Ist der Diesel noch zu retten, Herr Dudenhöffer?

Am Verbrennungsmotor festzuhalten, hat keinen Sinn, sagt Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer. Die Welt steuert in ein neues Zeitalter. Und das wird vom Elektroauto bestimmt. Nur Deutschland ist Schlusslicht. Ein Gastbeitrag.

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Ferdinand Dudenhöffer
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Vieles deutet darauf hin, dass das Diesel-Auto bald zu den aussterbenden Modellen auf den Straßen gehört. Zu sehen ist hier der Auspuff eines Skodas mit einem TDI Dieselmotor.

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Für den 2. August hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum "Nationalen Forum Diesel der Bundesregierung und der Länder" eingeladen. Genau eine Woche zuvor hat England mitgeteilt, dass ab dem Jahr 2040 auf der Insel keine Neuwagen mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen werden. Frankreich hatte das bereits vor ein paar Wochen angekündigt. Norwegens Absichten sind, schon ab dem Jahr 2030 ohne Verbrennungsmotoren auszukommen. Deutschland dagegen veranstaltet den Kanzlergipfel zu Reparaturlösungen für den Diesel-Pkw. Das klingt für eine Industrienation anachronistisch und ist es auch.

Ferdinand Dudenhöffer

  • Ferdinand Dudenhöffer ist Direktor des CAR Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen und hat den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen inne.
  • Der gebürtige Karlsruher studierte von 1972 bis 1977 Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. 1983 promovierte er dort.
  • Danach arbeitete er in der Automobilindustrie - bei Opel, Porsche und Peugeot.
  • Beim Campus Verlag ist sein Buch "Wer kriegt die Kurve? Zeitenwende in der Autoindustrie" erschienen.
  • Dudenhöffer gilt als einer der renommiertesten deutschen Experten für die Automobilindustrie.

Deutsche Städte ächzen seit langem an überhöhten Stickstoffdioxid-Belastungen, die zu 70 Prozent von Diesel-Pkw verursacht werden. Das ist nicht neu, sondern im Kanzleramt seit dem Jahr 2010 bekannt. Jährlich schickt die EU-Kommission an die Bundesregierung dazu blaue Briefe. Bekannt ist auch, dass neue Pkw-Diesel auf dem Teststand sauber sind, aber leider weniger im Alltag. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass unser Kraftfahrtbundesamt in Flensburg keine Kompetenz hat, um Abgaswerte zu prüfen. Dort wo die Umweltprüfungen hin gehören, ins Umweltbundesamt, will sie die Kanzlerin nicht haben, vielleicht weil man dort strenger ist. Staatsanwälte gehen bei Audi, Daimler, Porsche und VW ein und aus. Unerlaubte Absprachen der großen deutschen Autobauer sollen die Reinigungskosten für Abgase "kleiner" halten. VW müsste den USA Milliarden wegen unerlaubter Abgasmanipulation beim Diesel bezahlen. Gleichzeitig liegt Deutschland beim Elektroauto weit abgeschlagen im Schlussfeld. Wir könnten die Aufzählung fortsetzen. Sie illustriert: Die Erfindernation des Autos scheint ein Problem mit der Zukunft zu haben.

Möglicherweise kommen Fahrverbote auf unsere Städte zu, deren Ursachen in Berlin seit sieben Jahren bekannt sind. Statt an diesen Problemen zu arbeiten, konzentrierte der Bundesverkehrsminister einen großen Teil seiner Amtszeit darauf, das merkwürdige Projekt "Pkw-Maut" durchzuboxen. Der Eindruck verfestigt sich, dass wir beim Autoverkehr ein Problem mit der Zukunft haben.

Trotz alledem wird die Kanzlerin nicht müde zu betonen, dass wir den Diesel zur Erreichung der Klimaziele brauchen. Das ist ein Märchen. Toyota, gewiss kein kleiner Autobauer, kommt ohne Diesel besser als viele andere mit den Klimazielen zurecht. Die Klimafreundlichkeit des Diesel-Pkw ist ein Mythos, der in Deutschland seit langem gepflegt wird. Zu großen Teilen beruht dieser Mythos auf der Tatsache, dass wir mit der falschen Elle messen. Ein Auto wird nicht durch einen Liter irgendeiner Flüssigkeit in Bewegung gesetzt, sondern durch Energie. Ein Liter Diesel enthält zufälligerweise jetzt mehr Energie als ein Liter Benzin, so wie ein Liter Schnaps eben mehr Alkohol enthält als ein Liter Bier. Niemand käme auf den Gedanken, auf einen Liter Bier mehr Alkoholsteuer zu schlagen als auf einen Liter Schnaps. Beim Kraftstoff für Autos machen wir das aus unerfindlichen Gründen. Wenn wir Kraftstoffe verbrennen, um eine Energieeinheit zu erzeugen, produzieren wir beim Diesel mehr CO2 als bei Benzin. Falsche Messmethoden führen zur irrigen Meinung, der Dieselantrieb sei klimafreundlich.

Wir treiben das Spiel mit dem Diesel aber noch weiter. Weil Diesel angeblich klimafreundlicher ist, wird der Kraftstoff mit 18 Cent weniger Steuer pro Liter belastet als Benzin. Auch das hatte übrigens schon vor mehreren Jahren die EU-Kommission bemängelt. Wenn wir die Steuervergünstigungen des Dieselkraftstoff vom Jahr 1985 bis heute addieren, kommen wir auf knapp 200 Milliarden Euro Steuerausfälle. Sie hören richtig: 200 Milliarden. Zwar ist die Kfz-Steuer, übrigens eine Steuer auf das stehende Auto, beim Diesel-Pkw höher, aber selbst wenn wir das abziehen, bleiben "Netto-Steuergeschenke" von mehr als 140 Milliarden Euro.

Wir pampern Pkw-Diesel gewaltig. Die deutsche Autoindustrie und ihre Kanzlerin glauben an die Zukunft einer Technologie aus der Vergangenheit, die mit hohen Steuergeschenken nicht nur unseren Städten Probleme macht.

Es ist ein gefährliches und teures Spiel, das wir uns in Deutschland leisten. Die deutschen Autobauer verkaufen in Deutschland so um die zwei Millionen Neuwagen pro Jahr. Weltweit sind es übrigens knapp 16 Millionen. Wie wichtig ist dann der deutsche Automarkt für die deutsche Autoindustrie? Weniger als 13 Prozent aller von deutschen Autobauern hergestellten Autos finden in Deutschland ihre Käufer. Davon können die 850 000 Beschäftigte der Branche mit Sicherheit nicht leben.

Die Welt außerhalb Deutschlands ändert sich schnell. China wird bereits im nächsten Jahr acht Prozent aller Neuwagen als Elektroautos einfordern. Noch vor dem Jahr 2030 wird China - der absolut größte Automarkt der Welt mit 24 Millionen Pkw-Verkäufen im letzten Jahr - zu 100 Prozent auf Elektroautos setzen. Pkw-Diesel sind in China so gut wie nicht zu finden, so wie auch in USA und vielen anderen Staaten. Der Pkw-Diesel ist ein deutsches, und ein bisschen ein europäisches Phänomen. Da der Weltmarkt wächst und Europa konstant bleibt, schrumpft die Bedeutung der "Vorzeigetechnik" der Deutschen. Zusätzlich steuert Europa - außer Deutschland - um. Frankreichs neuer Umweltminister Hublot hat vor ein paar Tagen angekündigt, nächstes Jahr den Steuervorteil für Dieselkraftstoff zu kippen. Auch in Europa wird es für den Diesel eng.

Kommen wir zurück zum Kanzlergipfel. Vieles, was über den Diesel erzählt wird, sind Mythen. Um den Diesel richtig sauber zu machen, braucht es mehr als ein paar Software-Spielereien. Wenn ein einfacher Software-Trick reichen sollte, muss man sich schon die Frage stellen, ob alle Autofahrer als dumm verkauft werden. Software hat "Nebenwirkungen", etwa ein möglicher Mehrverbrauch, etwa ein unbefriedigender Verbrennungsprozess der mögliche Ablagerungen im Motorraum begünstigt. Über die hat bisher weder ein Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CDU), noch die Kanzlerin, noch die Autobauer gesprochen. Das ist nicht besonders fair, den Autofahrern gegenüber.

So wie es aussieht, wird man das kostenlose Software-Update anbieten, um vor der Bundestagswahl die Besitzer von Diesel-Pkw zu beruhigen. Ob dies wirklich "ruhig" stellt und Vertrauen zurückbringt, lässt sich bezweifeln. Ebenso, ob Software-Updates die Fahrverbote wirklich überflüssig machen - und die Luft sauber. Es bleiben viele Fragen.

Was wäre die Alternative? Es wäre mutig und aufrichtig, wenn die Kanzlerin den Deutschen nächste Woche reinen Wein einschenken würde. Sagen würde, dass wir den Diesel nicht brauchen, um die Klimaziele zu erreichen. Sagen würde, dass wir Deutschland echt zukunftsfähig machen, die Arbeitsplätze der Branche nachhaltig absichern. Eben, wenn sie wie unsere Nachbarn die Weichen für die Zukunft, die neue Mobilität stellen würden. Das würde mehr Arbeitsplätze retten, als der Vergangenheit "Diesel" nachzulaufen.

Ehrlich wäre, wenn die Kanzlerin sagen würde, dass wir Diesel so besteuern wie Benzin - bei Kfz-Steuer und Kraftstoffsteuer. Ehrlich wäre, wenn von sofort an alle Diesel-Neuwagen, so wie die Benziner, im normalen Alltag auch die Grenzwerte erfüllen müssten. Die Gesundheit der Menschen in den Großstädten sollte der Kanzlerin das doch wert sein. Immerhin ist es ein Verfassungsrecht.

Pro Jahr würden wir gut sechs bis sieben Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen erzielen und könnten so den Umstieg auf die Elektromobilität mehr als locker finanzieren. Die Autobauer eifern alle Tesla nach. Mit dem Tesla Model 3 ist jetzt ein 35 000 Euro teures Elektroauto der Premiumklasse im Markt. Die deutschen Autobauer werden mit ähnlichen Angeboten um das Jahr 2018 da sein. Es passt alles zusammen - wir brauchen nur etwas Mut und Ehrlichkeit. Den Mut, den die Chinesen, Franzosen, Engländer, Holländer, Norweger und viele andere bereits gefasst haben. Die Erfindernation des Autos darf nicht Schlusslicht beim Auto werden. Das würde sehr viele Arbeitsplätze kosten.

Es könnte also ein echter Kanzlergipfel werden, wenn die Kanzlerin Mut fasst. So wie in den letzten zwei Jahren darf es mit der deutschen Autoindustrie nicht weitergehen. Jede Woche neue Negativschlagzeilen über Razzien von Staatsanwaltschaften, Prozesse zu Fahrverboten, plötzlichen freiwilligen Rückrufen, Kartellverdächtigungen und, und, und. Das Vertrauen geht zu Ende. Wer kauft im Ausland ein Auto für 50 000 oder 100 000 Euro, wenn er dem Produzenten nicht über den Weg traut? Niemand will sich für so eine hohe Summe eine Mogelpackung zulegen.

Die Lage ist ernst. Die deutsche Autoindustrie ist dabei, sich selbst zu zerfleischen. Der Diesel ist nicht zu retten und wir müssen ihn auch nicht retten, denn es gibt besseres. Den Autobauern sollte das eine Lehre sein. Ein echter Kanzlergipfel und eine ehrliche Internationale Automobilausstellung (IAA), die in zwei Monaten in Frankfurt eröffnet wird, könnten die Kehrtwende einleiten. Wir sollten es tun. So kann es nicht weiter gehen.