Laut Außenministerium der Ukraine sind sieben Schritte nötig, um Kämpfer oder Kämpferin in der sogenannten ukrainischen Fremdenlegion zu werden. „Freiheit ist eine Entscheidung. Schließ dich den Tapferen an!“, so wirbt die Online-Plattform der „Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine“ weiter. Bestärkt durch den Aufruf Wolodymyr Selenskyjs am 27. Februar 2022 sollen sich inzwischen laut Schätzungen rund 20 000 mehrheitlich männliche Freiwillige aus über 50 Ländern, vornehmlich aus Europa und Nordamerika, gemeldet haben.
Vollständige Klarheit darüber, wie viele davon tatsächlich vor Ort sind, sich bereits in Trainingsmaßnahmen oder im Kampfeinsatz befinden, herrscht nicht. Als gesichert kann hingegen gelten, dass es bereits einige multinationale Verbände unterschiedlicher Größe gibt. Diese stehen teilweise unter dem Kommando ukrainischer Offiziere, werden aber manchmal auch von ausländischen Soldaten der Fremdenlegion geführt.
Fremdenlegionäre, Söldner: Beide Gruppen sind Ausdruck einer zunehmenden Privatisierung von Krieg.
Nicht nur die ukrainische, auch die russische Seite setzt auf Unterstützung aus dem Ausland. Berüchtigt ist etwa die Gruppe Wagner, ein russisches privates Sicherheits- und Militärunternehmen (PSMU), das vor allem durch seine Einsätze in Syrien, Libyen und Mali Bekanntheit erlangt hat, dem die Beteiligung an Kriegsverbrechen vorgeworfen wird und das als rechtsextrem gilt. Darüber hinaus haben sich wohl auch syrische und tschetschenische Kräfte der russischen Seite angeschlossen.
In der öffentlichen Debatte schwingt gemeinhin eine Heroisierung der „freiwilligen Kämpfer“ mit, die für die „Verteidigung der Ukraine“ ins Kampfgebiet aufbrechen. Hierzu passt, dass Medien und befragte Ausreisewillige selbst immer wieder die Erinnerung an den spanischen Bürgerkrieg und die Fremdrekruten aufrufen, die in den 1930ern in den antifaschistischen Kampf zogen. Dass dieser Vergleich in diversen Hinsichten hinkt, mindert nicht seine legitimatorische Kraft für eine Art solidarischer Anwendung von Gewalt in verteidigender Absicht gegen die russische Invasion.
Die die russische Seite unterstützenden Kräfte werden hingegen als „Söldner“ und als profitorientierte, tendenziell verbrecherische Akteure dargestellt und damit delegitimiert. Denn wer sich heute an die Seite Putins stellt, steht auf der falschen Seite der Geschichte. Diese Legitimitätszuschreibungen sind verständlich, rühren sie doch daher, dass es sich bei der russischen „Operation“, wie es der Kreml bezeichnet, tatsächlich um einen Angriffskrieg und damit um einen klaren Völkerrechtsbruch handelt.
Der Impuls liegt nahe, diese ethische Illegitimität und rechtliche Illegalität des Krieges auch als Ausgangspunkt zu nutzen, wenn es um die normative Beurteilung von Fremdkämpfern geht. Allerdings sollte dem Phänomen in den Krieg reisender Individuen grundsätzlich mit Skepsis begegnet werden - unabhängig davon, ob sie sich der angreifenden oder der verteidigenden Seite anschließen und als wie gut und legitim eine Konfliktpartei, ihr Verhalten und ihre Kriegsziele angesehen werden. In der Forschung werden diejenigen Individuen als sogenannte foreign fighters bezeichnet, die sich irregulären Kräften, insbesondere Aufständischen, anschließen und weder die Nationalität einer der Konfliktparteien haben noch für ein PSMU arbeiten.
Die Gastautorin Hanna Pfeifer
- Prof. Dr. Hanna Pfeifer ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Radikalisierungs- und Gewaltforschung am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie Leiterin der Forschungsgruppe Terrorismus an der HSFK.
- Sie ist Principal Investigator im Clusterprojekt „ConTrust: Vertrauen im Konflikt. Politisches Zusammenleben unter Bedingungen der Ungewissheit“, das durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert wird, sowie im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten „Regionalen Forschungszentrum Transformations of Political Violence (TraCe)“.
- Zuvor war sie Mitarbeiterin an der Professur für Internationale Sicherheit und Konfliktforschung der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, wo sie promoviert wurde.
- Studiert hat sie Politikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in München sowie Internationale Beziehungen und Internationale Sicherheit inParis.
Besonders bekannt sind jihadistische Fremdkämpfer, die im Afghanistankrieg nach der Sowjetinvasion im Jahr 1979 zum ersten Mal im großen Stile tätig wurden, damals noch unterstützt von den USA und Pakistan im Kontext des Kalten Krieges. Sie entwickelten sich zum grenzüberschreitend operierenden Netzwerk Al-Qaeda weiter, von dem Teile schließlich in der Vermählung mit lokalen Aufständischen in Syrien und im Irak den Kern der sogenannten ISIS-Organisation bildeten. Jihadistische Afghanistan-Veteranen sammelten in den 1990er Jahren auch in Bosnien und Tschetschenien Kampferfahrung.
Während es bisher nur vereinzelt Hinweise auf die Präsenz von Kämpfern aus diesen Kreisen in der Ukraine gibt und sich sowohl die russischen als auch ukrainischen Fremdkämpfer von diesen foreign fighters unterscheiden, so verweist die historische Entwicklung dieses Phänomens auf mehrere Problemkomplexe, die sich auch in Bezug auf die „Fremdenlegionäre“ und „Söldner“ im Krieg in der Ukraine stellen dürften.
Erstens sind beide Gruppen Ausdruck einer zunehmenden Privatisierung von Krieg und Sicherheit. Im Falle der Söldner ist dies offensichtlich. Aber auch die Fremdenlegionäre untergraben das staatliche Monopol legitimer Gewaltanwendung. Sie treffen individuelle Entscheidungen für den Eingriff in ein Gewaltgeschehen, ohne dass diese Teil einer staatlichen Strategie, geschweige denn demokratisch legitimierter Politik wären. In Deutschland zum Beispiel ist das Kämpfen in fremden Konflikten nicht strafbar - es sei denn, es werden erhebliche Handlungen im Ausland geplant, die die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik schädigen können. Auf dieser Grundlage wird die Ausreise etwa Bürgern verwehrt, die als rechtsextrem eingestuft werden.
Gewalteskalation erscheint weniger riskant, wenn man das Kampfgeschehen wieder verlassen kann.
Das macht bereits eine weitere Schwierigkeit deutlich, die über die verstörende Vorstellung von unter ukrainischer Flagge kämpfenden, deutschen Neonazis hinausgeht: Die je individuelle Motivation dafür, auszureisen und sich den ukrainischen Truppen anzuschließen oder aber jenseits regulärer Kräfte in das Kampfgeschehen einzugreifen, kann weder systematisch herausgefunden noch kontrolliert werden.
Ein Potpourri aus ökonomischen, politischen, moralischen, religiösen und anderweitigen Motiven sowie psychologischen Neigungen ist wohl unter den Kämpfern vertreten. Daraus ergibt sich das Problem, dass die Kämpfer ihre eigene Agenda entwickeln können, die nicht mehr der des Auftraggebers entspricht oder ihr gar zuwiderläuft. Dies birgt nicht nur das Risiko einer Fragmentierung innerhalb der auf ukrainischer Seite kämpfenden Truppen, einer Multiplikation von Konfliktparteien und damit verbundener Probleme eines komplexer werdenden Krieges.
Den Fremdkämpfern fehlen zudem die soziale Einbettung sowie Projektion der eigenen Zukunft in der ukrainischen Gesellschaft - und damit gewichtige, gewalthemmende und deeskalierende Momente in der Abwägung des eigenen Handelns. Gewalteskalation erscheint weniger riskant, wenn nicht die eigene Familie, das soziale Umfeld oder das gesellschaftliche Zusammenleben bedacht werden müssen und wenn man das Kampfgeschehen dank fremden Passes wieder verlassen kann.
Dies hängt mit dem dritten grundsätzlichen Bedenken zusammen, das sich gegen Fremdkämpfer vorbringen lässt: Wie würden sich die Kalküle von bisher nicht direkt am Krieg beteiligten Parteien verändern, wenn es zu hohen Opferzahlen unter Fremdkämpfern mit europäischer oder nordamerikanischer Staatsbürgerschaft kommt? Und umgekehrt: Wie weit ist es von einem Mitglied des lettischen Parlaments, das sich den Fremdkämpfern anschließt, oder einer britischen Außenministerin, die ausreisewilligen Staatsbürgern ihre Unterstützung zusagt, zur Interpretation durch die russische Führung, es handele sich um eine offizielle Sanktionierung von oder Ermutigung zu Kampfhandlungen durch die westliche Politik?
Es ist davon auszugehen, dass Wladimir Putin die Präsenz von Fremdkämpfern ab einer gewissen Schwelle zur Rechtfertigung von Gegenmaßnahmen heranziehen würde. Damit werden potentiell neue Kriegsursachen geschaffen. Ob man diese Gründe dann für plausibel hält, ist dafür unerheblich, dass darin ein eskalierendes Potential liegt. Ein solches Potential außerhalb direkter staatlicher Kontrolle erwachsen und es unversucht zu lassen, die Ausreise von Kämpfern aus Drittstaaten aktiv zu unterbinden, ist keiner Regierung zu raten.
Die Frage ist, an welchem Konflikt sie sich das nächste Mal beteiligen, für welche Partei sie sich entscheiden.
Denn schließlich müssten sich die betroffenen Regierungen auch überlegen, wie sie zukünftig mit Rückkehrern umgehen wollen. In der Ukraine tummeln sich ehemalige Spezialkräfte und Professionelle von PSMUs, Vertreter nicht-staatlicher Gruppen aus anderen Konflikten, zum Beispiel Kurden aus dem Irak, NATO-trainierte ukrainische Streitkräfte neben Bürgerwehren, Volksmiliz und Widerstand - und dann wohl tausende, besser oder schlechter trainierte Individuen unterschiedlicher Herkunft und mehr oder weniger fragwürdiger Motivation. Zwischen all diesen Gruppen werden Lernprozesse einsetzen, insbesondere im Hinblick auf militärische und taktische Fertigkeiten, aber auch in Bezug auf ideologische und affektive Haltungen.
An welchem Konflikt sich diese Menschen das nächste Mal beteiligen, für welche Partei sie sich entscheiden werden, ist eine offene wie gewichtige Frage. Sicher ist aber, dass sie beim nächsten Mal besser vorbereitet, kampferfahren und vernetzt sein werden - und dass sie die physischen und psychischen Narben eines Krieges mit sich tragen.
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