Dopingkontrollen zu jeder Tages- und Nachtzeit - werden unsere Sportler zu Freiwild, Herr Lehner?

Effektiv oder unausgereift? Im Dezember trat das Anti-Doping-Gesetz in Kraft. Athleten werden nun rund um die Uhr überwacht und stehen unter Generalverdacht, schreibt Sportrechtsexperte Michael Lehner. So lasse sich Doping nicht bekämpfen. Ein Gastbeitr

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Michael Lehner
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Prominente deutsche Sportler, darunter Betty Heidler (Bild) und Robert Harting, kritisieren gemeinsam mit Michael Lehner öffentlich das Anti-Doping Gesetz. "Das Gesetz soll Athleten schützen, aber dieser Entwurf macht sie angreifbar", sagte Heidler. Die Hammerwerferin ist hier bei den Weltmeisterschaften in Korea zu sehen. Dort gewann sie die Silbermedaille.

© dpa

Die Frage scheint berechtigter denn je: Was ist nur aus unserem Sport geworden? Der stand doch mal in der gesellschaftlichen Werteskala ganz oben. Sport, auch der professionelle, das Gegenteil von allem Schlechten. Wo sind die Ideale des Sportes, der olympische Geist, also da insbesondere Fair Play und Ehrlichkeit? Es "blattert" eben überall, möchte man sagen. Das ist neu, der Name des gestürzten FIFA-Chefs als allgemein gebrauchtes Synonym für Korruption und Betrug. Da leuchtet für eine bessere Moral auch keine Lichtgestalt des Sportes mehr den Menschen voraus.

Ab dem 18. Dezember vergangenen Jahres ist es in Deutschland nun amtlich. Der Berufssportler ist nach dem an diesem Tag in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Doping im Sport, kurz Anti-Doping-Gesetz, ein potenziell Krimineller, der staatlich zu überwachen und zu kontrollieren ist und nach dem mit allen polizeilichen Mitteln gefahndet werden muss. Gefängnis jetzt auch für das Selbstdoping. Den Athleten droht je nach den Umständen des Einzelfalles nicht nur Geldstrafe, sondern Freiheitsstrafe bis zu immerhin drei Jahren.

Sportverbandsrechtlich - also der vereinsautonomen Sanktionsgewalt der Sportverbände unterworfen - war und ist der gedopte Sportler weiterhin knallharten Strafen ausgesetzt. Seit Beginn des Jahres 2015 droht mit einer Strafverdoppelung von zwei auf vier Jahre Sperre bereits für den Ersttäter ein in der kurzen Sportkarriere faktisch immer lebenslänglich wirkendes Berufsverbot.

Wer kommt nach vier Jahren Trainings- und Wettkampfsperre denn wieder zurück? Und das ohne jeden Nachweis eines Verschuldens am positiven Testergebnis. Seine Unschuld am positiven Testergebnis muss nämlich im Gegensatz zur staatlichen Strafverfolgung im Sportverbandsverfahren der Athlet selbst dem Sportgericht beweisen.

Den Rechtssatz "in dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten - gibt es dort nicht. Eine oft unmögliche Aufgabe. Allemal bei einem gar so selten vorkommenden Dopinganschlag. Und welcher Athlet hat noch das in der Tiermast dopingverseuchte und von ihm mit Genuss gegessene Steak zur Hand, wenn Tage später die Dopingkontrolle positiv ausfällt? Das ist längst verdaut.

Tag und Nacht angekettet

Damit der Sportler als auch medial im Generalverdacht stehender Dopingbetrüger nicht entkommt, wird er angekettet, Tag und Nacht. Der geltende Standard für Meldepflicht-en der Nationalen Antidoping Agentur NADA umfasst in der aktuellen Fassung mehr als 50 Seiten. Drei Monate im Voraus müssen die Kaderathleten ihren Aufenthaltsort 24 Stunden genau in die Überwachungssoftware eingeben.

Dazu gibt es jetzt durch das Anti-Doping-Gesetz neu einen zusätzlichen Datenaustausch zwischen staatlicher und verbandsrechtlicher Verfolgungsbehörde. Datenschutz für den Athleten? Fehlanzeige!

Wehe dem, der spontan bei der neuen Freundin übernachtet und dies nicht vorher dem "großen Bruder" gemeldet hat. Ein abends aufgetretener Klingeldefekt kann da schnell zu einem sperrgefährlichen Meldeverstoß führen, wenn frühmorgens der Dopingkontrolleur läutet. Gerade kürzlich in der Praxis des Autors so geschehen. Genauso bei einem Athleten. Zudem war dieser an dem von ihm im Überwachungssystem angegebenen Zeitpunkt nicht, wie angegeben, zu Hause - weil er auf dem Operationstisch lag.

Eigentlich nur noch Wahnsinn und paradox: Sport, auch der Berufssport, soll bei aller Kommerzialisierung zunächst und vorrangig allen in der Sportwelt Spaß, Freude und Ertüchtigung bringen. Durch Generalverdacht und tatsächlichem Dopingbetrug abhandengekommene Sportbegeisterung kann aber durch staatliche Strafverfolgung und harte Sanktion nicht wiederkommen. Im Gegenteil!

"Die Kirche im Dorf lassen" möchte man den Sportverbänden und jetzt auch dem Staat und der Politik mit ihrem neuen Anti-Doping-Gesetz zurufen. Doping macht den Sport kaputt, die Kriminalisierung des Sportlers tut dies aber auch. Die Sportbegeisterung bleibt so oder so auf der Strecke. Ein Doping-Tatort ist ein schlechter Film für alle.

Rechte der Athleten schützen

Nicht dass man alles hinnehmen sollte. Sportregeln sind einzuhalten. Die Gesellschaft verlangt zu Recht einen unmanipulierten, ehrlichen, sprich sauberen Sport. Aber wo ist die Verhältnismäßigkeit und wo sind die auch verfassungsgeschützten Persönlichkeits- und Berufsrechte der Sportler geblieben?

Wer versteht das noch: Für eine Blutgrätsche mit schweren Verletzungsfolgen und Roter Karte gibt es oft nur eine Sperre für ein paar Spieltage. Aber: Ein medizinisches Haarwuchsmittel benutzt, nicht wissend, dass es mit auf der Doping-Verbotsliste steht - sechs Monate Spielsperre. Tatsächlich so geschehen.

Oder gar unwissentlich ein mit harter Dopingsubstanz verseuchtes Vitaminpräparat eingenommen, ohne dies nachweisen zu können. Großes Pech: Vier Jahre Sperre und jetzt, wenn der Strafrichter dem Sportler in seiner ehrlichen - das soll es auch geben - Unschuldsbeteuerung nicht glaubt, auch noch als staatliche Zugabe etwas aus dem Strafrahmen des Anti-Doping-Gesetzes, der von Geldstrafe bis zu drei Jahren Gefängnis reicht.

Wir sollten auch nicht vergessen: Die Freiburger Doping-Sportmedizin war in ihrem Ursprung als Erfolgsgarant im gar nicht so sportfairen Wettstreit zwischen West und Ost politisch zumindest geduldet. Auch heute noch kann hierzulande nur an den Olympischen Spielen teilnehmen, wer eine sogenannte echte Endkampfchance hat. "Go for Gold" ist die Erwartungsmaxime.

Die konkreten Nominierungsanforderungen der Sportverbände lesen sich mit ihren deshalb höchsten Leistungsanforderungen wie Anstiftung zum Doping. Oft sind diese Anforderungen mit natürlichem Training angesichts des internationalen Dopingniveaus einfach nicht zu schaffen.

Auch die Medien und das Sportpublikum sollten sich fragen, ob die Erwartungshaltung an Sportler, Spitzenleistungen, Weltrekorde und Goldmedaillen um jeden Preis zu erzielen und die Einordnung des Zweiten als ersten Verlierer nicht der tatsächliche Nährboden des Dopingsumpfes sind. Dies nicht zu ändern, macht harte und gnadenlose Strafverfolgung hilflos, dies nicht ändern zu wollen, ist scheinheilig.

Man kann verstehen, dass sich zahlreiche saubere Sportler, also solche, die sich aktiv zu einem Sport ohne Doping bekennen und sich selbst an das Dopingverbot halten, jetzt öffentlich gegen das derzeitige Dopingsystem aussprechen und eine Wahrung ihrer Grundrechte einfordern.

Denn: Es ist unverhältnismäßig, wenn Sportler durch eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung auch ohne konkreten Verdacht wie Straftäter behandelt werden. Es ist ineffektiv, da es internationale Dopinglässigkeit oder sogar staatlicher Dopingförderung gibt - erst kürzlich wurden wieder russische Dopinglabors entdeckt. Es ist noch gefährlicher für Sportler geworden, etwa durch heimliche Kontamination ihrer Nahrung oder Zugriff auf die Sporttasche zu vermeintlichen Dopern und jetzt sogar zu Straftäter gemacht zu werden. Wird der Dopinganschlag so künftig ein geeigneter Weg zum Olympiasieg? Es hat jedes rechtliche Maß verloren, die Athleten nicht nur einem sperrbedingtem Karriereende, sondern auch staatlicher Kriminalstrafe zu unterwerfen. Das gibt es so auch im Rechtsgutvergleich außerhalb des Leistungssports nicht.

Angriff auf Ethik und Werte

Echte und ehrliche Dopingbekämpfung heißt, zunächst selbst glaubwürdig zu sein und widerspruchsfrei zu handeln. Wer dagegen meint, mit überharter Sanktion, Kriminalisierung und Generalverdacht zum Erfolg zu kommen, muss scheitern.

Der organisierte Sport unterliegt dem Irrglauben , Doping-Ehrlichkeit nur mit totaler Überwachung und harter Sportstrafe erreichen zu können. Und der Staat gibt sich überzeugt, die Keule eines Antidoping-Strafgesetzes zur Wahrung welchen Rechtsgutes auch immer schaffen zu müssen. Doch so erlegt man den Sport: seine Werte, seine Vorbildfunktion und seine ihm gesellschaftlich zugeschriebene Ethik selbst. Welche Eltern und welche Sporterziehung können dann noch Kinder mit gutem Gewissen in einen solchen Leistungssport schicken? Bearbeitet von Lara Sturm

Michael Lehner

Michael Lehner ist ein Jurist aus Heidelberg und gilt als Experte im Sportrecht.

Lehner ist Mitherausgeber des Handbuchs "Sportrecht in der Praxis". Er ist Gründer und Vorstandsmitglied des Dopingopfer-Hilfevereins.

Er vertrat den Leichtathletik-Weltmeister im Dreisprung, Charles Friedek, in einem spektakulären Prozess gegen den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) - und gewann diesen in letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof. ls, Bild: dpa

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