvolles Steuerungsorgan für die Wirtschaft dar. So müssten nicht nur Skandale, sondern auch ein Teil der stetigen Erosion der Moral durch die Wirtschaft zu bändigen sein. Die Unternehmen, die diese Moral beachten und sich ihr getreu verhalten, könnten ansonsten ihren Profitinteressen nachgehen. Sie müssten also nur die staatlichen Maßnahmen zur Regulation des gesamten Wirtschaftssystems einhalten.
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Bernward Gesang
Bernward Gesang ist Professor am Philosophischen Seminar der Universität Mannheim. Sein Spezialgebiet ist die Wirtschaftsethik.
Er beschäftigt sich unter anderem mit Wissenschaftstheorie, Religionsphilosophie und Medizinethik.
Zuvor hatte er Philosophie, Pädagogik und Germanistik studiert und eine Doktorarbeit zum kritischen Rationalismus verfasst.
Gesang hat diverse Bücher verfasst, die bei renommierten Verlagen erschienen sind. Darunter "Klimaethik", "Die Perfektionierung des Menschen" und "Eine Verteidigung des Utilitarismus."
Zuletzt erschien "Wirtschaftethik und Menschenrechte". jul
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