Weil ich Yesidin bin und die demokratischen Werte verteidige, erhalte ich Todesdrohungen. Eine große deutsche Kinokette wollte meinen Film über die Verbrechen des "Islamischen Staates" (IS) nicht zeigen - aus Angst vor Anschlägen. Ein Mann, der mich bei der Produktion dieses Films unterstützt hat, möchte im Abspann nicht namentlich genannt werden - aus Angst. Ich selbst werde immer wieder mit der Aussage konfrontiert: "Mensch, ist das nicht gefährlich, was du machst?" Ich habe das Gefühl, dass sich diese Angst gerade durch unsere Gesellschaft zieht. Sie schafft Unruhe, verbreitet Unsicherheit und nimmt uns die Freiheit. Diese Erlebnisse haben mich nachdenken lassen und ich kam zu dem Schluss: Deutschland ist bedroht.
Das klingt hart. Und vielleicht denken viele, sie seien nicht davon betroffen. Doch das ganze Fundament unseres Zusammenlebens ist bedroht. Auf der einen Seite geht diese Bedrohung im Grunde genommen von den selben Kräften aus, die ich während der Dreharbeiten zu meinem Film im Mittleren und Nahen Osten vorgefunden habe. Dort musste ich mitansehen, was es heißt, aufgrund einer anderen Religion entmenschlicht zu werden. Der Völkermord, den der IS an den Yesiden im Nordirak verübt hat und den ich mit eigenen Augen gesehen habe, hat mich verändert. Ich bin mutiger geworden. Ich habe beschlossen, aufzustehen gegen diese Bedrohung.
Wenn wir in Deutschland über Islamismus reden, sprechen wir oft nur über die Angst, dass wir uns mit den Flüchtlingsströmen Extremisten importieren. Das ist auch eine berechtigte Sorge. Es ist nicht die große Zahl hierher geflüchteter, bedrohter und verfolgter Menschen, die mir Sorgen bereitet. Die meisten von ihnen sind dankbar, dass sie in Deutschland Schutz gefunden haben. Mir geht es um die radikalen Hardliner, die - unregistriert und mit falscher Identität ausgestattet - in unser Land kommen. Sie machen sich gezielt die Flüchtlingsrouten zu Nutze, um in Deutschland unterzutauchen.
Doch wir exportieren den Dschiadismus auch: Junge Menschen, die in diesem Land aufgewachsen sind, erliegen der Propaganda gewaltbereiter Salafisten und des IS. Es gibt rund 750 junge Männer, die aus Deutschland nach Syrien gereist sind, um im Dschihad zu sterben. Und es gibt Mädchen, die ihnen folgen, um einen islamistischen Kämpfer zu heiraten. Das ist ein Problem, das uns alle betrifft. Mit diesen fanatisierten Jugendlichen exportieren wir den Terror in die Länder des Mittleren Ostens, deren Schicksal uns zu lange gleichgültig war. Diese jungen Menschen sind Opfer einer Ideologie, die Religion in den Dienst der Politik stellt und sich dabei auf konservative Auslegungen des Islam stützen kann.
Zugleich radikalisiert sich auf der anderem Seite eine Allianz aus NPD und Pegida. Sie warten nur darauf, dass bestimmte Dinge, wie etwa die Anschläge in Brüssel, passieren, um dann sagen zu können: "Wir haben es ja schon immer gewusst." Das Schlimmste ist: Flüchtlingsheime wurden angezündet. Es gab Angriffe auf Asylsuchende. Menschen, die vor dem Terror des IS hierher geflohen sind, werden in Deutschland erneut bedroht. Auch viele ehrenamtliche Flüchtlingshelfer sind vor verbalen und physischen Attacken nicht mehr sicher.
Der religiöse Radikalismus und Extremismus auf der einen und den Rechtsradikalismus auf der anderen Seite - das sind für mich "böse Zwillinge". Beide vereint ihr Allmachtsanspruch, das "Wir-sind-Opfer-der-Gesellschaft"-Denken und dass beide die Politik, die Medien und die Mitte der Gesellschaft komplett ablehnen. Beides ist eine Form von Faschismus. Denn jede religiöse Rede des IS ist in Wahrheit auch eine politische Rede.
All das zeigt deutlich, dass wir ein Integrationsproblem haben, das nicht nur Migranten betrifft: In Deutschland gibt es zu viele Menschen, die unsere demokratischen Werte nicht teilen, die unsere Grundordnung ablehnen.
Und was ist unsere Reaktion darauf? Wir überlassen das politische Feld den Profis und den Extremisten. Wenn etwas nicht so läuft, wie wir es uns vorstellen, meckern wir - aber wir werden nicht aktiv. Dieses Verhalten ist für mich fast mit unterlassener Hilfeleistung gleichzusetzen. Wir sollten dankbar sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden, in einem Staat, in dem wir alle Möglichkeiten haben, teilzuhaben und zu gestalten. In anderen Ländern wird man umgebracht, wenn man sich für diese Rechte einsetzt.
Selbstverantwortung und politisches Bewusstsein sind für mich daher Bürgerpflicht. Ich weiß, dass ich selbst die Verantwortung für mein Leben trage, und nehme mir das Recht auf eine politische Meinung und auf politische Teilhabe. Das nenne ich demokratische Machtausübung. Wer sich dieses Recht nimmt, kann die Entwicklung beeinflussen, kann Prozesse in seinem Sinn gestalten.
Seit ich gesehen habe, was Ungerechtigkeit und die Verweigerung von Religionsfreiheit mit Menschen machen, verteidige ich dieses Land umso mehr. Wir müssen uns als neue und als alte Deutsche gemeinsam neu definieren. Wir müssen Entschlossenheit zeigen gegenüber den bösen Zwillingen, den rechtsextremen wie den islamistischen Feinden der Demokratie. Wir müssen aufhören, unpolitisch zu sein. Wir müssen die Augen aufmachen und erkennen, was um uns herum los ist.
Was wir dann sehen werden, ist nicht schön. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Der Friede in Deutschland ist bedroht. Wir müssen uns unsere Rechte nehmen und ganz klar sagen: Es geht uns etwas an, was da draußen passiert. Wir müssen das zu unserer Sache machen. Wir müssen uns wehren. Für mich gilt der Satz: "Für Freiheit muss man kämpfen."
Eine große Herrausforderung wird auch sein, dass wir in Deutschland über falsche Tabus und falsch verstandene Toleranz neu nachdenken müssen. Wir haben Probleme im Mittleren und im Nahen Osten viel zu lange losgelöst von der Inneren Sicherheit in Deutschland betrachtet. Das war ein Fehler.
Ein konkretes Beispiel sind etwa die Konflikte zwischen Kurden und Türken, die regelmäßig auf Deutschlands Straßen ausgetragen werden. Auch da gibt es radikale Lager, auf Demonstrationen kommt es immer wieder zu Übergriffen und Schlägereien. Die Deutschen werden dabei zu Statisten im eigenen Land. Und das dürfen wir nicht zulassen.
Man muss Täter als Täter benennen, egal wo sie herkommen. Wir müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen - ohne Angst davor haben zu müssen, dann selbst als radikal oder ausländerfeindlich bezeichnet zu werden. Und das verlange ich auch von den Migranten: Dass sie den Rechtsstaat nicht nur akzeptieren, sondern dass sie ihn notfalls auch verteidigen. Denn gerade sie müssen Probleme ganz klar laut äußern.
Ein Kollege von mir hat es mal so ausgedrückt: "Wenn in klares Wasser nur ein bisschen Tinte kommt, ist gleich das ganze Wasser getrübt". Ich finde, das ist eine schöne Metapher für diese Problematik. Die Stigmatisierung trifft am Ende auch die Migranten, die nichts dafür können. Deshalb reicht es nicht, das Thema einfach nur auszusitzen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Deutsch-Deutschen, wenn sie Tendenzen wahrnehmen, die rechtsradikaler Natur sind.
Denn uns muss klar sein, dass wir alle für die gleiche Sache einstehen: für die Werte, auf denen unser Grundgesetz beruht. Wir Yesiden haben übrigens keine Heilige Schrift. Ich finde, das kann von Vorteil sein: Ich halte gern das Grundgesetz hoch. Bearbeitet von Julian Eistetter und Lara Sturm
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