Berlin. Die Antwort auf die Ausgangsfrage ist einfach und schwierig zugleich. Einfach, weil Berater sprichwörtlich alles und nichts machen, fast überall anzutreffen sind und Beratungsaktivitäten Bestandteil vieler Berufsprofile sind: Da gibt es etwa Finanzberater, Verkaufsberater, Eheberater, Karriereberater, Ernährungsberater und so weiter und so fort – sowie diejenigen, die sich auf Unternehmen, Politik und Verwaltungen konzentrieren. Manch einer denkt hier vielleicht an den Klischee-Berater im Anzug und mit Powerpoint-Präsentation; aber es gibt etwa auch den technischen Berater des IT-Anbieters und die wissenschaftlichen Beiräte des Bundestages. So gesehen ist Deutschland eine Berater-Republik.
Diese Vielfalt irritiert. Sie kann entstehen, weil die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist: Interessierte können sich einfach für fünf Euro am Automaten im Bahnhof ein paar Visitenkarten drucken lassen und loslegen.
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Das Durcheinander lässt einen also etwas ratlos zurück und hilft kaum weiter. Für eine differenziertere Betrachtung ist es notwendig, noch mal einen Schritt zurückzutreten und zu beleuchten, welche Rolle Beratung in Ministerien und anderen Verwaltungen spielt, welche Gefahren damit verbunden sind – und wie sie eingehegt werden können.
Hilfreich ist es erstmal, das Wesen der Beratung ein wenig konkreter zu fassen, etwa als „professionelle Organisationsveränderungsbegleitung“. Das Wortungetüm klingt sperrig, lässt sich aber leicht entschlüsseln: „Professionell“ gibt einen Hinweis darauf, dass es sich um eine Kerntätigkeit handelt und kein Nebenprodukt einer anderen Aktivität ist (à la: Hier sind Ihre drei Drucker, ich berate Sie jetzt noch kurz beim passenden Aufstellen!). „Organisation“ bezeichnet die Kundin und ist bewusst weit gefasst. Unternehmen sind inkludiert, ebenso Verwaltungen, Vereine, NGOs et cetera; die Beratung von Privatpersonen im Möbelhaus oder im Sportgeschäft bleibt allerdings außen vor. „Veränderung“ als dritter Bestandteil umfasst positive wie negative Situationen, an denen gearbeitet wird. Wichtig dabei ist: Die Verantwortung für Entscheidungen und für das Ergebnis liegt bei der Kundenorganisation; die Beratungsorganisation „begleitet“ hier lediglich. Diese Begleitung kann sehr eng erfolgen, wie es bei der Vermittlung von Expertenwissen üblich ist, oder lose, wie bei einigen therapeutisch-systemischen Formaten. Der oben sehr weit gezogene Kreis der Dienstleistung wird also eingeengt auf die Unternehmens- beziehungsweise Verwaltungsberatung, die synonym als „Consulting“ bekannt ist.
Der nächste Blick geht kurz zur anderen Seite, also zu den Kunden. Dort fällt auf, dass drei „gute“ Gründe für die Beauftragung von Beratern dominieren: Im Englischen werden sie als Brain, Body und Brand angegeben. Mit Brain ist die Expertise gemeint, die Consultants mitbringen; also die Fachkompetenz. Der Kunde hat eine Kompetenzlücke, die Beratung füllt sie. Der zweite Grund tritt etwa auf, wenn temporär Ressourcen benötigt werden (Body). Der Auftraggeber weiß ziemlich genau, was zu tun ist – hat aber gerade nicht genügend passendes Personal. Als dritten Grund kann man die Hilfe eines externen Netzwerkes und die Kraft deren Marke anführen (Brand). Für manche Dinge ist ein ausgewiesener externer Spezialist mit seinem Netzwerk besser geeignet als ein interner Mitarbeiter.
In dieser Gemengelage haben sich im Laufe der Zeit einige Dinge herausgebildet, die kritisch oder sogar gefährlich werden können. Zunächst ist die schiere Masse der Consultants und ihre rasante Entwicklung anzuführen. Denn die große Bandbreite an Tätigkeiten, die angeboten und von Kunden nachgefragt werden, spiegelt sich auch in einer großen Zahl an Beratern.
Der Gastautor
Thomas Deelmann ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein-Westfalen.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet und forscht Deelmann als, für, mit und über Berater. Er kennt daher sowohl die Kunden- als auch die Beraterseite.
Deelmann war in einem internationalen Beratungskonzern und als Beratungseinkäufer tätig.
Vor wenigen Tagen erschien von ihm das Buch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen (256 Seiten, 22 Euro, FBV).
Allein für den öffentlichen Sektor, also Bund, Länder, Kommunen et cetera, sind Tag für Tag rund 20 000 von ihnen im Einsatz. Zur Einordnung: Das entspricht schon der Einwohnerzahl sogenannter Mittelstädte. Der Staat gibt für diese externe Hilfe gut vier Milliarden Euro im Jahr aus – ein Wert, der sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Mit Blick auf diese enormen Zahlen kann man durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass Deutschland eine Berater-Republik ist und gleichzeitig aufgeschreckt fragen, ob durch die Beratermassen in den Rathäusern und Ministerien nicht die Demokratie in Gefahr gerät?
Nüchtern betrachtet muss man wohl festhalten, dass es stärkere Angriffe auf die Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung gibt, als die Vergabe ausgewählter Aufgaben an Consultants – vorausgesetzt natürlich, diese erfolgt entlang der geltenden Regeln und Vorschriften. Denn eines muss deutlich herausgestellt werden: Die Beamten arbeiten gemeinwohlorientiert und oft an Aufgaben der Daseinsvorsorge. Die Berater hingegen arbeiten als externe Helfer gewinnorientiert. Hier gibt es also zunehmend Sollbruchstellen, an denen unterschiedliche Grundeinstellungen, Interessenlagen und Motivationen aufeinanderprallen.
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Zusätzlich sind ein potenzieller Kontrollverlust sowie Abhängigkeiten der Beamten von den Externen zu nennen. Diese Gefahr ist sehr real, wie auch der Bundesrechnungshof festgestellt hat. Häufig funktioniert die Zusammenarbeit mit den Beratern zwar gut und weitgehend geräuschlos. Die Öffentlichkeit wird aber stets dann auf die Consultants aufmerksam, wenn der Suchscheinwerfer der Medien, der politischen Opposition und anderer Organisationen auf Fehlverhalten gelenkt wird. Prominente Beispiele sind die Berateraffäre im Verteidigungsministerium zur Zeit von Ministerin von der Leyen oder der skandalöse Missbrauch von Beraterverträgen im Umfeld der vor kurzem zurückgetretenen RBB-Intendantin Schlesinger. Der Fairness halber und damit sich niemand zurücklehnen und „Jaja, die Beamten“ denken kann, soll aber festgehalten werden: In vielen privaten Unternehmen ist die Situation wohl ähnlich – nur schaut die Öffentlichkeit nicht so genau hin.
Und schließlich ist über eine Erfolgsmessung nachzudenken. Über die Ergebnisse, genauer: die Wirkung der einzelnen Beratungseinsätze ist nämlich kaum etwas bekannt. Ihre Evaluation ist zwar nicht trivial, aber dies bedeutet nicht, dass die sprichwörtliche Flinte sofort ins Korn geworfen werden muss. Auch die Ampelregierung hat dies erkannt und formuliert im Koalitionsvertrag, dass sie schrittweise „den Bundeshaushalt auf eine ziel- und wirkungsorientierte Haushaltsführung umstellen“ will: Irgendwann wird dies dann wohl hoffentlich auch die Ausgaben für Beratung treffen.
Um diesen kritischen Aspekten zu begegnen gibt es viele kleine und größere Stellschrauben, die sich in drei aufeinander aufbauenden Ansätzen zusammenfassen lassen. Kunden können so die Kontrolle wiedergewinnen und die Abhängigkeit von Externen reduzieren: Zunächst wird der grundsätzliche Unterstützungsbedarf reduziert. Hier bieten sich verschiedene Wege an, die mit der Digitalisierung des öffentlichen Sektors Hand in Hand gehen, etwa die Beschleunigung von Leistungen durch Robotic Process Automation oder die innovativen Einsatzmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Alle Aufgaben, die hier reduziert werden, brauchen schon nicht mehr bei Consultants nachgefragt werden.
Anschließend werden für die verbliebenen Aufgaben möglichst eigene Ressourcen zur Bearbeitung befähigt. Einige Behörden haben bereits Inhouse-Consulting-Einheiten aufgebaut, andere nutzen einen Do-it-yourself-Ansatz und stellen situativ hausinterne Ressourcen und Know-how zusammen oder greifen auf innovative Organisationsformen zurück. Denn: Alles, was intern bearbeitet werden kann, muss nicht mehr extern vergeben werden.
Der dann noch verbliebene Unterstützungsbedarf wird professionell gemanagt. Private Consulting-Konzerne wie Einzelberater können eingehegt werden durch eine bessere Zusammenarbeit vor, während und nach einem Projekt – also bei der Beraterauswahl, ihrer Einsatzsteuerung und der Evaluation.
Am Ende der zweiten, längeren und differenzierten Antwort auf die Ausgangsfrage kann man holzschnittartig formulieren und zusammenfassen: Wir leben in einer Berater-Republik. Die 20 000 Consultants beziehungsweise vier Milliarden Euro sind ein guter Indikator dafür. Die Ausgaben sind jedoch weder per se gut oder schlecht. Kritischer ist, dass die Ministerien und Verwaltungen Gefahr laufen, die Kontrolle über die externen Dienstleister zu verlieren. Hier muss dagegen gearbeitet werden, um die Consultants wieder einzuhegen. Andernfalls drohen Abhängigkeit, Missbrauch und der nächste Skandal.
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