Die Erwartungshaltung der Märkte an die Europäische Zentralbank (EZB) war hoch und der EZB-Präsident Mario Draghi hat geliefert. An dem Tag, an dem Deutschland nicht mitstimmen durfte, hat Jens Weidmann, der Präsidenten der Deutschen Bundesbank, wahrscheinlich in die Tischplatte gebissen. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde auf Null gesenkt. Diese Absenkung hat man an den Märkten nicht erwartet. Der Einlagezins für die Banken wurde auf -0,4 Prozent herabgesenkt und damit ebenfalls weiter, als man es erwartet hatte. Außerdem hat man die ganz große Keule ausgepackt: Die EZB erweitert das Spektrum der Anleihen, die die Zentralbank aufkaufen würde, auch auf Unternehmensanleihen.
Aber auch das dürfte sicherlich nicht der letzte Schritt gewesen sein. Europas Notenbank wird im Laufe der nächsten Sitzungen bestimmt noch Verbriefungen von rostigen Fahrrädern mit in die EZB-Bilanz aufnehmen und sie den Banken abkaufen, wenn es denn nottut. Gleichzeitig will man auch das Volumen der Anleiheaufkäufe von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat erhöhen. Man mag sagen, dass es sich hierbei schon um Panikmaßnahmen handelt.
Vor allem aber zeigt diese Entscheidung eines ganz deutlich: Das Geschwätz der letzten Jahre von der "Erholung" und man sei "auf einem guten Weg" ist Makulatur, wenn die Zentralbanken zu solch extremen Maßnahmen greifen müssen. Ob diese Drogengabe am Ende wirkt, darf meiner Meinung nach sehr stark bezweifelt werden. Denn mit Hilfe der billigen Gelder der letzten Jahre hat es wohl ebenfalls nicht funktioniert - obwohl man es doch schon mehrfach probiert hat! Vielmehr ist es ein Zeichen von Wahnsinn, das Gleiche immer wieder zu tun und zu hoffen, dass das Ergebnis ein anderes sein würde - und spätestens beim Kopf-an-die-Wand-Schlagen sollte man das merken . . . Was wird diese geldpolitische Strategie wohl bringen?
Sie wird die Banken in Europa in noch größere Schwierigkeiten bringen und sie wird die Bankbilanzen noch mehr zerrütten, denn diese werden kaum die Möglichkeit haben, die Negativzinsen auf der Einlagenseite entsprechend an ihre Kunden weiterzugeben. Also denken die Banken bereits darüber nach, die Kreditzinsen anzuheben.
Diese Perversion muss man sich einmal vorstellen: Die EZB senkt die Zinsen und die Konsequenz ist, dass die Banken bei der Kreditvergabe erhöhen müssen, um die Verluste, die sie auf dieser Seite der Bilanz einfahren, durch höhere Erträge auf der anderen Seite wieder hereinzuholen. Ob das wohl funktionieren wird? Es ist und bleibt jedenfalls vollkommen verrückt!
Was will die EZB damit erreichen? Ziel der Notenbanker ist es, die Kreditvergabe anzukurbeln, allerdings weniger in Deutschland, sondern vielmehr in den südlichen Euro-Staaten. Also genau dort, wo wir bereits ein Übermaß an Kreditvergabe erlebt haben. Wir sehen von Monat zu Monat neue Rekordstände an faulen Krediten, abzulesen etwa an den Bankbilanzen Italiens und Griechenlands. Die Banken dort befinden sich in größter Gefahr, eben aufgrund dieser faulen Kredite. Nun möchte die EZB, dass diese Banken noch mehr Kredite ausreichen. An wen? Nun, an diejenigen, die ohnehin schon viel zu viele faule Kredite haben.
Damit wird das ganze System also noch fauler gemacht und es werden keinerlei Maßnahmen und keinerlei sinnvolle Veränderungen gefunden, um das Problem zu lösen. Man versucht es mit althergebrachten Ideen und Methoden, die schon bisher nicht funktioniert haben. Doch wie soll sich der Anleger in diesen Zeiten des Nullzinses verhalten?
Nüchtern betrachtet hat sich für den Sparbuchkunden gar nicht so viel verändert. Er wurde schon immer gerupft, nur hat er es meist nicht bemerkt. Zu Zeiten, in denen es noch zwei Prozent Zins auf das Sparbuch gab, lag die Inflation gerne mal bei drei Prozent. Das bedeutet, dass der Sparer jedes Jahr einen realen Verlust von einem Prozent zu erleiden hatte.
In der Tat stellt man fest, dass der reale Zins für Sparbuchinhaber seit 1967 in mehr als der Hälfte der Zeit negativ war. Wenn heute also der Zinssatz auf das Sparbuch null Prozent beträgt und die Inflation ebenfalls bei null liegt, dann geht es dem Sparer heute besser als in den vergangenen Jahren, er verliert nichts.
Ja man kann sogar sagen, wenn die Inflation negativ wird (Deflation), ist der Sparbuchbesitzer mit null Prozent Zins ein Gewinner, denn sein Geld wird jeden Monat wertvoller, er kann sich immer mehr davon kaufen. Selbst wenn es im Zuge eines weiteren Preisverfalls zu noch höheren Negativzinsen der EZB für die Banken käme, sind die Banken kaum in der Lage diese an die Anleger weiterzugeben. Wer würde bei einem Strafzins von zwei Prozent nicht sein Geld in Form von Scheinen von der Bank holen und unter das Kopfkissen legen?! Das ist mit ein Grund für die großen Anstrengungen des Staates und der Banken, Bargeld völlig abzuschaffen. Wenn es kein Bargeld gibt, kann der Sparer Repressionen wie Negativzins oder Zugriff auf sein Geld im Falle von Bankpleiten nicht mehr entkommen.
Und diese Bargeldlosigkeit wird kommen. Der Deutsche-Bank-Chef sagte vor Kurzem: "In zehn Jahren wird es das Bargeld nicht mehr geben". In Skandinavien experimentiert man schon damit. Und man begründet es wieder mit der Bekämpfung der Kriminalität, Schwarzarbeit oder Ähnlichem. Ein amerikanischer Politiker sagte einmal "Wenn man Ihnen sagt, es wäre zu Ihrer Sicherheit, dann kostet Sie das entweder Ihr Geld oder Ihre Freiheit. Im Zweifel sogar beides."
Der Anleger ist also gut beraten - früher wie heute - über Alternativen zum Sparbuch nachzudenken. Immobilien sind sicherlich eine gute Sache. Allerdings sollte man sich damit gut auskennen, denn hier gibt es viele Risiken, die einen Jahrzehnte belasten, wenn man einmal die Unterschrift unter einen Vertrag gesetzt hat.
Viel einfacher und flexibler ist dagegen die Beteiligung an der Wirtschaft als Solches. Seit Jahrhunderten wächst unsere Wirtschaft und solange die Menschheit sich weiterentwickelt wird auch die Weltwirtschaft wachsen, wird es Unternehmen geben, die Geld verdienen. Diese Unternehmen verdienen weit mehr als nur die Inflationsrate. Diese Gewinne fließen den Besitzern von Unternehmen, die als Aktiengesellschaften geführt werden, über die Dividende und die Wertsteigerungen zu. Jeder kann Teil-Besitzer eines solchen Unternehmens werden, indem er dessen Aktien erwirbt.
Die Wirtschaft steigt zwar über Jahrhunderte immer weiter an, aber sie tut das nicht gradlinig, sondern immer in schwer vorhersehbaren Wellen. Zwei Schritt vor, einer zurück. Da auch der Profi nie genau wissen kann, was als nächste gerade geschieht, aber die langfristige Entwicklung doch recht sicher ist, sollte man auch seine Geldanlage in Aktien langfristig ausrichten.
Wie sehr sich das lohnt, zeigt ein Blick in die bisherigen Ergebnisse. Wer irgendwann in den letzten 50 Jahren Geld in die Unternehmen des Deutschen Aktienindex Dax investiert hatte, hatte nach 20 Jahren eine durchschnittliche Rendite zwischen 6,3 Prozent und 14 Prozent pro Jahr! Egal, wann man in den letzten 50 Jahren in diese Aktien investiert hatte, man war auf Sicht von 20 Jahren dick im Gewinn. Daher eignet sich ein Vermögensaufbau und Altersvorsorge mit Aktien wie kaum eine andere Anlageform.
Warum scheut der deutsche Anleger dennoch die Aktienanlage? Zum einen sind es schlechte - kurzfristige - Erfahrungen der Vergangenheit. Im Neuen Markt hat manch einer versucht, mit Aktien windiger kleiner Internetfirmen binnen weniger Monate reich zu werden, was mächtig schief ging.
Aber auch die teilweise großen, kurzfristigen Schwankungen machen uns Angst. Auch wenn man genau zu wissen glaubt, dass sich die Aktien nach einem Crash langfristig wieder erholen werden, möchte man das mulmige Gefühl einfach meiden, dass der Depotwert sich zwischenzeitlich halbiert hat. Doch auch dafür gibt es eine gute Lösung. Gerade in riskanten Zeiten, in denen die kurzfristige Entwicklung der Märkte schwer abzuschätzen ist, lohnt es sich, das Aktiendepot gegen fallende Kurse abzusichern, um gegen allzu große Kurseinbrüche gewappnet zu sein.
Nach oben dabei sein, nach unten möglichst wenig verlieren ist das Prinzip. Damit schläft es sich in den zurückliegenden turbulenten Monaten sehr gut. Der gute Anleger liebt fallende Kurse ebenso wie steigende. In den fallenden Kursen kann er günstig die Anteile starker Unternehmen erwerben, von denen er bei den dereinst steigenden Kursen profitieren kann.
Da niemand weiß, wann es wirklich der tiefste oder höchste Punkt ist, ist es wesentlich klüger nicht alles an einem Tag zu investieren, sondern jeden Monat kontinuierlich einen überschaubaren Betrag anzulegen. So ergibt sich ein guter Durchschnittspreis. Die Absicherungen des Depots versetzen einen darüber hinaus in die Lage, bei tiefen Kursen genug Liquidität zu haben, um bei den günstigen Preisen ordentlich zukaufen zu können.
Die von vielen angewandte Stop-Loss-Strategie, bei dem Aktien bei Erreichen eines bestimmten tiefen Kurses verkauft werden, ist für den langfristigen Anleger in Qualitätsaktien absolut falsch. Er verkauft die Anteile seines Unternehmens in dem Moment, wo es gerade besonders günstig ist. Das Gegenteil ist richtig. Ich kaufe dort zu, wo andere ihre Notverkäufe tätigen. Wohlgemerkt gilt das nur für Qualitätsaktien mit makellosen Bilanzen. Andere sollte man ohnehin nicht anfassen. Bearbeitet von Lara Sturm
Dirk Müller
Dirk Müller (47) war Börsenmakler. Heute ist er Buchautor und betreibt die Webseite www.cashkurs.com. Er ist in Reilingen (Rhein-Neckar-Kreis) aufgewachsen und lebt bis heute dort.
Er wurde international als "Mister Dax" bekannt, weil sein Arbeitsplatz auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse unter der Dax-Kurstafel lag und die Medien dies nutzten, um seinen Gesichtsausdruck mit dem Kursverlauf des Index als Symbol des aktuellen Börsengeschehens darzustellen.
Müller setzt sich für die Förderung der Aktienkultur in Deutschland ein und hat einen eigenen Fonds zum Vermögensaufbau.
Als Senator der Wirtschaft Deutschland und Chairman "FairFinance" des Diplomatic Councils berät Müller zudem in politischen Angelegenheiten. (ls)
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