Das Wachstum in Deutschland stockt. Der Internationale Währungsfonds hat die Prognose für das Jahr 2024 auf 0,2 Prozent nach unten gesetzt. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute liegen bei 0,1 Prozent. Die Bundesregierung schätzt „optimistisch“ 0,3 Prozent. Wie immer man es wendet, es sieht nicht rosig aus. Anders gerechnet verfällt der Wohlstand in Deutschland vielleicht schon seit einiger Zeit. Die CDU trage die Mitverantwortung für die Wachstumsschwäche des Landes, sagte jüngst Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Inzwischen ist ein Streit darüber entbrannt, wie es besser werden kann. Die FDP will Deutschland mit Steuersenkungen, Bürokratieabbau und der Kürzung von Sozialleistungen zurück auf den Wachstumspfad bringen. SPD-Vertreter reagierten entsetzt und sprachen von einem „Frontalangriff gegen die SPD“. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock kritisierte gar, die FDP würde in einer instabilen geopolitischen Lage Deutschland weiter destabilisieren.
Und was kommt jetzt? Geht es weiter so wie bisher? Oder brauchen wir eine wirtschaftspolitische Wende? Wer hat denn nun Recht? Eines ist klar: Wohlstand fällt nicht vom Himmel. In Westdeutschland brachten die Wirtschafts- und Währungsreform unter Ludwig Erhard sowie das Grundgesetz in den späten 1940er Jahren ein freiheitliches Wirtschafts- und Rechtssystem auf den Weg. Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung, eine stabile Währung und freier Wettbewerb schufen die Voraussetzungen dafür, dass sich im Westen – im Gegensatz zum planwirtschaftlichen Osten – ein Wirtschaftswunder entfalten konnte.
Die Marktwirtschaft brachte allen Aufstiegschancen und es entstand eine breite Mittelschicht. Das widerspricht der These, dass der Markt die Ungleichheit wachsen lässt. Deutschland wurde vielmehr zur Wachstumslokomotive von ganz Westeuropa.
Unter den Regierungen von Angela Merkel galt noch, dass der Wohlstand in Deutschland noch nie so groß gewesen sei. Doch der Abstieg hat schon seit der Jahrtausendwende eingesetzt. Wie kam es dazu? Vor dem Euro war die Deutsche Mark, deren Stabilität die Deutsche Bundesbank entschlossen verteidigte, das Rückgrat der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Weil die Deutsche Mark immer wieder aufwertete, zwang sie als „Produktivitätspeitsche“ die deutschen Unternehmen zu immer neuen Effizienzerhöhungen und immer besseren Produkten.
Die Einführung des Euros im Januar 1999 ermöglichte es, dass das Ziel der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank schrittweise von der Verteidigung der Preisstabilität hin zur Finanzierung von Staatsausgaben umgebaut werden konnte. Eine Fehlkonstruktion des Euros – die Geldpolitik wird gemeinsam in Frankfurt beschlossen, während die Finanzpolitiken noch in nationaler Verantwortung sind – führte in die Eurokrise.
Die Eurokrise rechtfertigte, dass die EZB mit dauerhaften Zinssenkungen auf null und mit umfangreichen Ankäufen von Staatsanleihen die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung unterminiert hat. Der Wertverlust wurde über längere Zeit in der offiziellen Statistik versteckt, bevor sich der Euro doch noch für alle sichtbar zum Teuro mauserte.
Der „weiche Euro“ befreite die deutschen Unternehmen von der Produktivitätspeitsche. Die Unternehmen verließen sich darauf, dass die EZB mit Zinssenkungen deren Finanzierungskosten senkte. Mit der Abwertung des Euros spülte die EZB Geld in die Kassen der Exportunternehmen. Das hat die deutsche Industrie träge gemacht.
Ähnliches gilt für die Regierung, die beflügelt von niedrigen Zinsen und Staatsanleihekäufen der EZB große finanzielle Risiken einging. Sie beschloss den kostspieligen Ausstieg aus Atomenergie und Kohle. Der deutsche Staat lud sich große zusätzliche Verpflichtungen bei den Sozialausgaben auf, während er die Infrastruktur vernachlässigte. Zusammen mit der Europäischen Union trat er eine riesige Bürokratiewelle los.
Der daraus resultierende Verfall des Wohlstands konnte unter Angela Merkel zunächst über drei Kniffe verschleiert werden. Die EZB ermöglichte es dem deutschen Staat, mit den dank niedrigen Zinsen stark steigenden Einnahmen die Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Seit 2010 sind fast vier Millionen Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor und in regulierungsnahen Wirtschaftsbereichen entstanden.
Der Bund der Steuerzahler hat jüngst beklagt, dass in nicht einmal 10 Jahren rund 50 000 Stellen allein bei der Bundesverwaltung entstanden sind. Inzwischen könne die Regierung auf rund 300 000 Beschäftigte zurückgreifen.
Mit der Öffnung der Gaspipeline Nordstream 1 konnten die Energiepreise gesenkt werden, was die deutsche Industrie beflügelte. Und es floss aufgrund der Niedrigzinspolitiken der großen Zentralbanken lange Zeit viel billiges Kapital nach China, was dort die Nachfrage nach deutschen Gütern anheizte.
Die Wohlstandsillusion begann erst für alle sichtbar zu bröckeln, als ab Mitte 2021 die Inflation anstieg. Denn das zwang die EZB und andere Zentralbanken, die Zinsen zu erhöhen. Plötzlich war die Finanzierung der ambitionierten Sozial- und Klimapolitik nicht mehr gesichert. Der Ukrainekrieg hat die Zufuhr billiger Energie aus Russland unterbrochen. In China ist eine von dem billigen Geld aus den Industrieländern beflügelte immense Immobilienblase geplatzt. Die deutsche Industrie kann deshalb nicht mehr auf das Reich der Mitte als Ersatz für die sinkende Kaufkraft in Deutschland hoffen. Der geplante Umbau der Sozialen Marktwirtschaft in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft stockt. Stattdessen stellt sich die Frage nach der Lösung des Problems.
Von einer grünen Wirtschaftspolitik ist keine Rettung zu erwarten. Das vom Kanzler leichtfertig versprochene grüne Wirtschaftswunder wird ausbleiben, weil der produktive Kapitalstock Deutschlands durch eine grüne Transformation teilweise entwertet wird. Zudem wirft die grüne Regulierung immer mehr Sand ins Getriebe. Deutschlands wirtschaftlicher Abstieg ist damit selbstverschuldet und nicht alternativlos.
Statt Planwirtschaft und fehlgeleiteter Transformation braucht es marktwirtschaftliche Reformen. Es braucht eine stabile Währung, einen schlanken Staat und einen entschlossenen Bürokratieabbau. EU-Bürokratiemonster wie die sogenannte Taxonomie, die alle Unternehmen planwirtschaftlich nach Umweltkriterien klassifizieren und finanzieren will, und die Lieferkettengesetze müssen weichen.
Leistung muss sich wieder lohnen, was niedrigere Steuer- und Abgabenlasten erforderlich macht. Sozialausgaben müssen auf diejenigen begrenzt werden, die sie wirklich brauchen. Umweltschutz ist wichtig, aber es bedarf der Wahl marktwirtschaftlicher Instrumente. Denn durch fehlgeleitete staatliche Regulierung schwindet die Akzeptanz der Umweltpolitik.
Mehr Marktwirtschaft hätte Vorteile. Mit dem Wohlstand würde das Sozialsystem gesichert. Das in Schieflage geratene gesetzliche Rentensystem könnte leichter stabilisiert werden. Junge Menschen hätten wieder eine wirtschaftliche Perspektive, was sich positiv auf deren Leistungsbereitschaft auswirken würde.
Die Menschen in Deutschland müssen jedoch erst einmal verstehen, dass Wohlstand keine Verteilungsmasse ist, sondern immer wieder neu geschaffen und verteidigt werden muss.
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