Leider gibt es bisher keine Alternative zur Männerwelt. In diesem Dilemma befinden sich viele Frauen. Für sie ist Gleichstellung ein einseitiges Unterfangen. Die Männer gestatten ihnen zwar, sich in ihrer Welt aufzuhalten und sich beruflich darin zu versuchen, sie bieten den Frauen Karrierechancen an - aber nur zu den Bedingungen, unter denen Männern arbeiten.
Die haben sich trotz Gleichstellung nur marginal bewegt, denn noch immer sehen sich Frauen gezwungen, sich in der Männerwelt "durchsetzen" zu müssen. Dieses Durchsetzen ist aber schon alleine daher weitgehend aussichtslos, da ein Kernprinzip der Männerrolle die Ausgrenzung der Weiblichkeit selbst ist. Noch immer lehnen die Männer daher Verhaltensweisen und Wesenszüge ab, die im Klischeesinne ihres Geschlechterverständnisses als weiblich gelten: Empathie, das Leben und Zeigen von Gefühlen, das Zulassen von Schwäche, Nachgeben, Anerkennen.
Die Regeln der Männerwelt legen fest, dass derjenige der Erfolgreichere, der bessere "Mann" ist (das Wort "Mann" kommt vom altgermanischen "man", was damals "Mensch" bedeutete), der mehr Gewinn macht, der stärker ist, mehr Ruhm genießt. Wenn sich Frauen in dieser Welt behaupten wollen, so erscheint es, als müssten sie zu einem erfahrenen Boxer in den Ring steigen und versuchen, unter Wahrung seiner Regeln gegen ihn zu gewinnen. Übertragen auf die Männerwelt würde das bedeuten, dass Frauen selbst sachlicher, härter und durchsetzungsfähiger werden müssten. Zudem müssten sie die Männer in deren Qualifikationen übertreffen.
Gleichstellungsbeauftragte bestätigten mir, dass bei Einstellungsgesprächen und Beförderungen taffere Frauen mehr Chancen haben. Allerdings wird Männern eine Art Bonus zugestanden: Frauen werden aufgrund ihrer Weiblichkeit von vornherein für weicher gehalten. Sie müssen daher noch taffer sein, als ein taffer Mann, um als genauso taff zu gelten. Ähnlich ist es mit den Qualifikationen: In vielen Fällen kommen Männer leichter weiter, selbst wenn Frauen sogar besser qualifiziert sind.
Ein Vergleich der Chancen in der Männerwelt vermittelt ein Bild, als hätten Frauen trotz der verordneten Gleichstellung und Mehrleistung auch heute noch erheblich geringere Chancen. Ein praktisches Beispiel liefert das Handicap, mit dem es Frauen bei der Pflege ihrer beruflichen Kontakte zu tun haben: Während es für Männer ganz normal ist, mittags miteinander Essen zu gehen oder sich abends auf ein Glas Wein zu treffen, tun sich Frauen damit schwer: Wie würde es kommen, wenn eine Frau einen Kollegen fragt, ob er nicht Lust hätte, sich abends mit ihr auf ein Gespräch zu treffen? Kontaktpflege ist aber eines der wichtigsten Elixiere des sich Durchsetzens und des geschäftlichen Erfolgs in der Männerwelt.
Das Beispiel zeigt, wie sehr Frauen durch die Rituale der Männerwelt trotz Gleichstellung nach wie vor behindert werden. Hier haben sich die Männer um keinen Deut auf die Frauen zubewegt. Es wirkt, als befänden wir uns immer noch nahe der Stunde null auf der Gleichstellungsuhr. Denn ein fruchtbares Zusammenleben der Geschlechter auf Augenhöhe entsteht doch erst, wenn beide Partner - nicht nur einer - seine Ebene verlässt, um sich in einem solchen neuen Miteinander "gleichzustellen", dieses gemeinsam zu gestalten.
Diese fragmentarisch skizzierte Schieflage im Verhältnis der Geschlechter bedeutet für Frauen gravierende Konsequenzen: Es scheint, dass diejenigen, die sich in der Männerwelt durchsetzen wollen, auch die Spielregeln der Männer mitspielen müssen. Das würde aber bedeuten, dass sie gezwungen wären, ihre weibliche Authentizität aufzugeben. Viele tun das bereits. Trotzdem werden ihre Leistungen nicht ebenso anerkannt wie die der Männer. So tendieren sie dazu, an ihren Qualifikationen zu feilen, das Durchsetzen zu perfektionieren. Über 500 solcher Frauen haben mich nach meinem letzten Buch kontaktiert. Ihre Erzählungen haben maßgeblich zu den hier geschilderten Eindrücken beigetragen. Viele waren unglücklich. Sie erfuhren auch trotz der vielen Fortbildungsseminare oder ihrer Arbeit mit Coaches - beispielsweise an der Verbesserung ihrer "Sachlichkeit", oder einer "kühleren Selbstdarstellung" - kaum spürbare Fortschritte in ihrer Karriere.
Stattdessen klagten viele dieser hoch qualifizierten Frauen massiv über einen Mangel an Lebensqualität. Nicht wenige neigten dazu, alles hinzuschmeißen. Der Wiener Stressforscher Prof. Wolfgang Lalouschek führt den Anstieg von Burnouts bei Frauen auf eine Mehrbelastung durch ihre weibliche Geschlechterrolle zurück. Eine renommierte Personal-Managerin berichtete mir, dass nach der Einführung der Frauenquote viele Frauen ihre Jobs wieder aufgegeben hätten, unter anderem, weil sie die erforderliche Unmenschlichkeit nicht mittragen konnten. Eine Gleichstellungsbeauftragte erzählte mir, dass die Härte des geschlechtlichen Umganges in Unternehmen nach der Einführung der Quoten sogar zugenommen habe.
All dies wirft die Frage auf, ob der Weg, sich mit männlichen Methoden in der Männerwelt durchsetzen zu wollen, für Frauen der richtige ist. Zahlreiche Ratgeber und Coaching-Kurse orientieren ihre Vorschläge an diesen Maßstäben. Auch Personalpsychologen, wie etwa der Bonner Prof. Gerhard Blicke, empfehlen Sachlichkeit im Job und meinen, Gefühle würden den Arbeitsprozess schädigen. Über den Zugewinn des Menschlichen, das vor allem viele Frauen mit in die Männerwelt hinein bringen, wird kaum gesprochen.
Es dreht sich bei dem Bestreben von Frauen, mehr Anerkennung zu bekommen, doch auch um ihre Ziele. Wo wollen Frauen hin, wo wollen wir alle einmal sein, mitgetragen von dem Schaffen der Frauen? Reicht das, wenn sie ihre Ziele nur innerhalb des Tellerrandes der Männerwelt stecken? Würde so das Bedürfnis einer Frau nach Erfüllung befriedigt werden können? Wo blieben sie aber als Mütter, müssten sie das immer auf die Zeit verschieben, wenn sie mal 40 sind - nur damit sie vorher in der Männerwelt bestehen können? Frauen haben die Fähigkeit, Leben zu schenken - kaum vorzustellen, dass sie dieser enge Rahmen zufriedenstellen könnte.
Sind nicht diejenigen langfristig die zufriedensten Menschen, die authentisch bleiben? Selbst Personal-Managerinnen empfehlen Frauen, ihre "authentische Weiblichkeit nicht zu Gunsten des Karrierestrebens aufzugeben". Ich selbst verstehe unter authentischer Weiblichkeit eine menschliche Form von Vollständigkeit. Wäre es nicht ein großer Verlust, wenn unserer Welt diese Qualität (über die auch Männer verfügen könnten) verloren ginge, nur weil die Männerwelt von Menschen, die sich in ihr behaupten wollen, eine Art Weiblichkeitsausschluss abverlangt? Und wäre es nicht gleichzeitig eine einmalige Chance, wenn sich Frauen genau den Erhalt dieser Fähigkeit zu einer übergreifenden Vision, zu ihrem Ziel machen würden, das weit über dieses Durchsetzen in der Männerwelt hinausreicht?
An dieser Stelle würde es nicht mehr nötig sein, sich an Männerregeln anzupassen. Frauen müssten nicht mehr in den Box-Ring steigen, weil sie ihr Ziel außerhalb desselben festgelegt haben. Diejenigen, die sich ein solches Ziel setzen, würden zu Kämpferinnen einer neuen Zeit werden. Ihre Auseinandersetzung mit der Männerwelt wäre nur eine Übergangsphase auf dem Weg zu einem neuen geschlechtlichen Miteinander, in dem keine Frauen- oder Männerwelt die Menschen in zwei Klassen aufteilt. Der Grad der gelungenen Durchsetzung innerhalb der Männerwelt wäre nicht mehr die Messlatte für das Zufriedenheitsgefühl. Denn dann hätten sich die Frauen wirklich unabhängig gemacht. Ähnlich Bogenschützen, die ihr Ziel hinter dem Ziel definieren, hätten sie sich dazu befähigt, dass ihr abgeschossener Pfeil wirklich ins Ziel trifft, dieses durchbohrt, dass er festhält und nicht mangels Haltung auf den Boden fällt.
Auf unser geschlechtliches Miteinander übertragen bedeutet diese Metapher, dass Frauen nicht mehr im Durchsetzungsstrudel der Männerwelt hängenbleiben, sondern deren Welt in ein größeres Ganzes aufnehmen, das sie selbst gestalten. Das würde ihrem Wesen als Frauen mehr gerecht werden. Schließt die Weiblichkeit nicht die Männlichkeit eher mit ein? Das würde bedeuten, dass Frauen bei sich selbst beginnen und ihre eigenen Vorstellungen von den Geschlechterrollen loslassen, auch die von ihrem Männerbild. Dennoch können sie auch männliche Durchsetzungsmechanismen anwenden, aber nicht auf Kosten ihres eigenen Selbstverständnisses. Sie machen sich dafür die männlichen Verhaltensmechanismen bewusst und entscheiden selbstbestimmt, welche sie für sich als zielführend oder eher als einschränkend empfinden. Anstatt sich an die Männerwelt anzupassen könnten sie sich so ihre eigene Welt gestalten und damit eine bessere für uns alle schaffen. Die brauchen wir. Sie arbeiten zudem nicht gegen Frauen, sondern im Rahmen dieser Zielarbeit mit und für Frauen. Indem Frauen ihre eigene Vision einer besseren Welt, eines lebenswerteren Zusammenlebens definieren, nehmen sie den Regeln der Männerwelt den Anspruch auf das Maß aller Dinge. Sie setzen sich durch, indem sie dieses Spiel nicht mitmachen, sondern ganz andere Dimensionen aufstellen, an denen sich nun auch die Männer messen müssen.
Christian seidel
- Christian Seidel ist Autor des soeben erschienenen Buches "Genderkey - wie sich Frauen in der Männerwelt durchsetzen".
- Er wurde einem größeren Publikum durch seinen Bestseller "Die Frau in mir" (2014) bekannt, in dem er seine Erfahrungen aus einem Selbstversuch schildert, mehrere Jahre als Frau zu leben.
- Seidel, der Theaterwissenschaften und asiatische Philosophien studiert hat, ist früher als Filmproduzent und Medienmanager bekannt geworden.
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