Trumps Einzug ins Weiße Haus, der Brexit, das gute Abschneiden der AfD bei den Bundestagswahlen und die Erfolge rechtspopulistischer und -radikaler Parteien in Frankreich und den Niederlanden – all das verweist auf grundlegende Probleme des westlichen Demokratiemodells. Natürlich lassen sich für alle genannten Fälle nationale Faktoren nennen, die bei einer Analyse der Ursachen für den Erfolg rechtspopulistischer Akteure mitberücksichtigt werden müssen.
In Deutschland hat sich das etwa im Ergebnis der Bundestagswahl gezeigt: Die AfD ist insbesondere im Osten stark, in den Ballungsräumen der westlichen Bundesländer jedoch weit weniger. Viele kommen hier dann gleich mit dem Argument einer noch nicht gelungenen Wiedervereinigung.
In Frankreich wird auf die missglückte Integration der Immigranten aus den Mahgreb-Staaten verwiesen, die in den Stadträndern Parallelgesellschaften ausgebildet haben, die als Keimzelle terroristischer Radikalisierung gelten. In den USA hat sich die Einkommens- und Wohlstandversteilung in den letzten Jahrzehnten dermaßen verschoben, dass sich die Mittelklasse und die unteren Einkommensgruppierungen als Verlierer einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verstehen müssen. Während die obersten Ein-Prozent in der Einkommensverteilung am wirtschaftlichen Aufschwung partizipieren wie seit den „Roaring Twenties“ nicht mehr, stagnieren die Löhne der Mittelklasse, und die Armutsraten steigen an.
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Verstärkt wird die Frustration breiter Gesellschaftsschichten noch durch den massiven Einfluss des großen Geldes auf die Politik in Washington D.C. Der Durchschnittsbürger wird von den Politikern nicht mehr gehört, Lobbyorganisationen und die Wall Street entscheiden über den Gang der Dinge.
Natürlich finden sich jeweils zahlreiche nationale Sonderbedingungen, die die spezifische Ausprägung der Krise mit erklären können. Aber in allen genannten Fällen lassen sich auch Gemeinsamkeiten aufzeigen, ein einheitlicher Kern der Krise des westlichen Demokratiemodells.
In allen Ländern haben die Menschen das Vertrauen in die regierenden Politiker verloren. „Die da oben“ machen eh nur was ihnen nutzt – die Interessen des „kleinen Mannes“ spielen keine Rolle mehr. Und vielfach geht es in der Tat um den kleinen Mann – der rechtspopulistische Prozess ist überwiegend männlich. Verlieren die politischen Repräsentanten an Vertrauen in der Bevölkerung, dann ist dies natürlich auch eine Krise des repräsentativen Demokratiemodells. Die Stunde der Rechtspopulisten ist gekommen, die im Namen des Volkes einfache Lösungen präsentieren. „Making America Great Again“. Donald Trump hatte ein gutes Gespür für diese Unzufriedenheit und hat sie geschickt zur Mobilisierung genutzt.
Natürlich könnte man die Rechtspopulisten jetzt einfach mit dem Rassismus- und Chauvinismus-Argument diskreditieren, aber das greift zu kurz. Die Unzufriedenheit reicht weiter, sie ist auch ökonomisch motiviert. Das lässt sich mit Fakten belegen. Auf die stetig wachsenden Ungleichheiten in der Einkommens- und Wohlstandsverteilung haben wir schon verwiesen. Das ist kein singuläres Phänomen der USA. Auch in Europa vergrößert sich der Abstand zwischen Arm und Reich, innerhalb vieler Gesellschaften, aber auch zwischen den einzelnen EU-Ländern. Hier sehen wir ein deutlich ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle.
Zeitgleich nimmt auch die soziale Mobilität immer weiter ab. Immer weniger jungen Menschen gelingt der soziale Aufschwung. Sie müssen sich mit weniger zufrieden geben als ihre Eltern. Soziale Mobilität war ein zentrales Element des „American Dream“ – der Vorstellung, man können es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen, einfach nur durch harte Arbeit und eigenen Willen. Dieser Traum ist in vielen Gesellschaften ausgeträumt.
Der soziale Status der Eltern bestimmt die sozialen Chancen der Kinder. Wer reich aufwächst, dem blüht eine rosige Zukunft. Alle anderen sind die Verlierer der ökonomischen Entwicklung.
Die sich manifestierenden sozialen und ökonomischen Probleme sind der gemeinsame Kern dessen, was in allen westlichen Demokratien momentan immer mehr Bürger von den Wahlurnen fernhält oder in die Arme rechtspopulistischer Rattenfänger treibt. Seit dem Fall der Mauer 1990 hat sich in fast allen westlichen Demokratien eine Politik durchgesetzt, die die Märkte entfesselt hat. Grenzen wurden niedergerissen, Freihandel und Deregulierung sollten Wohlstand bringen.
Doch von den ökonomischen Prophezeiungen, die in weiten Teilen als alternativlos präsentiert wurden, profitierten nur wenige. Weite Teile der Gesellschaften partizipierten nicht am ökonomischen Wachstum, ganz im Gegenteil: im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise haben viele ihr Erspartes und ihr Eigenheim verloren. Die Banken und die Finanzmärkte, die uns in diesen Schlamassel gebracht haben, wurden mit Steuermitteln gerettet, die Krise zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet und der Staat als Schuldiger ausgemacht.
Zwar sollte der Markt die Wende zum Guten bringen, und je weniger der Staat interveniert, desto mehr Wachstum könne generiert werden – das war die Vorstellung der Politik. Das Sozialsystem wurde umgebaut und auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet. Das staatliche Tafelsilber wurde verscherbelt, störte doch nur die freien Kräfte des Marktes. Public-Private Partnerships und die Privatisierung von Bildung und Infrastruktur wurden vorangetrieben. Die Folge: Immer mehr Leute haben nun keine ökonomischen Perspektiven mehr, sind in prekären Beschäftigungsverhältnissen, der Niedriglohnsektor ist explodiert. In den USA können sich immer weniger Menschen eine universitäre Ausbildung leisten.
Und da macht es keinen Unterschied, ob Liberale, Sozial- oder Christdemokraten, Republikaner oder Demokraten in der politischen Verantwortung sind, die Politik der Alternativlosigkeit folgte dem immer gleichen ökonomischen Mantra: Deregulierung, Privatisierung und niedrige Steuern entfesseln die Märkte. Durch diese magische „trickle down“-Ideologie würden von einer solchen Politik nicht nur die Reichen profitieren, nein: ihr Reichtum würde langsam auch durch die Einkommensverteilung nach unten durchsickern. Das einzige Problem: Das ist noch nie geschehen und wird auch diesmal nicht funktionieren.
Inzwischen besitzen in den USA die reichsten drei Menschen so viel wie die untersten 50 Prozent in der Wohlstandsverteilung. Und die Panama und Paradise Paper haben gezeigt, mit welch ausgeklügelten und leider auch zumeist legalen Tricks die Superreichen ihren Wohlstand sichern und vermehren – zumeist auf Kosten der westlichen Staaten und Gesellschaften. Natürlich ist dieses Problem in den USA besonders präsent, gerade weil hier die Ideologie des Individualismus und der Eigenverantwortung schon immer besonders ausgeprägt war. Die Politik seit den 1990er Jahren fiel hier auf einen viel fruchtbareren Boden als in vielen europäischen Gesellschaften.
Aber vielleicht braucht es hier in Europa einfach nur ein bisschen mehr Zeit?
Wenn sich die Politik dem Markt unterordnet, dann profitieren nur die Reichen: Die Mittelklasse löst sich auf und die Armen werden abgehängt. Damit geht auch die soziale Basis des repräsentativen Demokratiemodells verloren.
Gerade eine breite Mittelklasse war immer schon der Grundstock westlicher Demokratien. Die Marktkräfte müssen wieder stärker gebündelt werden, die Staaten das ökonomische Wachstum besser verteilen. Das ist die Aufgabe der Politik und das steht im Kern der Demokratie.
Der Staat muss bestimmte öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur bereitstellen, damit sozialer Aufstieg wieder möglich wird. Das Wirtschaftswunder in Deutschland, das große Versprechen des Fordismus in den USA und die glorreichen Jahrzehnte in Frankreich wurden erst durch die Politik und den Staat ermöglicht.
Der Markt ist nur Mittel zum Zweck. Mutiert er zum Selbstzweck, dann hat die Demokratie keine Zukunft mehr.
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Christian Lammert und Boris Vormann
Christian Lammert ist ein deutscher Politologe. Er lehrt als Professor für die Innenpolitik Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.
Boris Vormann ist Professor für Politologie am Bard College Berlin. Er erhielt 2015 den Fulbright American Studies Award.
Ihr gemeinsames Buch „Die Krise der Demokratie und wie wir sie überwinden“ ist im Herbst 2017 beim Aufbau Verlag erschienen.
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