Bleibt Moldau auf europäischem Kurs, Frau Triebel?

Die einen wünschen sich mehr Nähe zu Europa, die anderen sind Putin treu ergeben: In der Republik Moldau stehen im Oktober Richtungswahlen an. Die Osteuropahistorikerin Brigitta Triebel über ein gespaltenes Land. Ein Gastbeitrag

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Brigitta Triebel
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Hoffnungsträgerin: Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, möchte ihr Land in die Europäische Union führen. © Fabian Sommer/dpa

Fährt man in diesen Sommertagen durch die Republik Moldau, sticht nicht nur das strahlende Gelb der Sonnenblumenfelder ins Auge. Immer wieder ist auch die EU-Flagge zu entdecken – an Bushaltestellen, als Fahnen in den Kleinstädten oder auf Hinweisschildern an den sanierten Fernverkehrsstraßen. Es scheint so, als ob das gesamte Land klaren Kurs auf die Europäische Union genommen hat.

Seit Juni 2022 ist das Land gemeinsam mit der Ukraine Beitrittskandidat, die Verhandlungen mit der EU sind mittlerweile offiziell eröffnet. Es ist das klare politische Ziel der Präsidentin Maia Sandu und ihrer Regierung, das Land mit seiner wechselhaften Geschichte, geprägt durch die sprachliche und kulturelle Nähe zu Rumänien sowie der Vergangenheit als Teil der Sowjetunion mit einer großen russischsprachigen Minderheit, so schnell wie möglich in die EU zu führen. Der Beitrittsprozess wird von Sandu nicht nur als Motor für grundlegende Reformen angesehen, sondern auch als Sicherheitsgarantie gegenüber einer russischen Aggression.

Viel Zeit scheint die proeuropäische Führung des Landes dafür nicht zu haben, greift doch der angestoßene Umbau in Justiz, Staat und Wirtschaft noch nicht. Zudem bedroht Russland die Sicherheit und Integrität des Landes, gegenwärtig mit hybriden Mitteln der Kriegsführung wie Desinformationskampagnen und der Unterstützung prorussischer Parteien.

In dieser innen- wie außenpolitisch angespannten Lage bereitet sich das Land auf richtungsweisende Wahlen im Oktober dieses Jahres vor. Sowohl bei der Präsidentschaftswahl als auch bei einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft wird es um nichts weniger als die grundlegende politische Ausrichtung Moldaus gehen.

Bleibt es bei einem proeuropäischen Kurs, der weiterhin von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen wird? Oder wird das Land – wie schon häufiger in der Vergangenheit – zurück in eine Grauzone fallen, in der Russland seinen Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausbauen kann und notwendige Reformen wieder zu leeren Worthülsen in Wahlkampagnen werden? Diese Frage scheint auch die Präsidentin mit ihrer Bevölkerung noch in diesem Jahr klären zu wollen. Hat sie doch selbst das Referendum parallel zur Präsidentschaftswahl angekündigt, in dem die Moldauer klar für oder gegen den EU-Beitritt ihres Landes stimmen sollen.

Ob die Moldauer eine proeuropäische Entscheidung treffen werden, ist bisher unklar. Die Lage im Land ist weiterhin ökonomisch prekär und viele Menschen sehen kaum Verbesserungen in ihrem Lebensalltag. Die Wirtschaft hat sich bisher nicht von der Corona-Krise und dem Krieg im Nachbarland Ukraine erholt. Die Aussichten sind ebenfalls nicht positiv, verharren beispielsweise internationale Investitionen auf niedrigem Niveau.

Zudem ist die Enttäuschung in der Bevölkerung groß, dass Maia Sandu und ihre Regierung bis jetzt wenig spürbare Ergebnisse im Kampf gegen Korruption erreicht haben. War es doch ihr wichtigstes Versprechen bei ihrer Wahl im Jahr 2020, als sie mit 58 Prozent der Stimmen gewählt wurde.

Damals war die Hoffnung, dass mehr Rechtsstaatlichkeit und funktionierende Institutionen weitere positive Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft initiieren werden, die auch die vielen Moldauer im Ausland zu einer Rückkehr bewegen werden. Denn bisher ist die demografische Entwicklung eines der größten Probleme des Landes. Noch verlassen jährlich 59 000 Menschen das kleine Land mit circa 2,5 Millionen Einwohnern. Insgesamt sollen seit der Unabhängigkeit 1991 eine Million gegangen sein.

Nicht alle Moldauer unterstützten den klaren EU-Kurs ihrer Präsidentin. In aktuellen Umfragen sprechen sich 36 Prozent der Menschen gegen eine Aufnahme in das Bündnis aus. Viele, die für Nein im Referendum stimmen wollen, fordern vielmehr eine erneute Annäherung an Russland. Sie fühlen sich historisch wie kulturell weiterhin mehr mit Russland verbunden und hoffen schließlich auch auf bessere wirtschaftliche Beziehungen.

Moskau nutzt diese politischen Einstellungen geschickt aus. Beispielsweise versprachen vor Kurzem prorussische Politiker in Gagausien, die moldauische Heimatregion der Minderheit der Gagausen, dass wieder billigeres russisches Gas fließen wird und es Direktzahlungen an einkommensschwache Personen geben wird. Keine Rolle spielte dabei, dass dies aufgrund aktueller Sanktionen und dem Krieg im Nachbarland Ukraine gar nicht mehr möglich ist.

Zudem gibt es nicht wenige Moldauer, die sich weiterhin für einen Mittelweg ihres Landes zwischen Ost und West aussprechen. Sie verbinden damit die Hoffnung, in diesem Fall sowohl günstige Energielieferungen aus Russland als auch weitere europäische Unterstützung zu erhalten. Die in der Verfassung verankerte Neutralität des Landes ist für sie nicht verhandelbar. Für die russische Propaganda sind sowohl die Gegner als auch die Zweifler an einer weiteren Integration des Landes in die Europäische Union die wichtigsten Zielgruppen. Ihre Ängste werden im gegenwärtigen Wahlkampf aufgegriffen und mit gezielten Desinformationskampagnen genährt. Populär ist gegenwärtig, die potenzielle EU-Mitgliedschaft Moldaus als eine Vorbereitung auf einen Krieg mit Russland darzustellen.

Zudem werden alte Erzählungen von der Vereinheitlichung unter Brüsseler Vorgaben und dem Verschwinden der moldauischen Identität aufgewärmt. Das trifft in einem Land, in dem regionale, nationale und religiöse Identitäten sowie Traditionen für viele Menschen wichtiger sind als eine Identifizierung mit einem unabhängigen Gesamtstaat, weiterhin auf große Resonanz.

Solche Erzählungen verdrehen die Wahrheit ungeniert, fördert die EU doch jetzt schon explizit die Entwicklung der Regionen in Moldau. Eine Zerstörung Moldaus droht lediglich bei einem militärischen Angriff Russlands auf das Land. Eine weitere Strategie im anstehenden Wahlkampf könnte sein, die Zustimmung für Maia Sandu und dem EU-Beitritt so niedrig wie möglich zu halten. Auch wenn damit die Wahlen für prorussische Kräfte nicht zu gewinnen sind, lässt sich mit knappen Wahlergebnissen dadurch die Spaltung der Gesellschaft verstärken.

Leidvolle Erfahrungen hat Moldau mit dieser russischen Strategie bereits vielfach und insbesondere im Transnistrien-Konflikt gemacht. Das dortige De-Facto-Regime hält sich seit den frühen 1990er Jahren mit Moskaus Unterstützung, nicht zuletzt durch die Präsenz russischer Truppen. Zwar ist die Lage in dem Konflikt gegenwärtig stabil, auch aufgrund der fehlenden Landverbindung zwischen Russland und ihren Verbündeten in Transnistrien, aber der Konflikt bleibt ungelöst und kann jederzeit mit kaum kalkulierbaren Folgen eskalieren.

Trotz der anhaltenden Krisen im Land spricht einiges dafür, dass sich die Moldauer im Oktober erneut für einen europäischen Kurs entscheiden werden. Maia Sandus Chancen für eine Wiederwahl stehen gut. In aktuelle Umfragen würden 34 Prozent der Befragten sie wählen. Hinzuzurechnen sind noch viele Stimmen aus der Diaspora, die traditionell progressiv wählt und noch vor vier Jahren Sandu massiv unterstützt hat. Besonders eine Wiederwahl in der ersten Runde würde ihr Rückenwind für die anstehenden Parlamentswahlen und für eine zweite Reformphase geben.

Auch das EU-Referendum wird wahrscheinlich positiv ausgehen. Bei Umfragen in den letzten Jahren hat sich kontinuierlich eine Mehrheit, von etwa 50 bis 60 Prozent, für einen Beitritt des Landes in die Europäische Union ausgesprochen. Jedoch wird nur eine deutliche Zustimmung von mindestens 60 Prozent ein wirklich gutes Ergebnis sein. Ein knapperes Resultat könnte die Präsidentin als Initiatorin politisch beschädigen.

Auch deshalb ist in den nächsten Monaten ein harter Wahlkampf zu erwarten, in denen die von Russland unterstützten Kandidaten und Parteien Maia Sandu als einzig aussichtsreiche Kandidatin der proeuropäischen Kräfte massiv angreifen werden. Sandu wird hingegen mit der Vision von einer besseren – europäischen – Zukunft für das Land in die Wahl ziehen. Zudem kann sie auf ihr gutes Krisenmanagement in den letzten Jahren verweisen, schließlich hat sie das Land in kürzester Zeit nach dem russischen Lieferstopp unabhängig von Energielieferungen aus dem Osten gemacht.

Zudem genießt Moldau gegenwärtig eine große internationale Unterstützung, nicht zuletzt durch das Engagement und der persönlichen Integrität der Präsidentin. Ein deutlicher Sieg wäre zudem ein klares Signal an Moskau, dass ein von Russland steuerbares Moldau nur unter massiven Widerstand der Bevölkerung möglich sein wird.

Gewonnene Wahlen im Oktober wären also ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einem europäischen und demokratischen Moldau, wenngleich damit die Krisen und Spannungen im Land nicht gelöst sein werden. Nur langfristig wird man mit viel Engagement in Bildung, Dialog, historischer Aufarbeitung und politischer Beteiligung aller gesellschaftlicher Gruppen, auch die bis heute prorussisch ausgerichteten Minderheiten und Regionen, überzeugen.

Nicht zu vergessen ist, dass die Zukunft der Republik Moldau eng mit dem Ausgang des Krieges in der Ukraine verbunden ist. Eine Niederlage der Ukraine wird Moldau wieder militärisch erreichbar für Russland werden lassen. Dem hätte die Staatsführung in Chisinau nur wenig entgegenzusetzen.

Die Gastautorin

Brigitta Triebel leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Republik Moldau.

Zuvor war sie für die Stiftung in Charkiw tätig und hat Projekte in der östlichen Ukraine verantwortet.

Triebel ist Osteuropahistorikerin und hat in Leipzig und Bratislava (Slowakei) studiert und promoviert.

Osteuropa ist traditionell eine Schwerpunktregion der Auslandsarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung. In der Republik Moldau ist die Stiftung seit 15 Jahren tätig und unterstützt die demokratische und europäische Entwicklung des Landes. (Bild: KAS)

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