Vor wenigen Wochen endete die Weltklimakonferenz in Paris mit einer einmütigen Erklärung von 195 Staaten, die voranschreitende Erderwärmung verringern zu wollen und damit den Klimawandel noch vor einer drohenden Katastrophe aufzuhalten. Das ist eine freudige Botschaft! Die Bilder jubelnder Abgeordneter, die Dankeserklärungen von Ministern und Präsidenten gingen um die Welt. Ein Meilenstein.
Zum ersten Mal ist es gelungen, alle teilnehmenden Nationen zu verbindlichen Zielen und einer gemeinsamen Erklärung zu bewegen. Alle Bremser und Abweichler auf eine Linie zu bringen, war kein einfaches Unterfangen. Dafür hat die Konferenz unseren Applaus verdient. Ist unbeschwerter Jubel aber wirklich angebracht? Wer jetzt glaubt, alle Probleme wären beseitigt, der Klimawandel abgesagt, der irrt.
Wir sind spät dran
Das Problem ist: Wir verhalten uns wie ein Berufstätiger, der um 8.20 Uhr das Haus verlässt, um noch den Zug um Viertel nach Acht zu erwischen. Wir sind spät dran, vielleicht zu spät! Alles, was wir heute unternehmen - im negativen, wie im positiven Sinne - wird sich erst Jahrzehnte später maßgeblich auswirken.
Auch die vereinbarten Ziele der Erklärung von Paris sind wiederum erst ab 2018 bindend umzusetzen. Damit wird wertvolle Zeit verspielt, die wir nicht haben. Der Mensch ist eine dickköpfige Spezies, die ihr Verhalten ungern ändert. Meist klappt das nur durch äußere Gewalt und unausweichlichen Druck. Um Änderungen freiwillig zu erwägen, benötigt man handfeste Beweise. Bei manchen Beweisen besteht die Schwierigkeit allerdings darin, dass man sie nicht sofort erhält. Oder sie nicht überlebt. Wenn man beispielsweise herausfinden möchte, ob ein Frontalzusammenstoß mit dem Auto bei Tempo 100 wirklich tödlich ist. Genauso könnte es sich mit dem Klimawandel verhalten.
Wie aber kann ich heute etwas ändern wollen, wofür ich den Beweis erst übermorgen erhalte? Vermutlich ist es gerade dieses Dilemma, das unsere Entscheidungsträgheit und Lethargie in diesem Fall so stark ausfallen lässt. Zweifler verweisen darauf, dass sich das Klima in erdgeschichtlichen Zeiträumen schon immer geändert hat. Man denke nur einmal an die Eiszeit oder die mit der Kontinentalverschiebung einhergehenden Veränderungen.
Prognosen können irren
Außerdem können sich Prognosen irren oder tendenziell anders ausfallen. Das kennen wir vom Wetter. Sollte es morgen noch sonnig und wolkenlos sein, regnet es überraschenderweise dann doch plötzlich. Und diese Vorhersage hat lediglich einige wenige Tage in die Zukunft zu blicken, nicht Jahrhunderte. Sie werfen Politikern und Umweltverbänden, die gegen die Erderwärmung mobil machen, Panikmache vor.
Die Folgen des Klimawandels sind tatsächlich schwer konkret zu sehen oder zu spüren. Noch. Ein paar Grad mehr im Sommer, ein verspäteter Wintereinbruch, das macht noch keine Katastrophe aus, denken wir. Doch wenn ich mich beim Bergsteigen in den Alpen umsehe, komme ich nicht umhin, den Gletscherschwund - einer der konkretesten Indikatoren des Klimawandels - anzuerkennen.
Der Aletschgletscher, mit 24 Kilometern Länge der größte Talgletscher der Alpen in der Schweiz, verliert jährlich etwa 30 Meter seiner Ausdehnung. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren dies bereits über zwei Kilometer. Alleine von 2004 bis 2005 verlor der Gletscher 65,6 Meter an Länge. Auch seine Dicke nimmt beständig ab. Bis vor wenigen Jahren waren es noch 900 Meter am "Konkordiaplatz", dem Zusammenstrom mehrerer Gletscher zum Aletschgletscher. Seit 1950 nimmt der Gletscher an dieser Stelle jährlich um durchschnittlich 0,6 Meter ab. Nun müssen die zu den "Konkordiahütten", 2850 Meter, auf einer kleinen, schroffen Anhöhe führenden Metallleitern alle paar Jahre verlängert werden, um den Bergsteigern den Aufstieg vom Gletscher zu den Schutzhütten des Schweizer Alpenclubs (SAC) zu ermöglichen.
Gletscher schmelzen weltweit
In den österreichischen Alpen stellt sich die Situation sogar noch prekärer dar. Die "Pasterze", der größte Gletscher Österreichs, nahm in den letzten 60 Jahren um 160 Meter Dicke auf etwa ein Drittel seiner ursprünglichen Mächtigkeit ab. Viele Eiswände an Bergen der Großglocknergruppe, die die Pasterze umgeben und noch Ende des 20. Jahrhunderts erstiegen wurden, existieren heute nicht mehr.
Nach Schätzungen führender Glaziologen werden bis Mitte dieses Jahrhunderts drei Viertel aller Alpengletscher verschwunden sein. Und der Trend ist nicht nur auf die Alpen begrenzt. Der Gletscherschwund findet nachweisbar auf der ganzen Erde statt. Das ist erschütternd. Nicht nur für den Bergsteiger, der seinem vergleichsweise unbedeutenden Hobby weiter nachgehen möchte. Das weltweite Verschwinden der Gletscher wird weitreichende Folgen für den Trinkwasserhaushalt, den Meeresspiegel sowie die weitere Erderwärmung haben.
Also droht uns doch noch der Weltuntergang? Keinesfalls. Die Erde hat wenig Probleme mit dem Klimawandel. Darin muss man den Skeptikern auf jeden Fall Recht geben. Sie hat in den zurückliegenden Jahrmillionen bereits Schlimmeres mitgemacht. Verheerende Eiszeiten, vernichtenden Ascheregen, gigantische Meteoriteneinschläge. Und immer alles überstanden.
Die Frage ist nur, ob auch die Menschheit dies überstehen wird. Werden wir enden wie die Dinosaurier? Eigentlich wäre es doch ein peinliches Resümee: Angesichts der vielen elementaren Gefahren, die dem Menschen aus dem All und aus den Tiefen der Erde drohen, hätte er sich seine größte Existenzgefährdung tatsächlich selbst geschaffen.
Und was nun? Lassen wir es gut sein mit den Bemühungen und fügen uns in unser unvermeidliches Schicksal? Genauso, wie es vermessen wäre, zu glauben, wir könnten einen Klimawandel durch ein paar Obergrenzen und Aufforstungsaktionen abwenden, so unangemessen wäre es, die Hände in die Hosentaschen zu stecken, uns für machtlos zu erklären, und einfach nichts zu tun. Nur ein weitreichendes Umdenken, Verhaltensänderungen eines jeden Einzelnen und - allem voran- ein rasches Handeln können den gewünschten Erfolg bringen.
Ist das zu illusorisch? Sind wir Menschen erst dann von unserem Unheil zu überzeugen, wenn es bereits zu spät ist, der Karren an die Wand gefahren ist? Vielleicht liegt die Rettung der Welt - genauso wie ihre Gefährdung - auch in unserem menschlichen Wesen begründet. Neben seiner Dickköpfigkeit, zeichnet das menschliche Naturell vor allem auch ein anderer Wesenszug aus: Sein Optimismus. Wenn man an etwas glaubt, kann man alles erreichen. Nur glauben müssen wir es endlich!
Alix von Melle
- Alix von Melle ist mit sechs bestiegenen Achttausendern ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin.
- Von Melle wurde am 1. September 1971 in Hamburg geboren. Derzeit lebt sie in Füssen im Ostallgäu.
- Nach ihrem Abitur studierte sie Geographie an der Ludwig-Maximillian-Universität in München.
- Heute arbeitetet von Melle in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit von Globetrotter, als Referentin und Autorin.
- Ihr neuestes Buch "Leidenschaft fürs Leben" erschien 2015 im Malik-Verlag.
- Ihr Ehemann ist seit 2011 der Extrembergsteiger Luis Stitzinger. Sie gehören seit Jahren zu den aktivsten deutschen Expeditionsbergsteigerpaaren. ls
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