"MM"-Debatte

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht die Lösung

Dass durch die wachsende Automatisierung und Digitalisierung unsere Jobs sich verändern, weiß Robert Jacobi, Digitalisierungsexperte und Autor. Trotzdem hält er ein bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann nicht für praktikabel. Ein Gastbeitrag.

Von 
Robert Jacobi
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Geld aus der Gießkanne des Staates: Das bedingungslose Grundeinkommen ist wegen der Corona-Krise erneut Thema. © dpa, Martin Holzner

Das bedingungslose Grundeinkommen ist so etwas wie ein Zombie der Finanz- und Gesellschaftspolitik: Alle paar Jahre gelangt es auf die kollektive Tagesordnung und wird dann sanft zurückgeschubst in den ewigen Thementopf. Mit Beginn der Corona-Pandemie keimte die Sehnsucht nach einer schlichten „One fits all“-Subvention wieder auf. Mit einem bedingungslos ausgezahlten Grundeinkommen statt diversen Corona-Hilfen, Notprogrammen und Kurzarbeitergeldern könnten wir schließlich alle so viel sorgenfreier durch die Pandemie segeln. Und überhaupt glücklicher, selbstbestimmter, freier leben. Oder?

1000 oder 1200 Euro pro Monat für jeden, vom Baby bis zum Greis, vom armen Schlucker bis zum Milliardär – und das ohne Kleingedrucktes, ohne Papierkram, Antragsstellung, Fördervoraussetzungen und verknüpfte Forderungen: Das klingt für die meisten Menschen erst einmal wie ein Hauptgewinn in der Lotterie. Selbst wenn in einem Lockdown das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben heruntergefahren würde bis zum gefühlten Stillstand, müsste doch niemand fürchten, ganz ohne Geld dazustehen. Eine junge Berliner Mode-Designerin reichte im Frühjahr 2020 die Petition „Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise“ bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz ein, knapp eine halbe Million Menschen haben bereits unterzeichnet. „Eine bessere Möglichkeit, das Konzept Grundeinkommen zu testen, gibt es nicht – in der Krise liegt die größte Chance“, argumentiert die Petition.

Tatsächlich ist jetzt eine gute Zeit für Veränderungen und vielleicht sogar für einen echten Reboot des Systems: Vieles von dem, was bislang als unabänderlich hingenommen wurde, steht nun auf dem Prüfstand. Und vieles, was als nicht umsetzbar galt, wurde in der Pandemie plötzlich Realität – denken wir nur an Homeoffice als Norm statt Ausnahme, Videokonferenzen statt Dienstreisen oder Urlaub im Garten statt fernen Destinationen. Die Digitalisierung, vor Corona oft nur ein sehr breit interpretierbares Buzzword, ist mit großer Wucht eingezogen ins Leben der Menschen und hat sich dort nahezu viral verbreitet. Wie wir arbeiten, wie wir lernen, wie wir uns fortbewegen und wie wir miteinander kommunizieren – all das wird nie wieder so sein wie vor Beginn der Corona-Pandemie. Aber hat sich damit auch das Zeitfenster für das bedingungslose Grundeinkommen geöffnet?

Diese Form des Bürgergeldes spielt seit Jahrhunderten in der Gesellschaftstheorie eine Rolle, und zwar sowohl von linker bis marxistischer als auch von marktradikaler Seite her als Ersatz für den Sozialstaat. Manchmal wird der britische Gelehrte Thomas Morus als ihr Urheber genannt, der die Idee, allen zu geben, damit niemand stehlen muss, vor 500 Jahren in seinen Roman „Utopia“ aufnahm. Seitdem wurden viele Modelle entwickelt, die sich allein schon in ihrer (meistens schwer umzusetzenden) Finanzierung unterscheiden.

Bis heute allerdings ist das bedingungslose Grundeinkommen trotz viel Sympathie in fortschrittlich denkenden Kreisen eine Utopie geblieben; abgesehen von einigen Feldversuchen mit kleinen Fallzahlen (auch in Deutschland läuft gerade ein solcher) ist das gleichmäßig gestreute Einkommen bislang nirgendwo in die Praxis umgesetzt worden. Und das ist nachvollziehbar.

Warum? Zum einen, weil das bedingungslose Grundeinkommen vielleicht die durch die Pandemie-Maßnahmen entstandene finanzielle Not in diversen Branchen – etwa Kulturschaffende, Gastronomie, Hotellerie – etwas lindern würde. Doch das eigentliche Problem unserer modernen Gesellschaft, nämlich die (nicht nur Corona-bedingt) wachsende Ausdifferenzierung in arm und reich, wird dadurch nicht beseitigt. Denn das staatliche Basiseinkommen würde sich nicht am Kontostand des Einzelnen orientieren, sondern wie mit einer Gießkanne über alle Menschen in Deutschland ausgeschüttet werden.

An der Verteilung des Einkommens selbst würde sich also nichts ändern – die Einkommenspyramide würde lediglich um die Summe X nach oben versetzt werden, sich in ihrer Form aber nicht verändern. Der Milliardär würde die 1000 Euro vermutlich nicht einmal spüren. Für den bisherigen Hartz-IV-Bezieher würde sich ebenfalls wenig ändern, da die mutmaßliche Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens vermutlich ungefähr in Summe dem entsprechen würde, was er heute bereits an Unterhalt, Miete und anderen Zuschüssen erhält. Lediglich die Transparenz-Forderungen seitens des Staats an Hartz-IV-Bezieher würden wegfallen.

Gut, Kreativschaffende würden mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vermutlich etwas ruhiger schlafen. Und manch einer würde – abgesichert durch das bedingungslose Grundeinkommen als finanzielles Netz – sich vielleicht verstärkt ehrenamtlich engagieren, den schlechter bezahlten Traumjob annehmen oder den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Und: Menschen in prekär bezahlten Jobs müssten nicht mehr beim Sozialamt um Aufstockung ihres kargen Lohns bitten. Gerade ihretwegen aber brauchen wir kein Grundeinkommen für alle, sondern eher so etwas wie einen Anstandslohn – eine Bezahlung, die Menschen etwa im Gesundheitswesen, in den Kindertagesstätten, in der Müllentsorgung oder in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens nicht nur ein Mindestleben, sondern ein anständiges Leben ermöglicht.

Ein weiteres Argument, das in Debatten um das Grundeinkommen oft zu Felde geführt wird, ist das der Jobvernichtung infolge der Digitalisierung: Wenn gerade einfachere Tätigkeiten künftig von Maschinen übernommen werden und Roboter rund um die Uhr und selbst an Heiligabend im Einsatz sind, um uns die Arbeit abzunehmen, würden viele Planstellen bald wegfallen. Wäre es also nicht sinnvoll, die Menschen finanziell abzusichern, so dass sie auch mit weniger oder gar keiner bezahlten Arbeit einigermaßen über die Runden kommen?

Allerdings werden noch ein paar Jahrzehnte ins Land gehen, bis Hightech-Geräte tatsächlich ohne einen Menschen im Hintergrund unsere heutigen Tätigkeiten übernehmen können. Schon heute Geld zu verteilen, um alle für das Leben übermorgen zu wappnen, erscheint voreilig. Und auch diese Geräte wollen entwickelt und gesteuert werden oder schaffen neue Wartungsaufgaben. Zum anderen hat bislang jede technische Revolution letztendlich nicht weniger Arbeit geschaffen, sondern eher mehr. Für die dann allerdings andere Voraussetzungen und Qualifikationen nötig waren.

Und damit wären wir auch schon bei der entscheidenden Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen: Es ist keine adäquate Reaktion auf die Folgen der wachsenden Digitalisierung und Automatisierung, sondern eine Art Beruhigungspille: Nimm das Geld und sei zufrieden. Während immer weniger Menschen in der klassischen Arbeitswelt unterwegs sind und damit über unseren gesellschaftlichen Fortschritt entscheiden.

In Deutschland hängt die Höhe des Einkommens stark von der Art der Ausbildung ab, und diese wiederum von der sozialen Herkunft. Wer für seine Arbeit entlohnt wird, tauscht in Wahrheit erworbenes Wissen und Können (und seine Zeit) gegen Geld. Je digitaler die Welt wird, desto mehr wird die richtige Bildung wert sein: Sie wird darüber entscheiden, wer auch in einer zunehmend automatisierten Arbeitswelt noch einen Job bekommt und wer nicht.

Nur Bares ist Wahres? Statt eines bedingungslosen Grundeinkommens sollten wir ein Bildungseinkommen einführen: Jedes Jahr, in dem ein Unternehmer, Arbeitnehmer oder Freischaffender Steuern und Sozialabgaben zahlt, wird mit Bildungspunkten belohnt. Diese fungieren wie eine Parallelwährung und können investiert werden in regelmäßige „Bildungszeit“, in der dann das bisherige Wissen auf den neuesten Stand gebracht oder aber Kenntnisse für einen sich wandelnden Arbeitsmarkt erworben werden können.

Je breiter das Wissen und die Fertigkeiten gestreut sind, desto größer ist die individuelle Resilienz gegenüber Krisen und Veränderungen. Die finanziellen Mittel dafür könnten etwa aus einer zweckgebundenen Steuer stammen, die – schrittweise ansteigend – auf jedes Einkommen oberhalb des Durchschnitts anfällt. Lebenslanges Lernen: Diese Lieblingsforderung der Wirtschaft könnte somit endlich für alle Realität werden.

Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem grundlegenden Transformationsprozess, und zwar nicht erst seit dem Auftreten des Coronavirus. Digitalisierung und Automatisierung werden unsere Jobs nicht vernichten, sondern verändern – inhaltlich, aber auch vom Anspruch her. Lebenslange Bildung ist daher ein besseres Investment als ein bedingungsloses Grundeinkommen aus der Gießkanne des Staates.

Der Gastautor

Robert Jacobi, Publizist und Gründungspartner der Strategieberatung The Nunatak Group, unterstützt Unternehmen aus allen Branchen beim digitalen Wandel. In seinem neuen Sachbuch „Reboot. Der Code für eine widerstandsfähige Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“ (Murmann Verlag) beschreibt er die Folgen der Corona-Pandemie und die Notwendigkeit eines echten Neustarts für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

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